Mit behäbiger Würde erhebt sich der Alte und sagt: „Wenn Reeder Timm etwas verspricht, so meint er nichts anderes als das, was er verspricht! — Ein Bengel der mit zehn Jahren Häuptling unter Seinesgleichen ist, der sein Leben für andere in die Schanze schlägt, der so viel Selbstbewusstsein und gleichzeitig Gerechtigkeitssinn hat wie dieser hier, der wird auch im späteren Leben nicht damit zufrieden sein, Einer unter vielen Tausenden zu bleiben, nein, der wird, wenn ich ihm die Hand dazu reiche, nach dem Höchsten streben! — Habe ich nicht recht, Heini?“
„Ja!“ rief der aus vollem Halse.
„Also, abgemacht! Du kommst später auf eins meiner Schiffe. Doch glaube nicht, mein Junge, dass zur See fahren immer eitel Vergnügen ist! Um es einmal zum Kapitän zu bringen, heisst es als Schiffsjunge anfangen; und es ist ein langer, mühsamer Weg, sich bis zum Führer durchzuarbeiten!“
„Das macht nichts! — Wenn es so leicht wäre, so würde ich auch gar keinen Spass daran haben! — Zur See fahren, ist immer mein grösster Wunsch gewesen!“
Am liebsten hätte Heini seinen neuen Freund umarmt, und es kostete ihm Mühe, seine innere Erregung zu verbergen. —
Längst war der Gast gegangen.
Im kleinen Zimmer sassen Mutter und Sohn bei einander, und es schien ihnen, als habe die Märchenfee ihre Stirn geküsst, und der kleine Raum wäre mit Freude und Glanz überflutet.
Wiederkommen sollte Heini, hatte Herr Timm gesagt; und schelmisch er hinzugefügt, den Tag zu bestimmen, wage er nicht, doch am liebsten schon morgen.
Wo war nun aller Zorn geblieben?
Ganz beschämt fühlte sich der Junge. Er schalt sich selbst den undankbarsten Bengel, den es auf Erden gäbe, und er nahm sich vor, sein Unrecht wieder gutzumachen. —
Nun packte Mutter das Paket aus.
Obenauf lag das alte Zeug, säuberlich gewaschen und gebügelt, und aus jeder Tasche fiel obendrein ein blanker Taler!
Und dann lag unter dem alten noch ein neuer Anzug! Genau so hübsch wie der, den er durch Thedje und Genossen hatte zurückschicken lassen; aber dieser hier war nicht zu eng, der passte wie angegossen. Die Jacke trug hübsche, blanke Knöpfe, und ein weisser Matrosenkragen war darauf angebracht. Und, o Wunder! selbst hier fanden sich in den Taschen blanke Taler! Als man den ganzen Reichtum zusammenzählte, kamen dreissig Mark heraus! Heinis Dreimarkstücke noch gar nicht mitgerechnet. — Zuguterletzt kam noch eine feine, blaue Schirmmütze zum Vorschein, vorn mit einem goldenen Anker und Steuerrad verziert.
Stine und ihr Junge wurden beim Betrachten all der Herrlichkeiten und des vielen Geldes so von Rührung übermannt, dass sie sich umarmten, und ihre Augen standen voller Tränen. — Sie weinten vor Freude! — — Ja, die beiden waren vom Leben nicht verwöhnt!
Heute sollte es einmal festlich im Hause werden! Heini bekam zum Einholen einen langen Zettel mit auf den Weg; und was für schöne Dinge darauf verzeichnet standen! — Kaffee, Milch, Zucker, Rundstücke, Schwarz- und Feinbrot, zwei Flaschen Aktienbier, Schweizer- und Holländerkäse und dann von Hein Köllisch ein volles Dutzend Knackwürste! Obendrein Gekochte und Leberwurst! — Junge, Junge noch mal zu, sollte das ein Festessen werden! Ja, so verschwenderisch hatte Stine nur zweimal im Leben gewirtschaftet: am Hochzeitstage und, als Adje Vorarbeiter geworden war. — — Das lag nun beides schon Jahre zurück. —
Nun kommt ihr Junge angeschnauft. — Ganz ausser Atem ist er. Der Henkelkorb ist bis zum Bersten gefüllt. In jeder Hosentasche steckt eine Flasche Bier, und in den Armen trägt er ausser zwei mächtigen Broten einen Riesenblumenstrauss. Jawoll, richtige Blumen! Und so schöne und so viele! Die hatte er von seinem Taler gekauft, denn etwas wollte doch auch er zur Feier des Tages beitragen!
Jetzt tritt Heini ins Zimmer. Er hat sich umgezogen. Schmuck sieht er in dem blauen Matrosenanzug aus. So ein vornehmes Kleidungsstück hat er noch nie im Leben getragen.
