Wörterbuch des besorgten Bürgers. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783955755973
Скачать книгу
2015 in Köln zeigten, wie scheinheilig dieser Beschützerinstinkt ist. Noch 1997 stimmten 138 Bundestagsabgeordnete dagegen, auch Vergewaltigung in der Ehe zu bestrafen, darunter Horst Seehofer (CSU) und − nicht ganz so männlich, aber ähnlich reaktionär − Erika Steinbach (damals noch CDU). Bis Köln wurde die »Nein-heißt-Nein«-Debatte abgetan als hysterisches Gekeife einiger Nachfolgerinnen der damals schon nervigen 68er-Feministinnen. Seitdem wollen vorrangig besorgte Männer entscheiden, wann ein Pograpscher im Büro rein freundschaftlich ist und der anzügliche Blick eines Nichtdeutschen einer Vergewaltigung gleichkommt.

      Im Kern ist die Debatte vor allem sexuell aufgeladen: Besorgte Männer wie Frauen, die zuvor das Einfordern von Frauenrechten als zickiges Abwerten von Männern im Allgemeinen verstanden und nicht als Konzept von Gleichberechtigung, konnten es plötzlich nicht lassen, sich einzumischen − gepaart mit von eigenen sexuellen Fantasien angetriebener Geilheit.

      Die Feindbilder des männlichen Besorgten sind Frauen, die ihre eigenen Entscheidungen treffen und auf sich selbst achten. Für diese Männer bedeutet das: Sie werden nicht mehr gebraucht − weder als Ernährer, Unterstützer, Chef, noch als Sexualpartner. Plötzlich haben sie neben der Kastrationsangst (image Gummimuschi) noch den Verlust des Heldenstatus zu erdulden. Wer beschützt ihre blonden Frauen und Mädchen vor den image Männerhorden, vor den Schwarzen mit den langen Schwänzen und den frauenverachtenden image Muslimen? Wer erklärt ihnen, den unschuldigen Naivchen, wie gefährlich diese Welt für Frauen ist? [ng]

       deutsche Sprache

      Sie nennen sich Patrioten und wollen die deutsche Sprache retten. Sie tauschen Handynummern, packen Babys in Plüsch, wenn sie zur Grillparty gehen, sie mögen Auto und Vorgarten, kuscheln bei Kaffee mit dem Onkel und rauchen Zigaretten, bis ihnen blümerant um die Rosette wird. Sie haben Respekt vor Chef und Sporttrainer, lieben Wein, aber verachten andere Drogen, leben vielleicht ihre Emotionen auf der Toilette aus und machen eine Szene, wenn das Militär schlecht wegkommt. Von kriminellen Handlungen distanzieren sie sich prinzipiell, denn sie sind moralisch integer. Alle kursivierten Begriffe haben einen anderen Ursprung als Germanisch.

      Besorgte wie Peter Hauk (CDU) fordern eine Deutschpflicht im Internet, die CSU will sie auch in Moscheen. Schließlich reden die alle so komisch, da weiß man nie, was die wieder planen! (Dass zur freien Religionsausübung auch die Sprache gehören muss, kann man getrost ignorieren, denn in katholischen Kirchen wird ausnahmslos auf Deutsch gebetet. Wobei, Halleluja ist hebräisch.) Mit diesen zum Scheitern verurteilten Attacken versuchen Besorgte nicht nur, arabisch- oder türkischsprachige Gruppen zu germanisieren, sondern auch, Einfluss auf einen Bereich zu nehmen, der lebendig, dynamisch und zwangsläufig nie abgeschlossen ist. Sprachkontrolle funktioniert selbst in Ländern mit strikteren Vorgaben (Frankreich oder Island) kaum, weil sich Sprache im Ganzen nicht steuern lässt. Man mag einzelne Begriffe kritisieren, aber pauschale Sprachpflichten untergraben Vielheit, die einigen gefährlich, weil image fremd vorkommt. Ein solcher Versuch kann nur danebengehen.

