»Okay, dann tschüss. Ich werde zusehen, dass ich rasch wieder nach Hause komme.«
Wuchtvoll knallte sie die Tür zu, um den Ton des Fernsehers zu übertönen. »Das brauchst du verdammt noch mal gar nicht«, murmelte er – aber erst, nachdem er die Tür hatte knallen hören.
In der Halbzeit des Fußballspiels holte er sich ein neues Bier aus dem Kühlschrank. Unter einem Stück Alufolie hatte sie ihm das Essen bereitgestellt, er musste es nur noch in die Mikrowelle schieben. Er hatte keine Lust nachzusehen, was es war. Es war selten etwas Interessantes. »Karrierefrauen haben keine Zeit, anständiges Essen für ihre lausigen Männer zu machen.« Er verzog sein Gesicht und öffnete das Dosenbier so energisch, dass es auf den Küchenboden spritzte. Er wischte die Sauerei mit einem Tuch auf, bevor er sich schwerfällig wieder aufs Sofa plumpsen ließ. Die Pausen waren beim Fußball das Schlimmste. Es nervte, dazusitzen und sich all die Spezialisten anhören zu müssen, die vorherzusagen versuchten, was in der zweiten Halbzeit passieren würde. Warum, zum Teufel noch mal, ließ man sie nicht einfach weiterspielen?
Immer mussten Spezialisten alles beurteilen. Sogar der Krieg im Irak musste von klugen Kriegsspezialisten analysiert werden. Oder von Politikern, die dort unten mal schnell einen Zwischenstopp eingelegt hatten und nun glaubten, alles gesehen zu haben und zu Hause erzählen zu können, dass alles unter Kontrolle sei. Er schnaubte verächtlich. Die hatten doch keine Ahnung, was die Soldaten dort unten durchzumachen hatten. Es war so einfach, außen vor zu stehen und zu urteilen. Sie, die Soldaten, waren es, die bleiben mussten und für die nun die Worte aus jener bekannten dänischen Hymne – »Kämpfe für alles, was du lieb hast, stirb, wenn es sein muss« – eine ganz andere Bedeutung annahmen. Bomben am Straßenrand, Angriffe aus dem Hinterhalt, Selbstmordattentate. Eine Militäruniform, die sie nicht einmal am Abend durch Zivilkleidung ersetzen durften. »Es ist kein Ferienlager«, hieß es. Aber daran bestand ja wohl auch kein Zweifel. Ihm wurde schlecht, wann immer er an die Hitze und den Gestank zurückdachte, die dort geherrscht hatten – und an die Angst, auch wenn er sie sich nicht eingestehen wollte. Nicht jetzt, nachdem er wieder zu Hause im kleinen, sicheren Dänemark angekommen war. Aber des Nachts konnte er sie nicht mehr unter den Teppich kehren. Die schrecklichen Albträume, die eigenen lauten Schreie ließen ihn fast jede Nacht hochschrecken. Es war ein Glück, dass Vera ihn längst aus dem nun nicht mehr gemeinsamen Schlafzimmer verbannt hatte. Aber wahrscheinlich hörte sie ihn trotzdem noch immer.
»Bla, bla, bla«, äffte er den Kommentator nach und zappte weiter. Von Sender zu Sender nur Werbung, Werbung, Werbung – und von so einem Zeug lebte dieser Kerl, den er im Restaurant getroffen hatte. Den Leuten Lügen erzählen, damit sie mehr Geld ausgaben. Ihnen längeres und seidiger glänzendes Haar versprechen – oder überhaupt noch irgendeinen Haarwuchs. Er lächelte verächtlich. Was für eine schwule Beschäftigung. Und dann war der Typ noch so ein heiliges Arschloch, das nicht trank und für andere den Lebensretter spielen wollte. Er hätte sehr gut selbst nach Hause fahren können, das hatte er doch schon tausendmal vorher gemacht und oft genug, wenn er noch weitaus mehr intus gehabt hatte. Troels zappte weiter und landete bei einem Sender, der Tänzerinnen in einem Nachtklub von Miami zeigte. Er nahm einen großen Schluck aus der Bierdose, während er die festen, jungen Mädchenkörper betrachtete, mit Beinen in langen schwarzen Lackstiefeln, die ihnen bis zu den Knien reichten. Sie wanden sich wie Schlangen um die glänzenden Stahlrohre, die wie in einer kleinen Feuerwache auf der Bühne aufragten. Eines der Mädchen hockte sich vor einen der Nachtklubbesucher und flirtete schamlos frech mit der Zunge mit ihm.
Sie war schön, braun und gut gebaut. Troels spürte das Pochen im Schritt wie einen Schmerz. Wie ein Höhnen. Dann richtete sich die Tänzerin auf und schubste den erregten Kunden mit einem Lachen von sich. Der konnte auch nicht. Troels’ Griff um die Bierdose wurde so fest, dass das Metall nachgab. Er zappte zurück auf den Sportsender. Die zweite Halbzeit war gerade angepfiffen worden.
Es dauerte nicht lange, bis die Bierdose leer war. Er holte die Whiskyflasche aus dem Schrank mit der Hausbar und betrachtete liebevoll die goldene Flüssigkeit, bevor er sich einschenkte.
