Katharina Keplerin - Mutter des Astronomen. Utta Keppler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Utta Keppler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711708521
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einer Hexe, und das ist eins der ärgsten Male, an denen Unholde und Unnennbare erkannt werden – Belehrung und Verführung durch das Teufelsgeschwader.

      Einmal wirft einer – Katharina erkennt nicht, wer’s war – einen Stein in ihr Fenster; jemand schiebt einen Zettel unter die Tür, auf dem steht, daß es eine Schande sei, wenn eine die »Reine« heiße, Katharina, und mit dem rußigen Bösen zu tun gehabt habe. Die Leute kommen seltener ins Wirtshaus; sogar der Heinrich sieht sie schief an, sie merkt, daß er sie meiden möchte und es nicht kann, da er die alte Vertrautheit spürt und dankbar und zart sein möchte im Gedanken an die Kinder. In der Nacht weint die Frau lange und haltlos. Heinrich nimmt sie in den Arm und tröstet sie derb und ungeschickt, bis sie einschläft.

      Aber am Morgen ist sie hellwach und entschlossen. »Heinrich«, sagt sie, »wenn du wieder fortgehst, geh ich mit, ich bleib nicht da, es sei wohin es gehe.«

      »Und die Kinder?« Sie hat es erwartet. Ja, das wäre das Ärgste, mitnehmen könne man die nicht. Aber die Großmutter möchte doch ein Erbarmen haben, und die Basen, es seien ja so viel Frauen im Haus. Sie halte es einfach nimmer aus so … denn nur sie sei Anstoß und Vorwurf, und man sehe in allem, was sie tue, etwas Verworfenes.

      »Woher weißt’ für gewiß, daß ich wieder geh?« fragt er, ernst und doch erleichtert.

      »Du hast’s im Traum gesagt, hast gebrummt und gestöhnt, bis ich dich geweckt habe, und dann noch einmal ganz klar – es sei zu eng da hinnen. Weißt’s nicht mehr?«

      Die Eltern sind fort, heimlich sind sie in der Nacht beide gegangen, Heinrich hat einen Kumpan getroffen und mit zwei Pferden in den Wald bestellt, und jetzt reiten sie; die Frau weint und zittert.

      Es geht gegen Norden, sie brauchen jetzt nicht mehr heimlich zu tun, denn die Sippe wird ihnen nicht nachforschen: Das Weib hat den Heinrich behext, und sie sind beide in bösen Händeln verschwunden. Bloß der alte Bürgermeister glaubt nicht an die Geschichten – er sieht, daß sein zerfahrener, unordentlicher Sohn die Frau nicht hat schützen können, die es nicht aushielt bei seiner bissigen Sippschaft. Er sieht auch, was es ist, wenn die junge Mutter ihre Kinder allein läßt in dieser Behausung: Sie muß arg verzweifelt gewesen sein, daß sie das tut und wird es nicht lang aushalten; so weit kennt er sie, denn für das Echte hat er noch ein Gefühl.

      Katharina ist starr vor Grauen, was ihr da draußen alles geschieht und begegnet. Das hat sie nicht gewollt und nicht vorausgesehen. Der Gedanke an die Buben läßt sie nicht schlafen, sie hört im Traum den Johannes weinen und den Heinrich jammern, und wenn sie aufwacht, ist der Trubel des Lagers um sie her – Geschrei, Händel und, während der Bataille, die unterschiedlichen Botschaften und Gerüchte um den Mann, während sie mit den üblen Weibern vom Troß im Lager sitzt und der Hurenwaibel keinen Unterschied kennt zwischen ihr und denen.

      Auch ist sie einmal angefallen worden von ein paar betrunkenen Knechten, und der Korporal hat sie herausgeholt aus dem Knäuel, in dem sie sich gewehrt hat wie eine Wildkatze – und als der Heinrich zurückkam, siegreich, mit Beute, haben sie’s ihm erzählt, und sie hat’s von weitem gesehen, wie zwei von den Wildesten am Baum gehangen sind – sie hat’s sehen müssen, hat sich an ihren Mann gekrallt und die Augen zugepreßt. Dann kam die Seuche ins Lager, eine Ruhr, man hat nicht recht gewußt, ob’s eine Pest sei oder werde, und die Männer waren froh, wenn sie wieder hinausziehen und andere Luft atmen konnten; unter den Verwundeten ist’s umgegangen, sie hat gepflegt und geholfen, brandige Wunden gewaschen und das Stroh ausgewechselt, bis sie selber krank war. Sie habe sich verhoben, hat sie dem Feldscher erklärt, es sei nichts weiter. Der hat den Mann ermahnt, er solle seine Frau aus dem Soldatenknäuel herausholen und heimschicken. Aber der Waibel und der Korporal haben dagegengesprochen – sie sei ein Halt für die verkommenen Weiber und eine Hilfe für die Kranken.

