Der Schrei der Kröte - Roland Benito-Krimi 1. Inger Gammelgaard Madsen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Inger Gammelgaard Madsen
Издательство: Bookwire
Серия: Roland Benito-Krimi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711571682
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des Rests der Obduktion – es war der schlimmste Teil – versuchte Roland, all seine Sinne auszublenden. Nur der Gehörsinn war ganz allein auf die Stimme des Rechtsmediziners konzentriert, der routiniert jedes Organ kommentierte, das er gerade untersuchte. Alle übrigen Geräusche versuchte er zu überhören. Er hielt den Atem an, damit die Gerüche nicht in ihn eindringen konnten, und nahm deutlich wahr, wie steif er hier dastand und auf seine Hände starrte, wobei er selbst eine so belanglose Sache bemerkte wie den schwarzen Trauerrand unter seinem rechten Daumennagel. Er hatte Irene gestern Abend im Garten ein wenig mit dem Rosenbeet geholfen. Die Obduktion eines Kindes war ein Erlebnis, das einfach nur unerträglich war.

      »Ihr bekommt meinen Bericht morgen im Laufe des Nachmittags«, schloss Leander und entließ sie mit diesen Worten in die Freiheit.

      Es war eine Erleichterung, aus dem Institut für Rechtsmedizin zu treten und die frische Luft einzuatmen. Die Sonne brach für einen kurzen Besuch durch die Wolken und strahlte erbarmungslos grell auf die Autodächer. Die Wärme seines schwarzen Fiat Stilo, aus dem es nach Ledersitzen roch, verlieh Rolands Brechreiz neuen Nachdruck, als er die Fahrertür öffnete. Er lehnte sich einen Augenblick gegen den Wagen, während er die dringend nötige Zigarette rauchte und den Fiat mit offenen Türen durchlüftete. Vizepolizeidirektor Kurt Olsen hatte nun ebenfalls das Gebäude verlassen und stellte sich neben ihn.

      »Verdammte Sache«, meinte er und zog seine blankpolierte Stanwell-Pfeife hervor. Die Pfeife des dänischen Herstellers war sein Markenzeichen. Er stopfte sie sorgfältig mit duftendem Mac-Baren-Tabak, und man sah ihm an, wie sehr er den ersten Zug genoss. Kurt Olsen war ein Mann, der etwas von Pfeifen verstand. Roland hatte die Stanwell nie wegen zu viel Feuchtigkeit gurgeln hören.

      »Wir müssen eine Pressekonferenz ansetzen. Die Buschtrommeln sind bereits lebhaft in Gang und schüren die Gerüchteküche. Keine Ahnung, wie diese Journalisten das hinkriegen. Sie scheinen eine Leiche aus der Ferne riechen zu können«, murmelte Roland halblaut.

      »Wir gehen nicht an die Presse, solange wir das Mädchen nicht identifiziert haben und die Eltern nicht benachrichtigt sind. Nur blöd, dass die Presse schon davon weiß.« Kurt Olsen zog missmutig an seiner Pfeife. »Verdammt, uns fehlt eine DNA-Datenbank sämtlicher Einwohner, dann wäre sie leicht zu identifizieren. Aber wieso gibt es denn niemanden, der ein kleines Mädchen vermisst? Wir können ja nicht in ganz Brabrand herumlaufen, an jeder Tür klingeln und fragen, ob jemandem eine Tochter fehlt«, sagte Roland und klopfte die Asche von der Zigarette ab. »Sollten wir jetzt schon eine Suchmeldung herausgeben?« Kurt Olsen nickte abwägend und nahm erneut einen Zug von seiner Pfeife. »Ich möchte aber zunächst noch ein wenig abwarten – vielleicht meldet sich die Familie ja noch selbst. Aber falls das bis heute Abend nicht passiert ist, müssen wir es tun.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Ich würde meine Tochter nie eine ganze Nacht fortbleiben lassen, ohne zu reagieren, du etwa? Es muss besondere Umstände geben, warum das Mädchen nicht vermisst wird.«

      »Oder die Eltern haben etwas zu verbergen«, knurrte Roland.

      Kurt Olsen setzte sich in seinen Wagen und wollte gerade die Tür zuziehen, als er sie unvermittelt wieder aufstieß und Roland direkt ins Gesicht sah.

      »Ich will alle Pädophilen haben sowie alle, die uns in Verbindung mit Kinderpornografie bekannt sind. Hol sie aus der Versenkung. Wir werden sie uns vornehmen. Dieser Typ muss verdammt noch mal gefunden werden.«

      8

      Es blendete, wenn man aufs Meer und die weißen Segelboote im hellen Sonnenschein hinausblickte. Kamilla nippte an dem kühlen Weißwein, den Majken bestellt hatte, und hielt Ausschau nach ihrer Freundin. Sie hatte sich vor zehn Minuten auf den Weg zur Toilette gemacht. Vielleicht hatte sie ja anstehen müssen. Es waren ziemlich viele Menschen im Lokal. Sie warf einen Blick über die Menschenmenge, da entdeckte sie sie endlich. Sie unterhielt sich mit ein paar Leuten weiter hinten im Restaurant.