Das Spiel endete unentschieden. Er ging in die Küche und hob die Alufolie an. Koteletts von gestern, die nur aufgewärmt werden mussten. Er rümpfte die Nase. Jetzt nicht. Es hatte auch keine Eile, weil die Sitzungen ohnehin immer lange dauerten, und vielleicht wollte sie sich ja anschließend noch amüsieren gehen. Er nahm wieder vor dem Bildschirm Platz. Nach all dem Wein im Restaurant, dem Bier und dem Whisky fühlte er sich jetzt betrunken. Trotzdem schenkte er sich noch einmal nach. Als er die Erkennungsmelodie der Spätnachrichten hörte, beschloss er, den Fernseher ausschalten. Er konnte all die Meldungen über den Irakkrieg und die Selbstmordattentäter dort nicht mehr ertragen, das Entsetzen lag noch immer wach unter seiner Haut. Aber als der Nachrichtensprecher nun mitteilte, dass in einem Container in Brabrand ein ermordetes Mädchen gefunden worden sei, hielt sein Finger auf der Fernbedienung inne. Die Leiche war noch nicht identifiziert, und die Polizei verfügte über keine weiteren Informationen. Das Unbehagen rieselte ihm den Rücken hinunter. Er leerte das Glas mit einem großen Schluck.
13
Das Geräusch der Türglocke hallte im Haus wider. Tarzan lag zusammengerollt auf dem Sofa wie ein schwarzes, flauschiges Kissen. Sie war wie ein Tornado in der Wohnung herumgewirbelt und hatte Ordnung gemacht, als sie vom Restaurant nach Hause gekommen war. Jetzt war sie sehr erleichtert, dass sie das getan hatte. Sie warf noch einen raschen bewundernden Blick über das fast aufgeräumte Wohnzimmer, dann öffnete sie die Tür.
Jan hatte Nina bei sich; einen Rosenstrauß aus dem eigenen Garten in der Hand, den sie nun Kamilla entgegenstreckte. Kamilla selbst hatte die Stöcke an einem kühlen Abend vor langer Zeit im Garten des Hauses in Mårslet bei Aarhus gepflanzt. Der Anblick von Nina ließ ihr Herz einen mittleren Galopp einlegen. Ein peinigendes Gefühl von Unzulänglichkeit übermannte sie jedes Mal, wenn sie sich in der Nähe jener Frau befand, die Jan ihr und Rasmus vorgezogen hatte.
»Wir waren gerade ein bisschen mit dem Auto unterwegs und da haben wir uns gedacht, wir fahren mal bei dir vorbei und schauen, wie’s dir so geht«, sagte Jan.
Kamilla wusste, dass das nicht stimmte. Sie nahm den Strauß entgegen und bat die beiden zögernd ins Haus.
»Stören wir gerade?«, fragte Nina rücksichtsvoll, als sie eingetreten waren.
»Nein, gar nicht. Wollt ihr eine Tasse Kaffee?«
»Nein, danke, wir fahren gleich wieder.«
Mit seinen langen, selbstsicheren Schritten, die sie aus zehn Ehejahren so gut kannte, schritt Jan ins Wohnzimmer hinüber. Seine roten Haare hatte Rasmus von ihm gehabt. Jan trug Freizeitkleidung: Jeans und ein hellblaues Hemd, das das strahlende Blau seiner Augen noch intensiver wirken ließ. In blauen Hemden hatte ihn Kamilla schon immer besonders anziehend gefunden, und es irritierte sie, dass sie jetzt noch immer dasselbe fühlte.
Ninas Kleidung stand zu derjenigen Jans in deutlichem Kontrast. Sie sah immer aus wie jemand, der sich gerade auf dem Weg zu einer Festlichkeit befindet, und ihre Frisur saß, als käme Nina direkt aus dem Haarsalon. Ihre hochhackigen Schuhe hatte sie höflich im Flur ausgezogen, damit sie auf dem glatten Holzboden keine Spuren hinterließen. In ihrem verwaschenen T-Shirt und der schäbigen Hose fühlte sich Kamilla wie eine graue Maus, und ihr Haar war noch von der Dusche nass. Da sie vorgehabt hatte, bald ins Bett zu gehen, trug sie auch kein Make-up. Sie setzte sich ihnen gegenüber aufs Sofa. Sie hatten beide ihre Jacke nicht abgelegt. Jan saß einfach nur da, trommelte mit den Fingern auf den Couchtisch und starrte auf das Foto von Rasmus im Regal. Rasmus drückte einen Fußball an sich und sein kleines Gesicht strahlte ernsten Stolz aus. Das Foto war aufgenommen worden, als er gerade mit dem Fußballspielen anfing. Sie erinnerte sich noch deutlich an jenen Abend. Jan war sehr stolz gewesen, dass sein Sohn dem Fußballverein beitreten wollte. Das ist Vaterstolz, hatte sie gedacht. Auch wenn Jan weder bei den Geburtsvorbereitungen dabei gewesen war noch beim Windelwechseln seinen Beitrag geleistet hatte, so war er doch stolz auf seinen Sohn. Kamilla erschauderte, als sie nun den Hass in Jans Augen bemerkte. Glaubte er womöglich immer noch, dass sie damals nicht gut genug auf ihren Sohn aufgepasst hatte?
Nina