„Mensch,“ ruft Thedje „Hannes muss doch nachsitzen; Du kannst doch nicht einfach abhauen!“
„Ich muss zum ‚Alten mit dem Backenbart’!“
„So, so, ich denk, den wolltest Du schon gestern auf’n Pott setzen?“
Edje mischt sich ins Gespräch: „Bist woll auf der Treppe umgekehrt?“
„Lass Dir man keine ’runterlangen! — Ich bange? — Vor wem soll ich woll bange sein? He?“ Heini schwillt bei diesen Worten die Brust zusehends vor Heldenmut.
Aber Edje ist halsstarrig. Hartnäckig erwidert er: „Warum bist Du denn gestern nich hingegangen?“
Jetzt bläht sich aber Heini vor Stolz und männlicher Würde: „Weil er zu mir gekommen ist, wenn Du es so genau wissen willst!“
Das Ansehen des Führers steigt in steiler Kurve.
Darauf fragt Thedje, aber im Ton schon erheblich ehrerbietiger: „Was wollt er denn von Dir?“
Heini antwortet: „Mir meine Plünnen zurückbringen, wie sich das gehört.“
„Donnerwetter!“ rufen die Jungen wie aus einem Munde.
Jetzt kommt Heini ins richtige Fahrwasser: „Der ist ein feiner Kerl, kann ich Euch man sagen! Der wusste gar nicht, was er alles für uns tun wollte. Gelebt haben wir wie die Fürsten, obendrein hat’s ’ne Menge Geld gegeben, und dann schenkte er mir einen Matrosenanzug, wenn ich damit spazieren geh, erkennt Ihr mich überhaupt nicht wieder!“
Das hat gesessen! — Thedje ist starr vor Staunen: „Und das alles hat er Dir selbst ins Haus gebracht?“
„Ja,“ entgegnet Hein Smidt „vor dem Mann muss man den Hut abnehmen. Und nun muss ich laufen, dass ich zu ihm komme, wir wollen nämlich über meine Zukunft sprechen; er will gern, dass ich Käpp’n auf einem seiner vielen Schiffe werde.“ — Ein Ruck, der Ranzen fliegt über den Rücken, und wie ein geölter Blitz schiesst Heini zur Tür hinaus.
Kaum ist er fort, so stecken die Jungen die Köpfe zusammen. Zum ersten Mal steigt etwas wie Neid und Missgunst in ihnen hoch. — Besonders Thedje meint: „Der soll sich man bloss nich’ so aufspielen!“
Edje grinst: „Der und Käpp’n! — Jawoll, auf’n Alsterdampfer vielleicht!“
„Oder auf’m Dom, auf’m Schiffskarussel!“ höhnt Adje.
Hannes, der Nachsitzer, der sich von Heini im Stich gelassen fühlt und daher der am meisten verbitterte ist, schlägt vor: „Wir nennen ihn ab heute bloss noch ‚Käpp’n Smidt’!“
Die Bengel stossen vor Freude über diesen Einfall ein Indianergeheul aus, und einstimmig wird der Vorschlag angenommen. — —
So schnell ist Heini noch nicht nach Hause gekommen, so lange er zur Schule geht. Das Mittagessen hinunterstürzen und dann, immer drei Stufen auf einmal nehmend die Treppe hinunterrasen sind das Werk einer unglaublich kurzen Zeit. — Nun steuert er über den Scharmarkt am Hasen entlang mit vollen Segeln auf sein Ziel los.
Dann steht er wieder im Kontor. Der kleine Stuppen mit dem Federhalter hinter dem Ohr trudelt von seinem hohen Drehbock herunter und fragt, ob er Heini Schmidt sei. Allerhand Achtung, so eine angesehene Person ist er bereits! Heini bejaht lebhaft.
„Wollen Sie bitte näher treten?“ sagt der Stift und geht mit feierlicher Miene in seinem schwarzen Konfirmationsanzug vorauf. Dann öffnet er die Tür zum Privatkontor.
Auf dem Tisch des Reeders liegen die Papiere zu Bergen hochgetürmt, und jetzt bringt der neugierige Dreikäsehoch noch einen ganzen Stapel Briefschaften.
Der Kaufherr ist aufgestanden, hat Heini die Hand gegeben, ihm einen guten Tag gewünscht und ihn zum Platznehmen aufgefordert.
Ja, und nun sitzt Heini Herrn Timm gegenüber und fühlt sich furchtbar unbeholfen. Er findet kein passendes Wort, er muss nur immer denken: das ist der Mann, der Dir und Deinen Eltern so viel Gutes getan hat; und als er sieht, welche Berge von Arbeit dieser Mann zu erledigen hat, und dann bedenkt, dass er das alles liegen liess, um ihm und den Seinen eine Freude zu bereiten, da packt ihn die Rührung mit einem Male, packt ihn so gewaltig, dass er dem Alten um den Hals fällt und heult, — — heult wie ein kleiner Junge.