      Abwesend vertiefte sie sich wieder in die schöne Aussicht und die Beobachtung zweier Möwen vor dem Fenster, die versuchten, irgendetwas von einem Boot zu erhaschen. Sie konnte gar nicht aufhören, sich darüber zu wundern, wie groß und schön die Vögel in ihrem schneeweißen Federkleid waren, das jetzt in der Sonne glänzte.

      »Kamilla, ich habe diese beiden Herren an unseren Tisch eingeladen.« Majkens unvermittelte Stimme ließ sie erschreckt zusammenzucken. Die Enttäuschung darüber, dass Majken fremde Menschen in ihren Kreis hineinzog, jetzt schon, stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie hatte gehofft, mit der Freundin ein wenig allein reden zu können. Es ging ihr zu schnell mit dem sozialen Kontakt, auf den sie immer noch keine Lust hatte, und es wunderte sie, dass Majken diese Möglichkeit überhaupt nicht in Erwägung gezogen hatte.

      »Troels hier ist einer meiner Patienten. Und das hier ist Danny.« Majken zog den Mann auf eine fast ehrerbietige Art hinter Troels hervor, wie ein Zauberkünstler das weiße Kaninchen aus dem Hut zieht. Troels organisierte einen Stuhl von einem der anderen Tische, damit sie alle zusammensitzen konnten. Er rief den Kellner. Kurz danach kam der mit einer Flasche kühlem Riesling an ihren Tisch. Troels schenkte reihum ein, aber als er bei Danny angelangt war, legte der seine Hand über das Glas. »Nein danke, ich muss fahren.«

      »Aha, verdammt, ein heiliger Mann.« Troels lachte.

      Es war deutlich zu bemerken, dass Majken sich für Danny interessierte. Auch Kamilla musste widerwillig zugeben, dass er einen gewissen Reiz ausstrahlte. Seine Hände waren sehr hübsch und schlank. Sie lagen ruhig auf dem weißen Tischtuch. Seine Augen waren braun und von einer Wärme, die es angenehm machte, einfach in sie hineinzustarren. Sie ertappte sich selbst dabei.

      Schnell wechselte die Stimmung am Tisch von peinlich-gehemmt zu lebhaft. Viele der Anekdoten, die die anderen zu berichten wussten, waren so lustig, dass auch Kamilla zuletzt dem Drang zu lachen nachgeben musste, und sich bewusst wurde, dass sie sich lange nicht mehr derart wohlgefühlt hatte. Aber dann kamen die Schuldgefühle. Wie konnte sie hier sitzen und lustig sein, wenn sie ihren Sohn verloren hatte?

      »Du hättest deine Kamera mitnehmen sollen, Kamilla! Schau mal dort!« Majken riss sie aus ihren Gedanken. Sie zeigte auf das Fenster. Die beiden Möwen balgten sich um irgendetwas. Ganz in ihren Kampf versunken, kamen sie immer wieder sehr nah an das Fenster heran. Genau solche Situationen hatte Kamilla früher immer gerne mit ihrer Linse festgehalten. Die Kamera war ihr treuer Begleiter gewesen, den sie immer bei sich trug, wie ein Schüler seinen Ranzen.

      »Sie sind Fotografin?« Danny klang überrascht. Als hätte er ihren Beruf bereits zu raten versucht und sei dabei zu einem ganz anderen Ergebnis gekommen.

      »Ja, aber ich mache gerade eine Pause – setze für ein Jahr aus.« Sie schielte zu Majken hinüber, aber die Freundin ließ sich nichts anmerken. Sie wusste, dass Majken der Ansicht war, dass Kamilla in ihrer Trauerarbeit eigentlich längst viel weiter sein sollte. Sie hatte keine Lust, von dem Auftrag zu erzählen, den sie heute erstmals wieder übernommen hatte. Nicht jetzt, wo zwei Fremde am Tisch saßen. Übrigens gab es für sie auch eine Form von Schweigepflicht, wenn sie für die Presse arbeitete.

      »Haben Sie dann ein Entwicklungslabor mit rotem Licht?« Troels sah sie aus bleichen Augen neugierig an. Allmählich begann bei ihm der Wein seine Wirkung zu zeigen.

      »Heutzutage läuft alles digital, so dass Dunkelkammern nicht mehr nötig sind«, erklärte sie.

      »Aber Sie besitzen ein eigenes Fotostudio?«, fragte Danny interessiert. »Ein ganz kleines. Ich arbeite freiberuflich für Werbebüros, Presse, Illustrierte und so weiter. Ich bin also meist unterwegs, wenn ich arbeite.« Bei diesen Worten musste sie daran denken, wie viele Male im letzten Jahr vergeblich bei ihr angerufen worden war. Zu Anfang hatte das Telefon sehr häufig geklingelt, dann waren die Interessenten aber immer weniger geworden. Vielleicht hatte sie inzwischen ja alle ihre festen Kunden verloren, und wovon sollte sie dann leben? Aber jetzt hatte sie ja den Job mit der Journalistin zusammen. Den Mord an dem kleinen Mädchen.

      9

      Es gab kein großes Empfangskomitee, als Anne in die Redaktion zurückkehrte. Der Geruch von Kaffee, IT-Ausstattung und den alten Zigaretten in Thygesens