Der große Fluss im Meer. Hans Leip. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Leip
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711467176
Скачать книгу
sich biegen und winden ...“

      Das sind Erleuchtungen eines begnadeten Erkenners. Man bedenke, es war keine fünfundzwanzig Jahre her, seit Kolumbus das Eiland Guanahani gesichtet und es mit dem Namen des Erlösers, San Salvador, belegt hatte. Die Vorstellung von den Entdeckungen, deren Ausmaß Kolumbus nie geahnt, beruhte auf wenigen weit verstreuten Landepunkten. Es ist kein Wunder, wenn der romanische Gelehrte und Geistliche, erschreckend vor so viel Licht, an seinem Studiertische in eine Ansicht zurückfällt, die seit dem Altertum gebräuchlich war, nämlich, daß die Gewässer immerfort durch die beständigen Impulse der Sphären rund um den Globus der Erde herumgetrieben werden.

      Aber näher besehen, ist diese Ansicht höchst modern. Die Erforschung der Sphären von heute hält sich allerdings an die Grenzen der Atmosphäre, aber dort hat man allerdings gewaltige Impulse festgestellt, die sogenannten Sphärenströme, deren Einfluß auf die meteorologischen Erdverhältnisse noch letzter Erforschung bedürfen. Und wenn man als höchsten „Impuls“ der ganzen Strömungssysteme, der atmosphärischen wie der ozeanischen, die Sonne annimmt, so wäre ohne Zweifel ein restloses Verständnis zwischen Peter Martyr und einem Ozeanographen der Gegenwart möglich.

      Peter Martyr ist auch der erste gewesen, der den Ausdruck „Neue Welt“ für das vermeintliche Indien des Kolumbus anwandte. Diese Erkenntnis eines Begriffes sondergleichen ist schon in einem Briefe vom 1. November 1493 niedergelegt.

      Der Name Amerika aber kam so zustande: Ein Strauchritter und Selbstverherrlicher namens Amerigo Vespucci, gebürtiger Florentiner, der sich eine Zeitlang als eine Art Reklamechef für Kolumbus betätigt hatte, ging 1499 selber ein wenig an Bord, um sich, nachdem die Pfade erkundet waren, in Honduras und Brasilien kräftig am Gold-, Perlen- und Menschenraub zu beteiligen. Er hielt die Neue Welt durchaus noch für Ostindien, betrieb alle Schandtaten der Eroberer nach Herzenslust mit, nannte sich „Chefpilot des Indienamtes“ und gab Schilderungen seiner Reisen in Briefen, die man fast als die ersten journalistischen Berichte bezeichnen möchte, so übel der Verfasser auch ist. Der Empfänger in Florenz sorgte für die Verbreitung. (Von Kolumbus war nur ein einziger Brief an den spanischen Hof bekannt geworden.)

      Radolfzell am Bodensee hat die Ehre, der Geburtsort zu sein für den Mann, der Amerika getauft hat. Wie heute noch die Radolfzeller Jünglinge, die weiter wollen, studierte Martin Waltzemüller (um sich besser ins Lateinische übersetzen zu können, schrieb er sich auch Waldseemüller) in Freiburg im Breisgau. Die Nachricht von der Entdeckung einer neuen Welt platzte damals in die Hörsäle. Wer nur irgend den Nerv dafür hatte, warf sich auf Geographie und Kartographie. Als im nahen Lothringen am Hofe des Herzogs René II., wo man sich seit Jahrzehnten mit allerlei schönen und nützlichen Künsten befaßte und Malerei, Gesang und Gärten pflegte wie die Kenntnis der weiten Welt, eine Stelle für moderne Erdkunde frei wurde, bewarb sich der junge Gelehrte und lebte von der Zeit an in St. Dié. Hier strömte die neueste Literatur über die Entdeckungen zusammen, und auch die Auslandsberichte des Amerigo Vespucci gelangten in Abschriften in die Vogesen. Waldseemüller war äußerst angetan von den „Quattuor navigationes“, den „Vier Seereisen“, und meinte, in dem Schreiber den wahren Entdecker der „Terra firma“, des neuen Festlandes, zu begrüßen. Er fügte im Jahre 1507 seiner „Einleitung in die Weltkunde“ eine Übersetzung und die Bemerkung hinzu, daß man die Neue Welt deshalb „Amerige, gleichsam Amerigos Land oder America nennen solle; haben doch auch Europa und Asia ihre Namen aus weiblichen Formen gebildet“. Doch beschränkte er den neuen Namen auf den Südkontinent.

      Er ahnte nicht, daß er, der Waldseemüller, sich in die große atlantische Mühle geschaltet und einen kleinen Irrtum, einen kleinen Blender und einen großen Undank in den ungeheuren Mahlgang geschüttet hatte.

      Dennoch kann Amerika sich beglückwünschen, daß der Radolfzeller Professor musikalisch genug war, den Vornamen zu wählen. Aus dem Nachnamen hätte die Folklore womöglich Westputschia oder Wegputzia gemacht.