      Die wenigsten besorgten Urlauber oder gar Auswanderer werden sich daran halten, ausschließlich die Sprache des Gastlandes zu sprechen; etwa Holger Apfel, vormals NPD und mittlerweile Kneipier auf Mallorca, oder Lutz Bachmann, der in Südafrika vermutlich wenig Afrikaans oder eine der vielen anderen Amtssprachen des Landes gelernt hat − und für seinen neuen Arbeitsmittelpunkt Teneriffa auch kein Spanisch-Diplom mitbringt. Die Besorgten fordern, die »Neuen« sollten »genau wie wir damals« diese komplizierten Grammatik- und Rechtschreibregeln lernen. Gut gebrüllt, Löwe. Wir haben aufgehört, die Fehler in besorgten Statements zu zählen.

      Die Idee einer homogenen Sprache, die sich nicht verändert und nur aus sich selbst heraus Wortschatz generiert, ist so alt wie absurd. Schade nur, dass es im besorgten Umkreis noch keine Lexikvorschläge à la Dörrleiche für Mumie oder Jungfrauenzwinger für Kloster gibt. Zu Hochzeiten des deutschen Sprachpurismus im 17. und 18. Jahrhundert war Latein des Bösen Wurzel; heute ist es Englisch. Aber sogar Michael Klonovsky, früher beim Focus, später publizistischer Berater von Frauke Petry, nannte sich selbst Spindoctor. »Propagandabeauftragter« ist sprachhistorisch vermutlich nicht Deutsch genug. [ng]

       Deutschland GmbH

      Die Kurzform für die Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur GmbH fasst alles zusammen: Die BRD oder Deutschland ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Wer diesen Gedanken noch absurd findet, dem werden zahlreiche image Fakten offeriert. Gelernte Ostdeutsche finden hier erstaunliche Ähnlichkeiten zur DDR: Diese stand unter der Knute der Sowjetunion, während Deutschland eigentlich von den image USA beherrscht wird, die nach wie vor die Besatzungsmacht bilden. Ein Redner mit dem Pseudonym Friedrich Fröbel behauptete bei Legida, dass Angela Merkel von »amerikanischen V-Frau-Führern« gelenkt werde, man »von Herr zu Vasall« miteinander spreche. Horst Seehofer komme in der »amerikanischen Tyrannis« die Rolle des »Egon Krenz der BRD« zu, für den Fall, dass Merkel irgendwann abtreten sollte.

      Klingt unglaubwürdig? Man nehme seinen Ausweis. Als Staatsangehörigkeit wird »deutsch« angegeben, ohne Staatsnennung. Fast ganz oben steht Personalausweis. Genau, Personal. Der Inhaber des Dokuments gehört also zum Personal der BRD GmbH. Und wie ist der Name des Personals geschrieben? In Großbuchstaben. In Großbuchstaben mussten angeblich auch die des Schreibens mächtigen Sklaven im Alten Rom ihre Unfreiheit bestätigen. Ergo: Das Personal der GmbH ist auch deren Sklave. (Das alte Latein kannte übrigens nur Großbuchstaben.) Man kann sich erstaunlich lange damit aufhalten, den Ausweis anzuschauen und da Dinge zu lesen − von den Illuminaten bis zu Satan ist für jede Verschwörungsnische etwas dabei.

      Bleiben wir bei der BRD. Die ist kein souveräner Staat, was man daran merkt, dass sie keine Verfassung hat. Das Grundgesetz gilt nicht, auch wenn es sich »das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt« selbst geschenkt hat, wie es in der Präambel heißt (image Verfassung). Außerdem hat der Bundestag eine Steuernummer. Man möchte meinen, dass das auch besser so ist, denn der Bundestag hat Betriebe und muss Umsatzsteuer abführen. Tatsächlich beweist die Steuernummer aber, dass das Land nicht souverän ist.

      Die Reichsbürger sind besonders aufgeweckte Kerlchen, denn sie wissen sogar, dass das Deutsche Reich nie aufgehört hat zu existieren. Sie haben dafür Belege, außerdem ihre eigenen Ausweispapiere und lehnen es ab, Steuern zu zahlen oder sich an die Straßenverkehrsordnung zu halten. Natürlich fahren sie gerne über die Straßen des Vasallenstaats oder nutzen dessen Gesundheitssystem, wenn sie krank sind. Aber wer an den Vasallenstaat Steuern zahlt, hat sich bereits versklaven lassen. Und wer will schon Sklave sein? [fr]

       Diktatur

      Besorgte Bürger sehen sich diktatorischen Verhältnissen ausgesetzt. Merkel- oder Meinungsdiktatur