Der Schrei der Kröte - Roland Benito-Krimi 1. Inger Gammelgaard Madsen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Inger Gammelgaard Madsen
Издательство: Bookwire
Серия: Roland Benito-Krimi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711571682
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nahm seine Jacke und warf sie sich über die Schulter. Er lächelte. Offensichtlich wollte er noch etwas sagen, wusste aber nicht was. Mit langsamen, unsicheren Schritten kam nun Troels zu ihnen herübergestapft und klopfte Danny mit geballter Faust auf die Schulter.

      »Das hier ist verdammter Blödsinn, ich kann sehr wohl fahren«, maulte er und warf sich nachlässig die Jacke über. Dann umarmte er sie ungeschickt. Sein Atem stank nach Alkohol, sie löste sich diskret aus seinen Armen.

      Majken kam, um sich von Danny zu verabschieden. Sie ließ ihre Hand ein wenig zu lange in der seinen ruhen und sah ihm dabei flirtend in die Augen. »Ich hoffe, dass wir uns wiedersehen«, sagte sie mit weicher Stimme, so dass kein Zweifel bestand, was sie mit dem betonten Wir meinte.

      Kamilla zog ihre Jacke an und bedachte ihre Freundin mit einem musternden Blick. So war Majken all die Jahre über gewesen, seit sie sich kennengelernt hatten. Charmant und taktvoll. Sie wunderte sich, dass ihre so humorvolle und intelligente Freundin offenbar nie einen festen Partner in ihrem Leben gehabt hatte, zumindest hatte sie nie etwas dergleichen erzählt. Kamilla überlegte, wie lange es nun her war, dass sie selbst so verliebt gewesen war, dass es ihr förmlich den Boden unter den Füßen weggerissen hatte. Jan war ihre erste große Liebe gewesen. Sie hatten einander am Gymnasium in Horsens kennengelernt. Sie hatte sich oft gefragt, ob er für sie vielleicht nur die Fahrkarte weg von ihrer Mutter gewesen war, weg von dem traurigen Zuhause voller Selbstvorwürfe und Weltuntergangsprophezeiungen, die sich über die Jahre hinweg wie ein Mantra in Kamillas Gehirn festgesetzt hatten. Je länger sie und Jan zusammen gewesen waren, desto weniger hatten sie nämlich zueinander gepasst. Und nachdem sie Rasmus bekommen hatten, war alles nur noch schlimmer geworden. Jan war für ein Kind einfach nicht reif gewesen, das hatte sie schon während der Schwangerschaft gemerkt. Obwohl Jan seinen Sohn liebte, war die Verantwortung als Vater zu viel für ihn gewesen. Und so hatte er sich davongemacht. Und jetzt war es zu spät. Diese Chance bekäme er nie wieder.

      Vor dem Restaurant blieben sie stehen und schauten dem davonfahrenden Wagen nach.

      »Das hat er gut gemacht – für einen Kerl, den er gar nicht kennt«, sagte Majken mit einem leisen Lächeln. Sie legte Kamilla den Arm um die Schulter. »Hast du Lust, mit mir ein Stück spazieren zu gehen? Das Wetter ist gerade so schön.«

      Sie nickte. Frische Luft war im Moment genau das Richtige für sie.

      Bei klarem Wetter wie jetzt war die auf der anderen Seite der Bucht liegende Halbinsel Mols deutlich sichtbar. Sie gingen schweigend und ließen den Blick über die schönen Segelboote schweifen, die im Hafen verankert lagen – er hatte für ungefähr sechshundert Boote und hundert Jollen Platz. Aufgrund des nassen Sommers waren nicht so viele Segler von außerhalb gekommen wie sonst.

      Der Eigentümer eines der Boote nutzte das trockene Wetter dazu, den Bug neu zu streichen. Eine Frau war dabei, das Deck zu schrubben. Ein älterer Herr, der aussah wie ein alter, erfahrener Seebär, saß auf einer Bank und rauchte seine Pfeife, während er das Leben auf den Booten verfolgte. Die Abendsonne hatte begonnen, den Himmel rötlich zu färben, und die einzigen Laute ringsum waren das beruhigende Schwappen des Wassers, das gegen die Mole schlug, und das Zwitschern einer Amsel in der Ferne. Es duftete nach Teer und Meer. Am Nordende des Jachthafens verfügten die Freizeitfischer über mehrere eigene Anlegestege sowie ein Klubhaus. Die Läden an den braunen Holzhäusern, die mit ihren charakteristischen, wie mit einer gezahnten Stoffschere geschnittenen Dächern an die traditionellen Häuser von Skagen erinnerten, waren geschlossen. Die Abendsonne glänzte in der großen Glasfassade des Segelklubs und spiegelte sich im Hafenbecken. Vom überdachten großen Grillplatz, der zwischen der Grillbar und dem Servicegebäude des Hafens lag, drang der Duft von Essen in Kamillas Nase, und im Weitergehen tönte vom Kinderspielplatz und der Minigolfbahn Lärm herüber. Sie hatte Rasmus oft hierher mitgenommen, wo es für einen kleinen Jungen so viel Spannendes zu sehen gab.

      Majken lächelte immer noch.

      »Danny hat dir gefallen, nicht wahr?«, fragte Kamilla.