Da sitzen nun Mutter und Sohn und können die Zeit nicht abwarten, bis der Vater heimkehrt.
Endlich! — Er kommt die Treppe herauf. Er schwankt zur Tür hinein. Mit verglasten Augen schaut er um sich. Wie durch einen Nebelschleier sieht er. — Ja, träumt er denn? Stine eilt ihm entgegen, gibt ihm freundliche Worte! Sie, die sich sonst schweigend abwandte, wenn er in diesem Zustande nach Hause kam, und ihm auf seine Fragen keine Antwort gab, bis er zuletzt ganz still und in sich gekehrt geworden ist. — Und nun springt gar sein Sohn an ihm hoch, begrüsst ihn, als sei mit ihm eine grosse Freude ins Zimmer getreten.
In Adjes Hirn arbeitete es. War denn heute ein Festtag? — Fest umschlang er Frau und Kind, und nichts als abgebrochene Laute vermochte er hervorzustossen, so gewaltig fühlte er sich erschüttert.
Die Gemütsbewegung hatte ihn mit einem Schlage ernüchtert. Und nun sah er alle die Herrlichkeiten vor sich ausgebreitet, er sah, dass man auch seiner in Liebe gedacht hatte. Ein unendlich wohltuendes Gefühl bemächtigte sich seiner. Er kam sich vor wie ein Wanderer, der nach jahrelangen Irrwegen endlich heimgefunden hat.
Und nun gab es ein Fragen und Erzählen. Es war fast wie ein Märchen; und Heini, sein Junge, war der Held des Abends, der alle diese Wunder durch seine tapfere Tat zuwege gebracht hatte. Adje drückte ihn gerührt an seine Brust. Er sagte, dass er stolz sei, einen solchen Sohn zu haben!
Und seltsam, diese Worte aus dem Munde seines Vaters, desselben Vaters, den er noch vor wenigen Stunden so sehr verachtet hatte, machten ihn in dieser Stunde glücklicher als alles andere.
Es folgte der reichste und fröhlichste Schmaus, dessen sich die kleine Familie in ihrem ganzen Leben erinnern konnte.
Stines Gedanken waren bei dem ‚Mann mit dem Backenbart’ und seinem gutherzigen Lachen. Sie sah, wie dieses plötzlich aus seinen Zügen wich, und sie verstand, dass die an ihr Kind gerichteten Worte auch ihr gegolten hatten, — vielleicht nur ihr! — —
Hatte sie es verstanden, ihren Mann von der richtigen Seite zu packen? — Ja, hatte sie es auch nur versucht? — Machte man einen Menschen dadurch besser, dass man ihn verachtete? — Hatte sie nicht das Ihre dazu beigetragen, dass im Herzen des Jungen der Hass so tiefe Wurzeln fassen konnte? — Nein und tausend Mal nein, mit kalter Pflichterfüllung ist noch lange nicht alles im Leben getan: Liebe, Verstehen und Verzeihen vermögen dem Dasein erst Wert und Inhalt zu verleihen. — Ein Fremder musste kommen und ihr dieses erst zum Bewusstsein bringen!
Sie rückte näher an ihren Mann heran. Sie nahm seine Hand in die ihre und fühlte, wie sie zitterte. — —
Längst war der Tisch abgeräumt.
Die Drei sassen noch lange beisammen.
Zum ersten Male hörte Heini seinen Vater erzählen. Ängstlich vermied er die Gegenwart. Erinnerungen aus alten Tagen kramte er hervor, und Stine gab ihren Vers dazu, und dann lachten beide. — Seine Eltern konnten lachen! Das war etwas, was Heini im Hause noch nie gehört hatte.
Ein warmes Gefühl liebevoller Verbundenheit stieg in den drei Menschen empor.
Endlich ging man zur Ruhe.
Dem frohen Tage folgte eine glückliche Nacht. — Adje und Stine hatten seit vielen, vielen Jahren keine so glückliche Nacht verlebt.
Aber auch Heini kam auf seine Rechnung! — Ihm träumte, er fahre auf einem Segler, und er erlebte im bunten, wirren Durcheinander die unglaublichsten Abenteuer. Zuguterletzt legte das Schiff an der Landungsbrücke an, und hier wartete Heinis Lehrer und überreichte ihm einen gewaltigen Blumenstrauss. Der sah genau so aus wie der, den er zur Feier des Abends gekauft hatte. Bei der Gelegenheit fiel ihm ein, dass er vergessen hatte, seine Schularbeiten zu machen, aber das tat seiner freudigen Stimmung keinen Abbruch. Dann standen seine Eltern plötzlich vor ihm, und er wurde wieder ein kleiner, zehnjähriger Junge. Der Vater nahm seinen Kopf an die Brust und sagte: „Ich bin stolz, einen solchen Sohn zu haben!“ und die Mutter küsste ihn auf den Mund.
Darüber wachte er auf.