      Heinrich schwankt auch diesmal; er hätte gerne die ganze Freiheit gehabt, was er Freiheit heißt – das Ungebundensein ohne Aufsicht, obwohl Katharina ihm nichts dreinredet und ihn nicht ausfragt. Aber sie wird ja wissen, was er mit den Troßweibern treibt und wie es beim Plündern und Niederbrennen zugeht; wenn sie ein Dorf erobert haben und zurück sind im Lager, hört sie davon reden, ruhmreden und renommieren, und Heinrich steigert sich hinein, mehr als die anderen, weil ihn im Grund seines Wesens das alles anekelt. Nicht nur, weil’s oft genug die Protestanten sind, die sie pressen und plagen und die ihre Quäler anflehen um Schonung, mit Bibelworten, die er von der Heimat her kennt, auch wenn’s niederländisch ist.

      Da kommt eine Botschaft aus Weil der Stadt, mit einem Troßknecht, der sich hat anwerben lassen, weil der Statthalter ihm Geld dafür gegeben hat; er solle sehen, daß er mit dem Marschtrupp nach Vlissingen komme, und dann, daß er irgendwoher Erlaubnis erhalte, zu der Truppe des Heinrich Kepler zu stoßen; und weil der inzwischen Sergeant geworden ist, läßt man ihn zu ihm.

      Katharina pflegt im Lazarett, Heinrich meidet sie jetzt, weil er Angst vor der Seuche hat, die sie einschleppen könnte, und sie badet im Zuber, ehe sie ihn besucht, wenn sie einen findet, und einen Winkel in der Wirtschaft, wo man sie alleinläßt.

      Der Bote verlangt den Kepler zu sprechen, und Heinrich nimmt ihn mit ins Zelt, wo die anderen in einer Ecke würfeln.

      »Ich soll sagen«, meldet der Junge, »es sei nicht zum Besten zu Weil der Stadt.« Er sieht Heinrich an und wartet, aber der winkt ihm ungeduldig.

      »Die Pocken gingen um«, sagt der Junge, »man hat davon geredet, daß sie auch in der Bürgermeisterei schon seien.«

      »Die Kinder?« fragt der Soldat.

      »Ja, die auch.«

      »Der Hannes?«

      »Ja, auch, aber er lebe, nur die Äuglein seien arg verklebt.«

      »Bursch!« sagt Heinrich, »vorläufig redest du mit keinem ein Wort davon, auch mit – keiner! Ich mein, mein Weib soll nicht erschrecken. Sag nichts.«

      Aber er wird es selber tun, nur anders, und, wie er meint, zarter als der junge Bote.

      Inzwischen liegt der kleine Johannes im Bett und stöhnt.

      Die Lade ist zu steil und hart, die ihn wie ein Kasten gefangenhält, die Augen brennen und die Haut, die sich langsam abschält; er hat furchtbaren Durst, er wirft sich hin und her, und so altklug er sonst ist, er muß der Mutter rufen. Er ruft leise, wagt kaum zu weinen, weil die Tränen noch mehr wehtun, aber er kann’s doch nicht unterdrücken. Hunger hat er auch. Die Großmutter ist zu langsam, zu lässig – ach, sie hat einfach Angst, sich etwas vom »bösen Anhauch« der Seuche zu holen, und die Base Wellinger kommt nur einmal am Tag und bringt einen starkriechenden Kräuterdampf, den er einatmen muß, obwohl er kaum sitzen kann, und stützen mag die ihn auch nicht.

      Er ißt Suppen, die man ihm kocht, aber die er nicht mag, weil das Schlucken schwierig ist, – alles ist verschwollen, alles eine Mühsal. Er ist elend allein, und nicht einmal den kleinen Heinrich hört er mehr, die Ohren sind ihm wie zu.

      Sie wechseln manchmal sogar sein Hemd, wenn’s verklebt ist, aber das Losreißen tut auch weh, und das Bettzeug machen sie auch hie und da neu mit frischen Tüchern – er zählt keine Tage. Er friert auch, wenn das Fieber nachläßt, vor Schwäche. Man hält das Fenster offen, damit der Stank hinausziehe, aber der Herbstwind wird so kühl, daß ihm die Hände wehtun, wenn er sie nicht unter die Decke steckt.

      Die Vaterschwestern heulen und jammern, eine ist jetzt auch krank geworden, und die Pflegfrau, die kommen soll, bleibt aus. Es seien viele gestorben. Da fürchtet die sich, sagt die Großmutter, wenn sie geschwinde hereinsieht.

      Er ist so schwach, daß er fast immer träumt: Gestalten wie weiße Nonnen steigen an der Stubendecke herauf und hinunter. Er krampft sich ins Leintuch und drückt die wunden Lider zu.

      Heinrich bittet um die Löhnung; er muß auf einen Teil verzichten, auch ein paar silberne Becher und ein Wildpret zurücklassen, ehe er freikommt und die Frau mitnehmen kann. Sie ist wieder schwanger, das gibt den Anlaß, heimzufahren. Auf einem Fouragewagen rattern sie durchs Land.

      Katharina weint, sie hat Angst um die Kinder, Angst auch um das Ungeborene. Es ist soviel Angst in der Welt, und sie kann