Die Bernert-Paula. Eine Geschichte zum Vorlesen. Max Herrmann-Neisse. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Max Herrmann-Neisse
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726614602
Скачать книгу
Komödiantische in René Casati gereizt. Der sah sich in tolle Intrigen verwickelt, Held eines zeitgemäßen Abenteuerstückes, darin er die goldene Jungfrau von ihrem tantenhaften Drachen befreite und schließlich als Sieger an der reichbeladenen Tafel saß, deren Leckerbissen er jetzt schon greifbar vor sich zu haben träumte.

      Es begann ein geheimer Briefwechsel, der über Kusche und Paula zu der Pfefferküchlerstochter und wieder zurück ging. Elfriede las aus der Schwärmerei, die dem erhofften Wein und Braten galt, inbrünstiges Verlangen nach ihrer Person, und nahm alle Flüche gegen den Cerberus, der sie so grausam bewache und um ihr Jugendglück bringe, für Mißbilligung des Verhaltens ihrer Mutter. Kurz: man mißverstand sich aufs beste. Und Paula vergnügte sich lange damit, als Drahtzieherin das briefliche Theater des kasperlehaften Hinüber und Herüber funktionieren zu lassen. Endlich mußte einmal etwas Handgreifliches geschehen. Paula litt es nicht mehr in ihrer anonymen Rolle der unsichtbaren Lenkerin der Geschehnisse. Sie wollte richtig mitwirken.

      Die Inszenierung dieser Komödie entsprach völlig sowohl ihrer eignen Lust an koboldhaftem Mummenschanz, als auch dem kitschigen Bedürfnis des Mimen nach romantischer Situationspointe. Herrn Casati wurde mitgeteilt, des Fräuleins Vertraute, die in einem besonders heiklen Verwandtschaftsverhältnis zu der jungen Dame stehe und deren Name nicht genannt werden könne, hätte dem Schauspieler eine geheime Botschaft zu überbringen. Von dieser Zusammenkunft hänge zuguterletzt alles ab. Casati bestach den Theaterkastellan. Es war ein sonniger Frühlingsnachmittag, als die stark vermummte Paula durch den Bühneneingang ins Theater gelassen wurde. Der jähe Übergang von der deutlichen Klarheit des frühlingshaften Draußen in die panoptikumhafte Muffigkeit des verstaubten, ungelüfteten Theaterdunkels war ein aparter Genuß für ihre Nerven. Es ging eine enge Wendeltreppe empor, dann schlug eine Eisentür hinter ihr zu, sie befand sich auf der Bühne, die jetzt sonderbar genug aussah, unbeleuchtet, unaufgeräumt, durch den eisernen Vorhang vom Zuschauerraum abgesperrt. Zwischen den Resten von Kulissen, die einen Königspalast darstellen sollten, saß auf der Bank von Stein aus »Wilhelm Teil« René Casati. Als nun die vermummte Paula auf ihn zukam, zögernd, sich wie blind vorwärts tastend, weil sie sich ja in dieser Umgebung nicht auskannte, war er von dem ersten Eindruck vollkommen befriedigt. Die Vermummung unterstrich und vergröberte ihren Körperfehler noch. In der staubigen Dämmerung hatte die Mißgestalt, die da schlotternd einherwankte, etwas Gespenstisches. Casati mußte gleich an die Hexen in »Macbeth« denken, »Großartige Maske!« anerkannte er, wider seinen Willen, laut und setzte sich sofort selbst der theatralischen Situation entsprechend in Positur. Man erkannte sich im Grunde als seinesgleichen und respektierte gegenseitig seine Lüge. Kurz: man verstand sich gut und beschloß, auf Kosten jener blöden Bürgerpute sich noch besser zu verstehen. Und obwohl beide ihre Rollen bis zuletzt durchhielten, fand ihre Verhandlung, die nur noch um die möglichst ertragreiche Ausschlachtung ihres Opfers ging, bald in einem Rotwelsch statt, das sich von selbst ergeben und den Kulissenjargon mit der Gaunersprache des Gassenmädels zwanglos geeint hatte. In der Folgezeit wurde Elfriede angestiftet, ihre Mutter bei jeder Gelegenheit zu bestehlen und von dem erbeuteten Gelde Geschenke zu kaufen, die dem Schauspieler ihre Zuneigung sinnfällig beweisen sollten. Obwohl für Paula die nötigen Provisionen dabei abfielen, war auch dies auf die Dauer langweilig.

      Die Geschichte drängte zum Knalleffekt. Die Hauptpersonen des nicht sehr sauberen Handels mußten endlich zusammengebracht werden. Der Witwe Kausch wurde durch den Hoboisten Kusche ein günstiger Gelegenheitskauf angetragen. Drüben im Österreichischen, in Sandhübel, sei spottbillig eine Garnitur zu haben, die Besitzer ahnten von dem wirklichen Wert nichts, aber man müsse sich bald schlüssig werden, ehe die Händler etwas erführen. Also reiste Frau Kausch am 23. März nach Sandhübel. Kaffee, Tee, Brot, Butter, Wurst wurden vorher für Vesper und Abendmahlzeit genau eingeteilt, mit dem letzten Zuge würde sie wieder zurückkommen, aber Elfriede brauche sie nicht abzuholen, nicht ratsam sei es, die Wohnung nach Einbruch der Dunkelheit allein zu lassen, auch öffnen sollte die Tochter keinesfalls, wenn es klingle, denn man könne nie wissen!