Karl Timm wartet geduldig, bis die Gemütsbewegung sich legt. — Dann löst er behutsam die Arme. Er blickt den Jungen an, und in seinen stahlgrauen Augen liegt plötzlich eine Welt von Güte und Menschlichkeit.
Heini reisst sich zusammen. — O, wie er sich jetzt schämt! — Er will männlich erscheinen und sagt: „Ich weiss nicht, woran es liegt, aber immer, wenn ich mich sehr freue, muss ich weinen.“
„Merkwürdig!“ entgegnet der Alte trocken.
„Ja,“ fährt Heini fort „und was ich noch sagen wollte, wenn ich Ihnen einmal helfen kann, dann tu ich es gern. — Na, Sie wissen woll, wie ich es meine?“
Der Reeder lacht nicht etwa über die Worte des Knaben; er blickt eine Weile sinnend zum Fenster hinaus und sagt dann mit seltsam weicher Stimme: „Ja, mein Junge, ich weiss, wie Du es meinst; und niemand kann wissen, wie sonderbar das Leben manchmal spielt.“
Einen Augenblick ist es ganz still in dem Raum, dann fordert er Heini unvermittelt auf, nach oben zu gehen; er werde dort schon erwartet. Ein Händedruck, und Hein Smidt steht plötzlich an der Tür. Er geht aber nicht hinaus sondern dreht verlegen die Mütze hin und her. Jetzt soll doch erst die Hauptsache kommen, und so nimmt er sich ein Herz und fragt, ob man sich nicht auch ein wenig über seine Kapitänslaufbahn unterhalten könne.
Ein gutmütiges Lächeln geht über des Reeders Gesicht. Er erwidert: „Ganz so schnell, wie Du es Dir vorstellst, läuft der Hase nicht; aber Du kannst mir morgen einmal Deine Schulzeugnisse mitbringen.“
Aus! — — Da steht der Heini nun wieder auf der grossen Diele; aber sein froher Mut ist gesunken. Nein, so etwas! Seine Zeugnisse zu verlangen! Das hatte noch gerade gefehlt! Wenn er das gewusst hätte, kein Wort würde er von der Sache erwähnt haben! Zu dumm! Und aus dem grossen Seefahrer ‚Käpp’n Smidt’ ist mit einem Male wieder ein kleiner, dummer Junge geworden. — —
Unser Held ist aus allen Himmeln gestürzt. Einen Augenblick besinnt er sich, dann hat er seinen Entschluss gefasst. Er vergräbt die Hände tief in den Hosentaschen und will sich sachte aus dem Staube machen. Da hört er seinen Namen rufen, und auf den obersten Stufen der Wendeltreppe steht die hübsche, blasse Frau und winkt ihm freundlich zu. Sie hat so liebe Augen und eine so wohltuende Stimme. Sie ist wie ein Magnet, wenn man auch noch so gern fort möchte, es hilft nichts, man wird gegen seinen Willen angezogen. —
An der Kaffeetafel sitzen die Drei, die Mutter, der ‚Piepjochen’ und Heini. Das hübsche junge Mädchen mit der weissen Haube bedient. Alle Menschen sind so gut zu ihm; die Umgebung ist so anheimelnd, und der schöne Kuchen obendrein, — — man muss nur versuchen, das dumme Schulzeugnis zu vergessen.
Heini findet jetzt Gelegenheit, den ‚Piepjochen’ in Ruhe zu betrachten. So bei Licht besehen macht er gar keinen üblen Eindruck. Er musste daran denken, wie Karl unter einem Berg von Decken begraben lag, und wie ihm trotzdem die Zähne klapperten. Die Mutter schien seine Gedanken zu erraten und sagte: „Der Unart hat ordentlich schwitzen müssen; aber das geschah ihm ganz recht, so hatte er ausser dem Schrecken doch wenigstens eine kleine Strafe!“ — Plötzlich fügte sie in ganz mildem Tone hinzu: „Na, nun ist er Gott sei Dank ganz wieder hergestellt, und Dir, Heini, werden wir Deine mutige Tat nie vergessen, dessen darfst Du sicher sein!“
Da reicht ihm auch schon Karl die Hand und spricht: „Ich danke Dir auch von ganzem Herzen!“
Heini versteht nicht, wie man um etwas, was in seinen Augen eine Selbstverständlichkeit ist, so viele Worte verlieren kann. Ihm beginnt diese Dankbarkeit lästig zu werden, und er macht kein Hehl daraus: „Hört bloss endlich mit Eurer Dankerei auf; wenn einer zu danken hat, so bin ich es!“
Darauf