3.
Aber, so kannst du einwenden, das wird nur durch begriffliches Denken bemerklich; der Unterschied zwischen der Sonne und den Gestirnen aber ist auch für die Sinne unleugbar und augenscheinlich. Wenn du mich zwingst, das Größenverhältnis zu berücksichtigen, so weißt du, wieviel es hier auf die Entfernung ankommen soll und wie jene Augenscheinlichkeit sich in große Ungewißheit verliert. Aber ich will keine Sinnestäuschung in dieser Beziehung annehmen, da ich an eine solche keineswegs glaube. Denn wessen Sinne haben sich über die Größe jenes Nävius getäuscht, der einen Fuß größer war als der bisher größte, der sechs Fuß maß? Mir scheint, du habest dich zu sehr darauf verlegt, einen ihm gleichen aufzuspüren, und du habest, da dein Suchen erfolglos geblieben, nun von unserem Briefe solche Länge verlangt. Wenn nun auf Erden ausnahmsweise solche Riesengestalt sich findet, dann dürfen wir uns wohl über eine ähnliche Erscheinung am Himmel nicht wundern. Wenn es dir aber Bedenken macht, daß außer der Sonne kein anderes Gestirn den Tag erhellt, so bedenke doch bitte: Hat sich nicht auch der Mensch, den Gott als seinen Sohn anerkannte, in ganz anderer Weise als etwa die übrigen Heiligen und Weisen den Menschen in ganz besonderer Herrlichkeit offenbart? Vergleichst du ihn mit anderen Weisen, so ergibt sich ein viel größerer Unterschied als der, der zwischen Sonne und den Sternen besteht. Achte recht sorgfältig auf diesen Vergleich! Es wäre bei deinem ausgezeichneten Scharfsinne nicht unmöglich, daß wir hier im Vorübergehen eine von dir über die Menschheit Christi aufgeworfene Frage beantwortet haben.
4.
Du fragst ferner, ob jene höchste Wahrheit und Weisheit, jenes Urbild aller Dinge, durch das alles geschaffen wurde und das unsere Religion als den Sohn Gottes erklärt, nur die menschliche Natur im allgemeinen oder die Natur eines jeden einzelnen Menschen angenommen habe. Das ist eine Frage von nicht geringer Wichtigkeit. Indessen scheint mir, daß nur die menschliche Natur überhaupt, nicht gerade deine oder meine Natur, den Menschen ausmache, daß aber im Laufe der Zeit die menschliche Natur in verschiedenen Menschen in verschiedener Weise zur Geltung gekommen sei. Da aber diese Sache sehr schwer zu erklären ist, so weiß ich nicht, durch welches Gleichnis sie erhellt werden könnte, wenn wir nicht zu den in unserer Seele ruhenden Begriffen unsere Zuflucht nähmen. So ist in der Geometrie die Natur eines Winkels oder eines Vierecks immer dieselbe. So oft ich also einen Winkel zeigen will, habe ich es immer mit einer und derselben Natur des Winkels zu tun. Auch könnte ich kein Viereck zeichnen, wenn ich nicht dabei auf die Beschaffenheit der vier Winkel achtete. So ist jeder Mensch mit der einen Natur erschaffen, durch die man ihn als Menschen erkennt. Zum Begriff eines Volkes aber gehört zwar auch die eine menschliche Natur, aber nicht die eines einzelnen Menschen, sondern die der Menschen überhaupt. Wenn also Nebridius, wie es ja auch in Wirklichkeit ist, ein Teil dieses Ganzen ist und jedes Ganze aus Teilen besteht, so müßte wohl Gott, der Weltenschöpfer, auch die Natur der einzelnen Teile annehmen. Da diese aber die Natur aller Menschen ist, so bezieht sie sich nicht auf jeden einzelnen Menschen, obwohl alles auf wunderbare Weise im Zusammenhange steht17. Doch du wirst wohl mit größerer Ruhe hierüber nachdenken. Begnüge dich inzwischen mit dem, was ich geschrieben; denn ich habe beinahe schon die Länge des Nävius übertroffen.
X. (Nr. 16.) Maximus Madaurensis an Augustinus
Geschrieben im Jahre 390.
