Wörterbuch des besorgten Bürgers. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

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Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783955755973
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richten, wo Demonstrationen in seinen Augen versagten, ist der Schreiber nicht allein.

      »Bürger, wehrt Euch!« lautet eine der Besorgtenparolen. Bürgerwehr klingt harmlos, nach Mieterschutzbund und Fußgängerverein. Mensch Bürger nutzt sein gutes Recht, lässt sich nicht alles gefallen. So unproblematisch und gewaltneutral ist die Bürgerwehridee nicht, das zeigt schon ihr idealisierter Urmythos. Noch immer gilt vielen die Alte Schweizer Eidgenossenschaft als Vorbild eines mit Spießen bewaffneten Bürgerbundes, der erfolgreich das Ritterheer der habgierigen Habsburger schlug. Das waren damals natürlich nicht alles Menschen, die sich freiwillig zusammenschlossen, sondern es gab widersprüchliche Eigeninteressen, Abhängigkeiten und Standesunterschiede. Tatsächlich kam im Mittelalter für freie Stadtbürger eine Verteidigungspflicht auf. Sie hatten sich an der Waffe fit zu halten und im Angriffsfall ihre Stadt zu schützen. Daraus entwickelten sich im 19. Jahrhundert militärische Einrichtungen, die Arbeiteraufstände oder die Erhebungen der Märzrevolution 1848 bekämpften. Dem Willen des »gemeinen Menschen« dienten sie gerade nicht. Nach dem Ersten Weltkrieg verschwanden sie. Besonders in Süddeutschland erinnern bis heute Vereine aus Traditionspflege an diese Bürgerwehren.

      Faustrecht statt Folklore bestimmt das Denken gegenwärtiger Bürgerwehren. Mögen manche wirklich der Nachbarschaftshilfe verpflichtet sein, so sind die meisten doch vom Ungeist der Besorgten bewegt. Diese Form der Selbstjustiz − der juristische Rahmen für eine legale Bürgerwehraktivität ist sehr eng − ist nicht nur problematisch, weil sie de facto das Gewaltmonopol des Staats infrage stellt. Unausgebildete Menschen maßen sich im Namen des Schutzes der Öffentlichkeit Personenkontrollen, Festsetzungen, gar den Einsatz körperlicher Gewalt an. Das den Reichsbürgern zugehörige »Deutsche Polizeihilfswerk« läuft in Ostdeutschland als Vollstrecker eines Fantasiestaats auf und setzte schon mal Gerichtsvollzieher mit Kabelbindern fest. Wegen des Verdachts auf Bildung einer terroristischen Vereinigung, versuchten Mord und versuchte schwere Körperverletzung hat Ende 2017 die Bundesstaatsanwaltschaft Anklage gegen Anhänger der Bürgerwehr Freital (Erzgebirge) erhoben (Urteile wurden bis Drucklegung nicht verhängt). [tp]

       Christentum

      image christlich-jüdisch, Abendland

       christlich-jüdisch

      Die Rolle der »christlich-jüdischen Tradition« bei der kolportierten Notwendigkeit, das image Abendland gegen die image Islamisierung zu verteidigen, erscheint wie ein Phantomschmerz. Denn das sächsische Geburtsland von Pegida ist wie andere ostdeutsche Bundesländer für die Konfessionslosigkeit seiner Einwohner bekannt. Manche würden auch behaupten, dass es Antisemiten dort leichter haben als Juden. Vielleicht deshalb strengt sich die Evangelische Kirche in Sachsen nun an, dem Phantom eine pegida-gerechte Gestalt zu geben. So profilierte sich der Landesbischof Carsten Rentzing vor seiner Ernennung mit homophoben Aussagen. Und für den ob seiner DDR-Opposition bekannten ehemaligen Pfarrer Theo Lehmann drückt sich in dieser Haltung der auch in Kirchensachen bewundernswerte »sächsische Weg« aus. Diesen ebnet er für die image Spaziergänge von Pegida, an denen er teilnimmt, um seine Kritik am Islam als »antichristliche Religion« zu demonstrieren.

