Katharina Keplerin - Mutter des Astronomen. Utta Keppler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Utta Keppler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711708521
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Lehrersfrau macht auf, einen Spalt nur, eine dicke rote Hand zieht den Riegel zurück.

      »Wo warst denn die halbe Nacht?« fragt die Frau ärgerlich und mißtrauisch.

      »Warum bist nicht in der Kammer?« sagt hinter ihr die Stimme des Lehrers. »Red’ endlich, Katharina Guldenmann!« Er guckt aus der Stube, ein langes Gesicht, lange Haare. »Herumstreifen, Wege unsicher machen!« Es klingt bös. Er schweigt und schiebt der kleinen Gestalt ein Stück Brot hin, das er gerade in der Hand hat. Mann und Frau schielen sie mißtrauisch an, sie spürt, daß sie das Ungreifbare, Verderbliche hinter ihr wittern, für das sie noch keinen Namen haben und das sie, die Arglose, nicht kennt und sehen kann. – Es hat nicht lang gutgetan bei den Leuten.

      Dann später ist sie bei den Eltern gewesen, hat auf dem Acker geholfen, auch im Garten und im Haus, und als dann der Heinrich gekommen ist, der sie in der Wirtschaft ihres Vaters gesehen hatte, ist alles ein bißchen leichter geworden, schöner und freudiger, und sie hat manchmal gesungen.

      Nur Heinrichs Mutter, die Statthalterin, hat sie nicht leiden mögen, obwohl Katharina doch ihren Namen trägt und sich um Heinrichs willen viel Mühe gibt.

      Sie haben dann geheiratet, und bald schon hat sie gewußt, daß sie den Johannes erwartet, ein Kind halt. Hätten die Alten geahnt, daß es ein Bub wird, wären sie vielleicht auch nicht so finster gewesen, aber so haben sie ihr verübelt, daß es ein Esser mehr sein würde, und die Eigenen, die Guldenmännischen, haben’s noch schwerer genommen, daß sie jetzt bei den Keplerischen geholfen hat, und der eigene Vater hat sie geschlagen, auf den Rücken und einmal auf den Bauch, daß sie gemeint hat, das Kind müßte ihr abgehen. Es ist aber doch geblieben, es hat geboren werden sollen und sich vorzeitig ans Licht gedrängt – und jetzt ist’s der Johannes.

      Johannes ist aus der Leonberger Lateinschule, wo er manche Prügel litt, in das Grammatistenkloster Adelberg gekommen – und überall wurde streng auf ein geschliffenes Latein gehalten, Griechisch und Hebräisch getrieben; für den jungen Kepler ist es ein Glück, daß er nicht mehr so nah bei der Heimat wohnt, da er allzu oft zum Helfen hergerufen worden war, beim Heumachen oder der Ernte, auf dem Äckerchen oder an den Apfelbäumen. Er hat willig geholfen, ist unter Vorwänden vom Unterricht weggeblieben; und beim Sicheln und Mähen, Breiten und Haufeln, beim Aufladen und Karrenschieben haben ihm manchmal die dünnen Arme versagt oder die Knie, und Katharina hat ihn ausruhen lassen im Schatten am Waldrand, oder ihn heimgeschickt.

      Da hat er dann endlich das Schulheft herausholen und weiterlernen können. Ein unbezwinglicher Durst hat ihn dazu getrieben, geistige Neugier, sich alles anzueignen, logisch zu ordnen und zu durchdringen, was ihm da überliefert und – wie er es empfindet – verantwortlich anvertraut worden ist. Das treibt und drängt immer weiter.

      Solang die Eltern die »Sonne« in Ellmendingen betrieben haben, hat er auch Fässer gerollt und hier und da im Schankraum Bier getragen, und dabei – zu seinem eigenen Erstaunen – das Landexamen bestanden, die schwerste und schwierigste Prüfung für sein Alter.

      Er weiß freilich so wenig wie die Eltern, daß es sein Gutes hat, wie scharf die kleinen Buben hergenommen werden, und wie es ihm nachher hilft; es ist des Herzogs Ehrgeiz, die besten Lehrstätten weit und breit zu halten, und über’s Land hinaus gerühmt zu werden.

      Im Grammatistenkloster zu Adelberg ist er wieder einer von den besten Schülern, ehrgeizig und manchmal auch vorlaut, wenn er klarer denkt als der Magister und den Mund nicht halten kann.

      Die übrigen mögen ihn deshalb nicht alle, er hat auch einmal einen oder den anderen angegeben, der Unfug trieb, damit ihn die Lehrer nicht selber straften, da ihm die Prügel hart fielen bei seinem schwachen Körper. – Kurz ehe der Vater zum letzten Mal heimkommt – sie haben’s eher gefürchtet, wenn er da war –, bezieht er dann das höhere Klosterseminar Maulbronn und – so sagt der Abt –, wen die Luft der klaren Gliederungen, Torbogen und Hallen nicht wandle, dem sei nicht zu helfen.

