Er gab Ned die Hand, leichthin, als ob wir uns an einem Herbstmorgen zur Jagd träfen, wenn die Blätter rostbraun sind und die Meute zu unseren Füßen kläfft. Es war immer Vincents Art gewesen, eine Szene zu heller zu machen. Es gibt Menschen, wie Edmund Burke sagen würde, deren Leben eine gewisse Eleganz beschert worden ist, und von dieser Eleganz hatte Vincent einen großen Vorrat, eine Tatsache, die der Ironie nicht entbehrt, wenn wir bedenken, daß alles aus den harten, mit verschwitzten Handflächen getätigten Geschäften in Dennis Tullys Laden floß – gescheckte Stute, weiche weiße Wäsche, alles. Aber das ist ungerecht von mir. Es gibt Leben, die sich zu einer Musik bewegen, glückliche Leben, und einige, die meisten, tun das nicht.
Neds Leben war nicht so. Er behielt Vincents Hand aus lauter Höflichkeit einen Moment lang in seiner, berührte seinen Oberarm, wandte sich dann Bob zu und nickte.
Wir hatten den Männern befohlen, sich in Reih und Glied aufzustellen, und sie standen verlegen und stumm da, preßten die Hände an die Seite, die groben Jacken, in denen sie die Arbeit eines langen Tages ausgeführt hatten, wirkten in der Dunkelheit weniger grob, ihre formlosen Hüte waren weich geworden von vielen Jahren voller Regen und Wind. Bob hatte ihnen mitteilen lassen, sie sollten weder ihre Piken noch die wenigen Schußwaffen mitbringen, mit denen wir prahlen konnten. Ich kannte sie allesamt mit Namen, aber nur fünf oder sechs waren mir einigermaßen vertraut – Männer, heißt das, mit denen ich abends schon mal einen getrunken hatte. Und diese wenigen waren alle Männer, die ihren eigenen kleinen Besitz hatten; die anderen waren Arbeiter: Ein Junge arbeitete für den Hufschmied, der junge Joe Harrington in der Mietstallung. So groß war damals der Abgrund, der einen Schulmeister und andere Menschen trennte, Gott helfe uns allen.
Bob ging mit dem selbstsicheren Schritt, den er damals immer hatte, zu ihnen hinüber, Ned war neben ihm.
»Jungs«, sagte Bob, »einige von euch wissen schon, wer dieser Mann hier bei mir ist, denn ihr habt ihn vielleicht in den letzten Tagen in den Straßen von Kilpeder gesehen. Er ist einer von uns, in Kilpeder geboren, und der Sohn von Thomas Justin Nolan, dessen Namen wir alle ehren. Einer der Helden von 48.«
Vincent und ich traten vor, und obwohl ich den Hals reckte, konnte ich Neds Gesicht nicht sehen. Er hatte mir seinen kantigen, steifen Rücken zugedreht.
»Und außerdem ist er Hugh MacMahons Vetter.« Ich nickte in meiner Position als Vetter, und, ohne es zu sehen, konnte ich Vincents Lächeln spüren.
»Wichtiger aber ist«, sagte Bob, »daß er hergekommen ist, um in Kilpeder das Kommando zu übernehmen. Ned ist Captain Nolan der Armee der Irischen Republik, und Hugh und ich haben das Dokument gesehen, das ihm dieses Kommando überträgt. Ein echtes Dokument mit Siegel und Motto und allem, was dazu gehört. Die Organisation hat alles so gemacht, wie sich das gehört beim Militär.«
Die Männer standen schweigend da und rührten sich nicht, denn was sollten sie schließlich auch sagen? Aber ich stellte mir vor, eine Bewegung spüren zu können, die sie durchlief, so wie der Wind die Oberfläche eines Sees kräuselt. Das war für mich fast das Seltsamste in diesen Wochen und der Beweis, falls ein Beweis noch vonnöten war, daß Krieg ein bizarres Unterfangen ist, bei dem ganz unterschiedliche Burschen zu einem unergründlichen Organismus werden, sowie sie in Reih und Glied angetreten sind. Nicht, daß wir eine umwerfende Armee waren, weiß Gott.