      Sobald die Mutter aus dem Haus war, kaufte Elfriede Blumen, Kuchen, Likör ein. Dann kam. Paula, man erbrach Kästen und Schübe, nahm, was an Geld sich fand, und Paula besorgte das Teuerste und Beste für ein Liebesmahl, das verwöhnten Ansprüchen genugtun konnte. Die ganze Wohnung wurde umgekrempelt, am lichten Tage jedes Fenster dicht verhängt, mit vielen Kerzen eine verschwenderische Festillumination geschaffen. Aus dem Theaterfundus hatte Paula für sich ein Kammerzofenkostüm besorgt, für Elfriede eine historische Staatsrobe mit weitgehendem Dekolleté, auch Schminke und Puder, womit sie die Bürgertochter zu einer billigen Karikatur ordinären Dirnentums verunstaltete. Dem Schauspieler hatte sie eingeredet, Elfriede erwarte sich von ihm bei dieser ersten Zusammenkunft einen besonderen Aufwand an theatralischer Pracht. Nun harrte sie in schadenfroher Spannung des Ergebnisses und war, wenn auch aus anderen Gründen, genau so aufgeregt wie Elfriede.

      VII

      Pünktlich um vier Uhr nachmittag ging die Korridorklingel. Paula öffnete und hatte Mühe, nicht laut heraus zu prusten. Gleichfalls geschminkt, unnatürlich jugendlich sich gebahrend, trat René Casati ein, suchte mit getragenem Würdeton sofort Distanz zu schaffen und war nicht zu bewegen, seinen Mantel auszuziehen. Aber Paula war ja gewitzt genug, sich gleich anzupassen, mit einem Knicks ließ sie ihn in den sogenannten Salon und konnte grade noch hören, daß er geschwollen knödelte: »Ich versprach auch einmal spanisch zu kommen . . .« Damit ließ er den Mantel fallen und paradierte in einer Phantasie-Uniform, die ein Mittelding war zwischen dem Habit Münchner Hatschiere und dem, was kindliche Gemüter sich unter Gala vorstellten. Und nach einigem belanglosen Hin und Her der üblichen Redensarten hatte er sich wuchtig im Ehrenplatze auf dem Sofa verstaut, und das große Essen und Trinken begann.

      Paula trug auf, und Herr Casati genoß, was es zu genießen gab, Speisen und Getränke, wie das Geschick sie bot, Saures und Süßes, Magres und Fettes, Fleischiges und Gebratenes, Trockenes und Feuchtes, und Elfriede saß steif dabei, brachte vor Erregung keinen Bissen hinunter, nahm nur grade aus Höflichkeit von jeder gereichten Speise ein Häppchen, saß und wartete in furchtsamer Begier auf den mit Schrecken ersehnten Augenblick, da der Gewaltige sie ergreifen würde. Die Spannung erhitzte ihre Kehle, so tat sie ihm bei jedem Zutrunk mit gewaltigem Zuge Bescheid.

      Der Schauspieler thronte nun schon sanft angeglüht, es ging ihm gut, und er war in der schönsten Stimmung. Zwischen dem Knappern an einer Gänsekeule, dem Weinschlucken und Schmatzen, erzählte er dröhnend Anekdoten aus seinem Leben. Da er lange nicht mehr aus seiner Scheinwelt herausgekommen war und den dort üblichen Ton für überall verwendbar hielt, auch nicht zu unterscheiden vermochte, wohin etwas paßte oder nicht, gefiel er sich in Eindeutigkeiten der ungeniertesten Form. Wie es bei Männern seines Alters und Schlages vorkommen kann, war dies Schwelgen in Unanständigkeiten und Zoten für ihn eine Art erotischer Befriedigung, die einzige, die ihm noch geblieben war, und angeregt von den reichlichen Spenden eß- und trinkbarer Stoffe, fröhnte er dieser Leidenschaft immer hemmungsloser. Elfriede fiebert in prickelnder Bängnis, Paula ist in ihrem Element, bringt dem Schauspieler aus dem Obszönitätenschatze der Gassenreden die nötigen Stichworte, hält seiner impotenten, glibbrigen Geilheit begeistert den Reifen, kostet triumphierend das vermeintliche Erlebnis aus, in die solide Hut der Bürgerstuben die Laszivität schrankenloser Vogelfreiheit zu schleudern. Das Ganze hatte etwas unglaubwürdig Phantastisches, anrüchig Schaubudenhaftes. Paula und der Schauspieler waren wie von Sinnen; ohne jeden Grund, aus purer Verzückung über sich selbst, schrieen sie sich gegenseitig ihre Schmutzereien zu. Mit glasigen, faszinierten Augen blickte der Backfisch sie an und alle drei Gesichter kochten in flammendem Rot, Paulas Wangen im Feuer ihrer zerstörerischen Lust, die der Bürgerstochter von unbefriedigter Begierde und die des Mimen von allen Feuern der Völlerei. Endlich ist Casati soweit, daß er seine Worte auch durch die entsprechende Geste ergänzen zu müssen glaubt. Patsch, knallt seine Pratze auf Elfriedes Dekolleté; ergeben, gern gemißbraucht, reckt das Mädchen die ganze Auslage seinem ungeschickten Zugriff entgegen. Plötzlich geht die Glut in Herrn Casatis Antlitz erschrekkend ins Blaurote über, er würgt und seufzt, schließlich gibt es einen Ton, als ob ein Mäuslein pfiffe. »Der alte Versager macht ja mit einem Male so krampfhaft kindische Kasperlezuckungen . . . das ist ja wohl übertrieben!« denkt Paula, und hat noch nicht ausgedacht, da sackt der Schauspieler haltlos zusammen und hängt wie eine Stoffpuppe in der Sofa-Ecke.