Käpp'n Smidt. Wilhelm Ernst Asbeck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilhelm Ernst Asbeck
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711517789
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      Nun ist man angelangt.

      Wie ein Heuschreckenschwarm ergiesst sich der Strom der Kinder über den Landungssteg, und dort steht schon wieder eine ebenso grosse Schar und wartet auf die Heimfahrt. —

      Es ist Ebbe. — Die Nichtschwimmer patschen durch schwarzen Morast.

      Karl ist und bleibt doch ein ‚feiner Pinkel’, muss grossspurig eine Kabine haben; als ob es im Freien nicht viel schöner wäre als in so einer engen Stinkbude. Aber Heini muss mit hinein, ob er will oder nicht.

      Hein Smidt springt als erster hinaus, er rennt über den Strand, dann über die Bohlen geradenwegs auf das Sprungbrett zu. Schade, vom Riesensprungbrett darf er heute nicht hinunterspringen, weil Ebbe ist und daher Gefahr besteht, bei einem Kopfsprung das Genick zu brechen.

      Der Junge schaut weder nach rechts noch nach links, mit einem Satz ist er im Wasser. So ein ganz klein wenig Schadenfreude kann er sich nicht verkneifen, wenn er daran denkt, wie das Reedersöhnchen jetzt bis an die Waden im schmierigen Mudd umherspaziert. Gerade taucht Heini auf und will tief Atem holen, als direkt hinter ihm ein Körper ins Wasser klatscht. Gleich darauf steigt prustend und schnaubend ein Kopf vor ihm auf. — Karl!!

      „Mensch, bist Du verrückt? Meinst Du, ich habe Lust, Dich zum zweiten Male ans Land zu bugsieren?“

      Karl lacht. Ruhig und sachlich macht er die Schwimmbewegungen. Er hatte schon früher grössere Strecken geschwommen, aber als er neulich so unerwartet vom Schutenrand in die Elbe fiel, hatte der Schreck ihn alles vergessen lassen; jetzt dagegen ist er vorbereitet. Er dachte gar nicht daran, hinter seinem Gefährten zurückzustehen.

      Kunst- und Wettschwimmen war es ja gerade nicht, und der Bademeister schielte verdächtig zu ihm hinüber; er liess sich aber durch nichts aus der Ruhe bringen, und erst als er das Bassin in seiner ganzen Breite hin und zurück durchschwommen hatte, stieg er ans Land.

      Heini sagte nichts; aber immer mehr kam er zu der Überzeugung, dass sein neuer Kamerad doch ein ganzer Kerl und durchaus kein ‚Piepjochen’ sei.

      Adje Schmidt hat sich in Kluft geworfen, Kragen und Schlips umgebunden und macht jetzt einen ganz manierlichen Eindruck. Wenn nur das vom Suff aufgedunsene Gesicht nicht gewesen wäre! —

      Zeugnisse? — Ja, er hatte eins, darin war ihm bescheinigt, dass er viele Jahre in der Fabrik tätig gewesen sei und es durch Fleiss und Pflichttreue bis zum Vorarbeiter gebracht habe. — Das klang gewiss recht schön und gut, aber weshalb er dann trotzdem entlassen worden sei, darüber stand kein einziges Wort in dem Zeugnis. Zudem lag es schon so weit zurück. Damit war sicher nicht viel Staat zu machen. Gleichwohl, es war verlangt, und Adje steckte es zu sich.

      Zwischen 4 und 5 Uhr sollte er sich vorstellen.

      Stine, seine rechtschaffene, kluge Stine, die nicht irgendetwas daherredete, hatte ihm Mut zugesprochen.

      Den ganzen Morgen befand er sich im Zustand nervöser Unruhe; er kam sich vor wie ein Kind am Weihnachtsabend, das die Stunde nicht erwarten kann, da der Tannenbaum angezündet wird.

      Schliesslich hält es ihn im Hause nicht länger. — Schon um 2 Uhr geht er fort.

      Ziellos schlendert er durch die Strassen. Über den Messberg führt ihn sein Weg durch die steile Fischertwiete in die Niedernstrasse. Und da steht er plötzlich vor Hein Schachts Destille. Er blickt hinein. Wie manches Mal hat er hier an der Theke gestanden, und wie viele Taler durch die Kehle gegossen!

      Er erinnert sich der Geschichte vom alten Hein Schacht, die, wenn vielleicht auch nicht wahr, so doch dafür umso treffender erfunden war: Der Alte sass eines schönen Morgens mit einem Bekannten auf einer Bank am Glockengiesserwall; da kamen einige ‚Hopfenmarktslöwen’ vorüber, grüssten ehrerbietig und riefen: „Hein, giw een ut!“ Schacht griff in die Tasche und warf ihnen eine Handvoll Silbermünzen hin. Der andere Herr wunderte sich über diese Freigebigkeit; Schacht aber sagte lachend, bevor er im Hause sei, befinde sich das Geld schon wieder in seiner Kasse.