»Und er ist noch mehr«, fuhr Bob fort. »Wir haben hier ja schon von Iren gehört, die im Großen Krieg in den Staaten gedient haben, der jetzt zu Ende gegangen ist, und einige unter ihnen haben es zu hohem Rang gebracht, sind General und Colonel und dergleichen geworden. Aber wer in West Cork hat schon einen von ihnen gesehen? Nun, bei Gott, dieser Mann steht jetzt vor uns! Ned Nolan ist aus gutem Grund zu unserem Kommandanten ernannt worden. Drei Jahre hat er in der Nordstaatenarmee gekämpft und hat sich in diesem großen Konflikt tapfer geschlagen. Er kennt sich in Armeefragen besser aus als irgendein rotröckiger Engländer, der durch die Straßen von Cork oder Fermoy stolziert und der nur weiß, wie er sich bei nackten Hindus oder den Wilden in Afrika als großer Herr aufspielen kann.«
Der Schößling zeigt bereits, wie der Baum dereinst aussehen wird. Eines Tages, fünfzehn Jahre in der Zukunft, sollte ich unter tausenden, auf jeden Fall unter hunderten dastehen, um Bob Delaneys Rhetorik zu hören. Damals war in der nationalistischen Presse immer von Rhetorik die Rede, niemals von einer simplen Rede. In diesen Tagen stand eine erhöhte Tribüne zu seiner Verfügung, ausgeschmückt mit Fahnentuch, grün und weiß mit gelben Sonnenaufgängen, hinter ihm saßen Honoratioren, mit steifen Kragen, hohe, gebürstete ebenholzschwarze Hüte ruhten auf ihren Knien. Flackernde Pechfackeln ließen diesen Anblick großartig wirken, orange Flammen grell vor der Schwärze eines Marktplatzes in der Provinz. Und Gesichter, darunter mein eigenes, die zu ihm hochschauten. Aber der alte Baum liegt eben bereits in der Eichel.
»Da seht ihr!« sagte er. »Jetzt können wir das Exerzierbuch von diesem französischen Gecken wegschmeißen, mit seinen Feldwachen und seinen Augen rechts und den Tanzmeisterbefehlen. Captain Nolan kann uns zeigen, wie die Iren in den Tälern von Virginia auf und ab marschiert sind.« Er streckte die Hand aus und nahm seine steife Melone ab, die er vor einem Jahr gekauft hatte, um zu zeigen, daß er nun Dennis Tullys Ladengehilfe war, und schwenkte sie seitwärts, mit einem Hauch von Selbstverspottung.
Einer der Männer stieß eine Art Willkommensschrei aus, dann nahmen die anderen ihn auf, rauh und kurz, eher ein höflicher Willkommenslärm als irgend etwas Militärisches, dann herrschte wieder Schweigen. Nach einer Pause trat Ned vor, fort von Bob und näher zu ihnen hin.
»Ich bin wirklich glücklich«, sagte er, »wieder zu Hause zu sein, wo ich hingehöre. Was Bob Delaney euch gesagt hat, trifft zu. Ich habe während des Krieges mit der Nordarmee gekämpft, in der Irischen Brigade, wie sie genannt wurde, und ich habe bei ihr das Kriegswesen gut gelernt und an einigen Schlachten teilgenommen. Aber ich war kein General oder Colonel. Ich war zuerst gemeiner Soldat, dann für die meiste Zeit Corporal, und erst, als es aufs Ende zuging, wurde ich zum Sergeant befördert. Aber das ist für uns hier kein Nachteil. Denn bei dem, was für den festgesetzten Tag von uns hier in Kilpeder erwartet wird, würde uns ein General nicht besser von Nutzen sein als ein Bischof. Von uns wird Sergeanten- oder höchstens Leutnantsarbeit verlangt. Ich nehme den Rang eines Captains in unserer Armee ein, wie Bob euch gesagt hat, und es ist das Beste, wenn ihr diese Anrede mir gegenüber verwendet. Mehr gibt es über die Rangfrage nicht zu sagen, Schluß damit. Eine Kommission ist nur ein Wort auf hübsch dekoriertem Papier. Was wir im Kopf behalten müssen, ist, daß wir alle einen Eid auf die Irische Republik abgelegt haben, die jetzt de facto existiert.«
Ich weiß nicht, was die Jungs erwartet haben, aber vermutlich nicht Neds tonlose, unenthusiastische Worte. Im Laufe der Monate hatte Bob notwendigerweise eine patriotische Beredsamkeit entfaltet, die selbst Dan O’Connell Ehre gemacht hätte, unserem Befreier, und von diesem Sendboten aus fernen Schlachten hatten sie vielleicht noch größere Worte erwartet. Vielleicht auch nicht. Vielleicht beunruhigte sie dieser Beweis dafür, daß wir uns alle in den Maschen einer Organisation versponnen hatten, deren Wurzeln weit von West Cork entfernt saßen. Ned konnte sich einbilden, wieder zu Hause zu sein, für die Jungs war er ein Fremder.
»Ich habe Bob Delaney hier zu meinem Stellvertreter ernannt. Und Hugh MacMahon und Vincent Tully sind die beiden Adjutanten. Das bedeutet, daß ihr jedes ihrer Kommandos so ausführen müßt, als käme es von mir. Und meine Kommandos kommen für euch vom Stab der Armee der Irischen Republik. Ihnen ist sofort und ohne zu fragen Folge zu leisten. Das wär’s.«
Langsam ging er an den Männern vorbei, drehte sich dann um und ging zurück. Als er sich umdrehte, konnte ich kurz sein Gesicht in der Dunkelheit sehen, hohe Wangenknochen, eingefallene Wangen, sonst nichts.
»Bob hat mir gesagt, daß es bisher, vielleicht im letzten Jahr, Männer gegeben hat, die den Eid abgelegt und mit euch exerziert haben und die dann ausgestiegen sind. Ich kann das verstehen. Hinter uns liegt eine lange, nervenaufreibende Zeit für uns alle. Aber diese