      Tatsächlich meint die christlich-jüdische Tradition gerade nicht die christlichen Kirchen. Erfunden haben ihn Vertreter meist aus dem Lager der Unionsparteien zu Hochzeiten der image Leitkultur- und Integrationsdebatten (die dabei den schon zuvor umstrittenen Begriff einer jüdisch-christlichen Tradition noch verkehrten, um ihre Prioritäten zu verdeutlichen). Meist in Verbindung mit Aufklärung gebraucht, dient das Konstrukt einer vermeintlich aufgeklärten Variante des antimuslimischen Rassismus. Und die geht so: »Unser« Rechtsstaat und seine freiheitlichen Grundwerte in »unserem« Grundgesetz wie die Gleichstellung der Geschlechter, Freiheit der Kunst, Meinungsoder Religionsfreiheit seien das Ergebnis besagter Tradition (übrigens auch die sexuelle Freiheit). Denn im Gegensatz zum Islam mit seinen »kriegerisch-arabischen Ursprüngen« hätte diese erst die Aufklärung ermöglicht. Einige Tatsachen wurden allerdings unter den Stammtisch fallen gelassen: zum Beispiel, dass Christentum und Judentum die längste Zeit vor allem durch Glaubenskriege und Antisemitismus »verbunden« waren und − ach ja − die Shoah als dialektische »Kleinigkeit« der westlichen »Zivilisation« auch etwas mit diesem Verhältnis zu tun hat. Schließlich verdrehen die Apologeten des christlich-jüdischen Abendlands den einfachen Umstand, dass die von ihnen gefeierten Freiheiten gegen die Kirchen erkämpft wurden.

      Bei so viel kaschiertem Horror fällt nicht auf, dass mit diesem Bezug das Kunststück gelingt, image Muslimen selbst gegenüber intolerant sein zu dürfen − mit dem Verweis auf ihre angebliche kulturell-religiös bedingte Unfähigkeit zu Toleranz und Freiheit. Einige Kirchenvertreter und andere Konservative haben mittlerweile gelernt, zumindest für den Moment einen liberalen Umgang mit den Blüten aufgeklärter Gesellschaften zu suggerieren und zum Beispiel Schwule und Lesben einzubeziehen, damit diese Rechnung gegen den Islam aufgeht. Bei den Homophoben von AfD, Pegida und sächsischer Kirche allerdings ist man selbst für diesen Kniff zu blöd. [mr]

       Cui bono?

      »Wem zum Vorteil?«: Angesichts von Verbrechen, historischen oder aktuellen politischen Geschehnissen ist die Frage, wer davon profitiert, folgerichtig, um auf eine erste Spur der Verantwortlichkeit zu kommen. Nur kann beim Suchen nach dem möglichen Motiv nicht stehen bleiben, wer wirklich aufklären will. »Wem das Verbrechen nützt, der hat es begangen«, wie Seneca in seiner Tragödie Medea schreibt, ist eben nicht die ganze Antwort. So verführt die eilig beantwortete Frage zum Fehlschluss.

      In der Verschwörungstheorieecke blüht »Cui bono?« seit Langem als Pauschalerklärung für dies und das. Weil die USA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den Krieg zogen, müssten sie hinter den Ereignissen stecken. Die Pharmaindustrie habe HIV auf die Menschheit losgelassen, um sich dadurch auf Jahrzehnte einen Absatzmarkt zu sichern. Dass jemand Nutznießer eines Umstands sein kann, ohne diesen verursacht zu haben, kommt den »Cui bono?«-Rhetorikern nicht in den Sinn. Komplexes lässt sich derart einfach zu hübsch auf simple Antworten reduzieren. Ein Beispiel: Die islamistischen Anschläge von Paris? Um Pegida-Demos zu verbieten! image USA und image Zionisten schüren damit antimuslimischen Hass! Wohnungen für Flüchtlinge werden dadurch freigemacht!

      Lustigerweise geriet Pegida selbst unter »Cui bono?«-Beschuss. Ken Jebsen, Galionsfigur der Querfront-Friedensmahnwachen, mutmaßte, Pegida wurde von oben installiert. Damit werde gerechter Volkszorn kanalisiert, statt das System revolutionär zu erschüttern. [tp]

       D-Mark

      Der