Von Maximus Madaurensis an Augustinus.
Inhalt. Der heidnische Philosoph Maximus in Madaura bittet Augustinus, ihm in schlichten Worten das Wesen der Gottheit zu erklären. Er verteidigt den Polytheismus der Römer, obwohl er anerkennt, daß all die vielen Götter nur Ausstrahlungen des einen, unbekannten Gottes seien, und verspottet die merkwürdigen Namen der punischen Heiligen.
1.
Da ich wünsche, häufig durch Nachrichten von dir erfreut zu werden, und Verlangen nach deiner Logik trage, mit der du mich kurz vorher auf so angenehme Weise, ohne Verletzung des Taktes, angegriffen hast, so unterlasse ich es nicht, dir in demselben Geiste zu antworten, da du sonst mein Schweigen als ein Eingeständnis meiner Niederlage ansehen könntest. Doch bitte ich dich: leihe diesen Sätzen ein freundliches Gehör, auch wenn du in ihnen die Schwäche des Alters spüren solltest.
Die griechische Mythologie berichtet uns, allerdings ohne genügende Sicherheit, daß der Olymp die Wohnung der Götter sei. Aber tatsächlich sehen wir, daß das Forum unserer Stadt von einer Menge gütiger Götter in Besitz genommen ist; und wir billigen es. Wer könnte denn auch so toll und verblendet sein, in Abrede zu stellen, daß es einen höchsten Gott gibt, ohne Anfang, ohne Erzeugung, der in der Tat der große und mächtige Vater des Alls ist? Seine Kräfte, die durch das ganze Weltall verstreut sind, sind es, die wir unter vielen Namen anrufen, da wir ja alle seinen eigentlichen Namen nicht kennen. Denn ‚Gott’ ist ein allen Religionen geläufiger Begriff. So kommt es, daß wir uns einzelnen Gliedern von ihm in mannigfachen Bitten nähern, in Wirklichkeit aber offenbar ihn, in dem sich all diese Teile vereinigen, verehren.
2.
Aber daß ich unmöglich über die Größe deines Irrtums hinwegsehen kann, will ich dir nicht verheimlichen. Könnte in der Tat jemand schweigen, wenn dem Blitze schleudernden Jupiter ein Miggo vorgezogen wird? Der Juno, Minerva, Venus, Vesta eine Saname? Allen unsterblichen Göttern aber — o Frevel! — der Erzmärtyrer Namphanio? Wird doch auch unter jenen Lucitas mit nicht geringer religiöser Verehrung betrachtet, und ebenso andere in unbegrenzter Zahl (Namen, die verabscheut sind von Göttern und Menschen), die dann, wenn sie das schmachvolle Ende fanden, das ihnen Charakter und Haltung verdient hatten, ihre Verbrechen krönten, indem sie einen edlen Tod vortäuschten, obwohl sie sich doch ihrer verabscheuungswürdigen Taten bewußt waren. Solcher Personen Grabmäler (wenn man es überhaupt erwähnen soll!) besuchen nun die Toren, die unsere Tempel verlassen und die Götter ihrer Vorfahren vernachlässigen, so daß die Weissagung jenes grollenden Dichters erfüllt ist: „In Tempeln der Götter schwört Rom bei Schatten von Menschen.“18.
Mir wenigstens scheint es, als ob zu dieser Zeit ein zweiter aktischer Krieg begonnen habe, in dem ägyptische Ungeheuer, zu baldigem Untergange bestimmt, es wagen, ihre Waffen gegen die Götter der Römer zu kehren.
3.
Aber, du weisester Mann, ich beschwöre dich: laß doch beiseite jene Kraft der Beredsamkeit, durch die du bei allen berühmt bist, und verzichte auf sie; laß auch die Beweisgründe eines Chrysippus19, die du in der Debatte zu verwenden pflegtest; laß auch auf kurze Zeit deine Dialektik, die doch niemandem etwas Rechtes sagen kann, auch wenn sie alle Kräfte aufbietet. Zeige mir lieber mit schlichten Worten, wer jener Gott ist, den ihr Christen wie euer eigen für euch in Anspruch nehmt und den