      Majken sah sie mit fröhlichen Augen an. »Er ist einfach der leckerste Typ, dem ich seit langem begegnet bin.«

      Ihre Wortwahl ließ Kamilla lächeln – als seien Männer etwas, was man einfach konsumierte.

      »Hast du dich nicht auch ein wenig zu ihm hingezogen gefühlt?«

      Majken nahm sie am Arm und knuffte ihr neckend in die Hüfte, als wolle sie sie umwerfen. Kamilla zuckte die Schultern. Ja, stimmte schon, es war lange her, dass sie ein so sympathisches Exemplar des anderen Geschlechts getroffen hatte.

      »Er war ganz hübsch«, gab sie zur Antwort.

      »Ganz hübsch – jetzt hör aber mal, Kamilla.« Majken lachte und ließ Kamillas Arm wieder los. »Ich könnte morden, um einen solchen Mann zu kriegen.«

      Sie sah plötzlich wie ein verliebter Teenager aus. So hatte Kamilla sie nie zuvor erlebt.

      11

      Er musste die Gelegenheit nutzen, einigermaßen zeitig nach Hause zu kommen. Roland hatte das deutliche Gefühl, dass es dazu in nächster Zeit nicht mehr so viele Möglichkeiten geben würde. Aber heute waren sie noch nicht recht vorangekommen. Am späten Nachmittag hatten sie noch eine Vermisstenmeldung an die Medien weitergegeben, die in Radio und Fernsehen ausgestrahlt worden war. Sie konnten jetzt hoffen, dass es bald Reaktionen gab, die zur Identifizierung des Mädchens führten. Dann erst konnten sie weiterkommen.

      Auf dem Strandvej spürte er die Kühle des Meeres, und er roch die See und den Tang durch das offene Fenster. Ein Transporter des Aarhuser Zubringerunternehmens Unifeeder, schwer beladen mit farbigen Containern, war in gemächlichem Tempo Richtung Hamburg unterwegs. Einige Segler nutzten die Sonnenscheinphase aus, um ihre Boote ins Wasser zu lassen. Die Straßen waren bisher ziemlich frei gewesen, und wüsste er es nicht anders, es wäre ein ganz normaler Vorabend nach der Arbeit. Doch das Bild vom toten Mädchen im Container zerstörte diese Illusion. Er zündete sich eine Zigarette an und blieb geduldig im Stau stehen, der sich prompt nun doch noch eingestellt hatte. Als er endlich auf den Oddervej einfuhr, löste die Kühle des Waldes die des Meeres ab. Sein Magen knurrte hungrig. Er fragte sich, was Irene wohl zum Abendessen kochen würde. Sie selbst machte gerade eine Diät, was auch ihn in Mitleidenschaft zog – aber gerade jetzt hätte er alles essen können. Für einen kurzen Augenblick überlegte er, schnell abzubiegen und bei »Pizza und Bøf« eine Pizza mit einer dicken Schicht Mozzarella zu verdrücken und eine Cola zu trinken, aber er verkniff es sich. Er kam ohnehin schon zu spät zum Abendessen. Das konnte er Irene nicht antun. Das Haus im Aarhuser Vorort Højbjerg war Irenes Elternhaus. Es war 1953 erbaut worden, und sie hatten es übernommen, als Irenes Eltern nach ihrer Pensionierung in eine kleine Wohnung ohne großen Garten und ohne Treppen im Zentrum von Aarhus gezogen waren. Roland hatte das Haus geliebt, seit er es das erste Mal gesehen hatte. Letztes Jahr hatten sie eine Hypothek auf das Haus aufgenommen und mit dem Geld die Villa vom Keller bis zum Dachboden modernisiert. Sie hatten sich sogar ein neues Dach leisten können.

      Als er in die Wohnstraße einbog, konnte er bereits den hohen Giebel und das Fenster im ersten Stock über die Bäume ragen sehen. Die Einfahrt und der Terrassenbereich waren mit italienischen Fliesen gepflastert und mit Irenes Terrakottatöpfen geschmückt, in die sie blaue Hortensien gepflanzt hatte. Ein besseres Haus hätten sie nicht haben können. Es war nicht weit bis zum Wald und zum Strandbad Ballehage, das er oft besuchte. Er liebte das Wasser – nicht nur im Sommer, sondern auch im Winter, denn er war ein aktiver Winterschwimmer. Eigentlich war das Eisbaden für einen Südländer wie ihn nicht gerade üblich. Aber wo er sich doch schon entschieden hatte, ein Wikinger zu werden, warum sollte er dann nicht auch das volle Programm absolvieren? An den frühen Wintermorgen, wenn hell die Kristalle des Schnees blitzten und die Kälte in die Haut schnitt, traf er dort auf andere mit demselben eisigen Hobby. Viele von ihnen standen bereits im hohen Alter. Ein paar dieser Kerls waren schon über neunzig, was in Roland die Überzeugung geweckt hatte, dass, wenn man in Eiswasser von ungefähr zwei Grad Celsius einstieg, das Leben von dem kalten Schock verlängert werden konnte.

      Er fluchte leise und bremste, als er sah, dass sein Parkplatz besetzt war. Der blaue Saab