      „Hallo Adje, wo kumms Du denn her?“ fragt eine versoffene Bassstimme, und schon schiebt sich ein Arm unter den seinen und will ihn in die Destille ziehen.

      „Nee, nee, ich muss mich heute vorstellen!“

      „Na, wenn das kein Grund ist, einen zu genehmigen, dann möchte ich wissen, was ’n Grund ist! — Adje, alte Seele, Du musst Dir doch Mut zutrinken!“

      Und Adje, die alte Seele, ist dicht genug daran, seinem alten Kumpan vom Hopfenmarkt zu folgen. Wie von einem Magneten fühlt er sich zur Kneipe hingezogen, und er weiss ganz genau, wenn er erst einen nimmt, so bleibt es nicht dabei. Nein, dann ruht er nicht eher, als bis die Mark, die er in der Tasche trägt, bis auf den letzten Pfennig durch die Kehle gespült ist.

      Von wem hast du denn die Mark? fragt er sich. — — Von deinem Jungen! Und der hat sie sich verdient, indem er unter Lebensgefahr ein anderes Kind rettete. Es ist ja wahr, Adje schämte sich, und hat das Geld nicht annehmen wollen, aber schliesslich hatte er es doch getan!

      Und dann sieht er plötzlich Stine, wie sie ihm beim Fortgehen die Hand drückte, so fest und voll gläubigen Vertrauens.

      Mit einem Ruck reisst er sich aus der Umgebung los; dann rennt er, rennt, als seien tausend Teufel hinter ihm her, und die Leute bleiben stehen und gucken ihm kopfschüttelnd nach.

      Durch die enge Altstädter Fuhlentwiete läuft er und macht erst an der Ecke der Steinstrasse halt. Einige Kinder sind ihm gefolgt. Es droht einen Auflauf zu geben. Er geht daher ruhig über den Fahrdamm zu den kleinen Häusern hinüber, sieht sich die Auslagen des Bandagisten Stohp an, schaut bei Prien ins Fenster und bewundert anscheinend Betten und Aussteuerartikel. Als die Kinder feststellen, dass sich nichts mehr ereignet, zerstreuen sie sich wieder. Adje geht nun um die Häuser herum und steht vor der altehrwürdigen St. Jakobikirche.

      Drei dumpfe Schläge hallen vom Turm hernieder, zittern noch einige Zeit durch die Luft.

      Adje geht weiter, recht gemächlich; er hat ja noch eine volle Stunde Zeit. — Auch sie wird vorübergehen.

      Dann ist er endlich am Ziel. — Ihm klopft das Herz zum Zerspringen.

      Alles geht im Hause Timm seinen geregelten Gang. Der blasse Knirps mit dem Federhalter hinter dem Ohr rutscht vom Bock herunter und meldet ihn an.

      Adje sitzt auf dem einsamen Stuhl hinter der Barriere, aber niemand nimmt Notiz von ihm.

      Es vergehen fünf Minuten, es vergeht eine Viertelstunde. Er sitzt, den Kopf gesenkt, und starrt auf das Futter seines Sonntagshutes. — Niemand kümmert sich um ihn. Hat man ihn vergessen?

      Von irgendwoher ertönen zwei Glockenschläge. Sie werden vom Michel kommen. Es ist halb fünf!

      Plötzlich steht der Stift vor dem Träumenden und sagt: „Wollen Sie bitte nähertreten!“

      Jetzt steht der armselige, verkommene Adje dem reichen, mächtigen Reeder gegenüber.

      Er fühlt sein Gewissen so belastet, dass er vor lauter Demut ganz klein und unscheinbar wird.

      Platz soll er nehmen. Er rutscht auf der äussersten Kante des Stuhles umher. Sein Gegenüber sieht ihn an. Die stahlgrauen Augen scheinen bis auf den Grund seines Herzens zu dringen.

      Der Kaufmann liest das Zeugnis mit Bedacht durch. Dann stellt er Frage auf Frage, bis er ein lückenloses Bild über des Bewerbers Lebenslauf hat. Nichts versuchte der Mann zu beschönigen. Das stimmt den Alten milder. Er fühlt recht gut, dass jener ein anderer werden möchte, und so sagt er, nachdem er sich einige Zeit besonnen hat: „Ich will es versuchen; Sie können morgen bei mir antreten. Sie helfen am Kai beim Entlöschen der Schiffe.“

      Und Adje erwiderte: „Ich danke Ihnen, Herr Timm; Sie sollen sich über nichts zu beklagen haben.“

      Der Reeder fügt hinzu: „Ich will es hoffen; denn, alter Freund, wenn Sie auch nur ein einziges Mal betrunken zur Arbeitsstelle kommen, sind Sie entlassen; merken Sie es sich gut, entlassen für immer!“

      Der Mann würde Wort halten;