      Dort ist er jahrelang zu Haus, er fühlt sich aufgenommen ins Innere; der weite Hof mit den edlen Bauwerken ist – ohne daß er es weiß – Bild und Hinweis für ihn selber, magisch gestimmte frühe Gotik und schwingender Übergang zum erfaßbaren Neuen, und er gibt sich willig, da er doch auch Künstler ist, der Atmosphäre hin.

      Katharina läßt ihm schreiben, sie werde ihn besuchen. Es ist mühselig, die Erlaubnis dafür zu erwirken, und nur der sichtlich bedeutsame Brief aus dem Feldlager und die Unterschriften und Siegel der Leonberger und Adelberger Schulen haben ihr den Zutritt verschafft, vielleicht auch der Hinweis auf den Statthalter von Weil und – die Leistung des Sohnes, den die Lehrer loben.

      Jetzt ist sie wirklich da, im Seminar, in Maulbronn.

      Sie muß warten; die Schüler kommen eben erst aus der Kirche, die in den Klosterkomplex eingebaut ist; auch ihren Johannes entdeckt sie und will ihn schnell an sich ziehen, als er an ihr vorüberläuft; aber er faßt nur nach ihrer Hand, rot geworden und dann blaß, er läßt sie los, schlägt die Augen nieder, als wolle er weinen, er schämt sich vor den anderen, daß er sie liebt; die dürfen nicht ahnen, wie groß seine Sehnsucht nach Zärtlichkeit ist. Dann rennt er den anderen Buben nach.

      Sie bleibt stehen und sieht hinter ihm her; er ist ihr näher als ihre anderen Kinder, näher als die gestorbenen sogar, denen sie mit allen »Fasern« ihres Wesens nachtrauert; so hat sie einmal zum Heinrich gesagt, und der hat darüber den Kopf geschüttelt.

      Sie wird von einem Hausdiener in den offenen Brunnenhof geführt, da solle sie warten. Es rauscht und redet und plätschert und rinnt; sie faßt mit den Augen den großen Brunnen, und mit Gehör und Gespür sein Sprechen und Singen; er ist wie eine Blüte, die aus ihrer Höhe und feinsten Verästelung das klingende Spiel strömen läßt und weiterschenkt, daß nichts verloren gehe.

      Aus der schmalsten Fassung strahlt es hinunter zur nächsten, schenkt sich her und überlädt sie mit der kostbaren Spendung, daß es weitersprudelt in die untere, die sich noch weiter offen hält, bis sie weitergibt, was sie nicht mehr fassen kann, es strömt, kreist, schwillt – ein leichtes Spiel, ein himmlischer Tanz, verschwendend und ohne Enge und ohne klammerndes Festhalten, stark und schwingend.

      Zaghaft tunkt sie die Fingerspitzen ins Gerinne der weiten Schale; das Kühle, Bewegte bewegt auch sie, rinnt in sie über und tanzt tönend fort, als wären’s Gamben und Flöten.

      Wie sie das denkt, merkt sie, daß wirklich Musik da ist, hinter ihr, aus einem Raum, zu dem der finstere gewölbte Gang führt. Es ist kein geistliches Lied, das sie hört, eher ein Reigen, der wie das glitzernde Wasserspiel um sie herschwebt als ein zärtliches Gespinst. Sie sieht in den Kreisen, die in der bewegten Schale umgehen, kleine Sternfunken, und sie sieht, wie im Traum, sich selbst und den Johannes, als sie beide bei Leonberg auf dem Hügel stehen und den Himmel anstaunen. Klar und scharf blitzen die Sterne herunter, und die schneidend-spitzen Strahlen glitzern in der Winterkälte und sind in sonderlicher Weise geordnet; sie zeigt dem Kind den »Großen Bären« und die »Kassiopeia«, das »Große W« im nördlichen Teil der Milchstraße und meint, das sähe aus, als wären’s kleine eingestochene Löchlein in einem schwarzen Mantel, hinter dem ein Licht brennt. Aber der Bub sagt, es seien lauter strahlende Samenkörner, ins schwarze Feld der Wölbung gestreut – damit sie aufgehen sollten.

      Katharina ist noch ganz in das lang vergessene Bild eingefangen, als Johannes auf sie zukommt im dunklen Mäntelchen, das Schulbarett auf dem Kopf.

      »Frau Mutter, wir üben ein Spiel ein, und ich hab Erlaubnis erwirken können, daß Ihr’s mitansehet« – er zögert, »es ist aber erst die Probe und noch nichts Rechtes … ich muß mittun, und da solltet Ihr’s doch hören.«

      Katharina staunt. Sie weiß nicht, ob sie dazu paßt, aber es ist ja eine Freundlichkeit und sicher eine Ausnahme, daß sie zuschauen darf, und als man sie ins Dorment bringt, von wo die vielen Türen in die Schlafsäle führen, wird sie von einem Magister angehalten: Er freue sich, die Mutter eines seiner »wachesten« Schüler zu begrüßen, man habe sie ihm gezeigt …

      Des Wachesten? denkt sie, aber sie nickt und lächelt den Herrn an, der mit einer runden Bewegung die unruhige Schar in einem luftigen Zirkel umfaßt, während er