      Erst Gerhard Kremer, der Flame, der sich in Mercator verlatinisierte, hat den Namen Amerika für beide Kontinente ab 1537 auf seine bekannten Kartenwerke gesetzt. Seine berühmteste Karte wurde die „Weltkarte zum Gebrauch der Seefahrer“ aus dem Jahre 1569. Sie bietet in ihrer „winkeltreuen Zylinderprojektion“ der Erdrundung die Möglichkeit, direkte Kurse nach ihr zu steuern, obwohl Grönland durch die Streckung der Grade darauf so groß ist wie Afrika.

      Daß diese Karte nirgends an der Küste oder etwa in Antwerpen, Amsterdam, Rotterdam oder Hamburg entstanden ist, sondern in Duisburg, gibt diesem größten Flußhafen der Alten Welt eine besondere atlantische Beziehung. Die Seefahrer bedienen sich der Mercatorprojektion noch heute, aber es hat lange gedauert, bis sie ihr trauten. Seefahrt ist langsam. Wohl ist der fettige Zopf einer Zeitmode längst abgeschnitten, aber der lästige Nackenkragen, der die Uniform schützen sollte, besteht bei gewissen Marinen noch immer.

      Die Angaben Waltzemüllers wurden unbesehen sogar von Leonardo da Vinci geglaubt und verliehen dem Nachtraber und Geier Vespucci die Unsterblichkeit. Sein voller Name prangt heute an einem italienischen Segelschulschiff. Vergeblich versuchte der Arzt und Freigeist Serveto die Wahrheit durchzusetzen. (Er hat übrigens einen anderen „Golfstrom“, den Lungenkreislauf, entdeckt.) Er riet auch, die kirchliche Dreifaltigkeit Gottes, die ihm heidnisch dünkte, zu ihrer kosmischen Einheit und Einzigkeit zurückzuführen. Darum mußte er vor der Inquisition aus seiner spanischen Heimat fliehen, geriet aber zu Genf in die ebenso unerbittlichen Fänge des Franzosen Jean Caulvin, der sich als Eidgenosse fühlte und Calvin nannte und den Gerechten verbrennen ließ.

      *

      Was war nun inzwischen beim Ausbau der westindischen Entdeckungen geschehen? Da waren erst einmal wieder zwei italienische Kapitäne, die Cabots, Vater und Sohn. Sie hatten zu Bristol bei englischen Reedern angemustert und suchten in deren Auftrag seit 1490 den Seeweg nach Katai-China. Peter Martyr berichtet, John Cabot sei 1497 an der „Baccalaos-Küste“ (portugiesisch Bacalhão, englisch Cod, deutsch Kabeljau) auf eine nach Südwesten gerichtete Strömung gestoßen, die sanfter sei als die, welche die Spanier im Süden auf ihren Reisen benützten. Es handelt sich um den Ausläufer des Labradorstroms, der sich zwischen die nordamerikanische Küste und den Golfstrom schiebt und den Namen der beiden Seefahrer trägt. Daß die Cabots ab Kap Hatteras auf dem Golfstrom nach Hause segelten, wird zwar nicht erwähnt, aber es scheint allzu selbstverständlich gewesen zu sein. Leider sind die sorgfältig geführten Schiffstagebücher der beiden trefflichen Seefahrer durch Feuer vernichtet worden, ehe neugierige Wissenschaftler hineinblicken konnten.

      Der Sohn Sebastian Cabot brachte es bis zum Commander des gesamten damaligen Seewesens Britanniens. 1555 regte er einen Ausflug der Merchant Adventurers („Abenteuernde Kaufleute“ wäre eine gemäßere Übersetzung als die gängige, „Kaufmännische Unternehmer“) gen Norden und Osten an, nachdem die Vorstöße über West keine Durchfahrt nach Asien ergeben hatten. Schon während Kolumbus noch lebte, waren seine Behauptungen, Asien angelaufen zu haben, stark kritisiert worden, und man wußte längst, was von der Entdeckung zu halten war.

      Sebastian Cabot, damals schon weit über achtzig, kam mit der Handelsflotte nur bis Archangelsk und starb auf der Reise. Wie weit das eisfreie Wasser so hoch hinauf in Verbindung gebracht wurde mit der so unendlich fernen Floridasee, ist nicht überliefert. Aber zwischen England und Rußland entwickelte sich alsbald ein flottes Geschäft in Pelzen und Bauholz gegen Eisen- und Töpferwaren.

      *

      Um Florida herum war man inzwischen auch nicht müßig gewesen. Über die Strömung dort hört man zum ersten Male durch den Spanier Ponce de Leon.

      Er segelte 1513 von Puerto Rico ab, querte den Strom nördlich Kap Canaveral, das er Cabo de Corrientes, Kap der Strömungen, taufte, und wandte sich südwärts zu den Tortugas. Wir besitzen eine Stelle darüber aus dem echten Schiffstagebuch dieser Reise: „Indem wir gen Süd hielten, dabei etwas mehr von der Küste abkamen, gewahrten wir am 22. April von allen drei Schiffen aus eine Strömung, gegen welche wir nicht ankonnten, obwohl der Wind achterlich war. Es sah allerdings so aus, als kämen wir voran, wir erkannten aber bald, daß wir trotz geblähter Segel zurückgetrieben wurden und der Strom mächtiger war als der Wind. Zwei der Schiffe, die etwas näher der Küste lagen, konnten Anker werfen, aber die Strömung war so gewaltig, daß sie das Ankertau