„Warum arbeiten Sie denn nicht für Ihre afrikanischen Brüder?“ fragte ich ihn eines Tages. Er erklärte mir, daß seine Landsleute ihn stets betrogen und seine Arbeit nicht bezahlt hätten; auch meinte er, daß die Franzosen, wären sie noch am Ruder, ihn gewiß legal in Dakar hätten arbeiten lassen.
Als eine örtliche Zeitung später ein Foto brachte, das Omar und mich auf der LIBERIA zeigte, war er so stolz, daß er das Bild tagelang immer wieder betrachtete und es allen Passanten unter die Nase hielt. Da er nicht lesen konnte, mußte ich ihm immer wieder die Bildunterschrift vorlesen, in der sein Name erwähnt war.
Kaum waren die Formalitäten im Hafen erledigt, als man mir auch schon von allen Seiten Hilfe anbot. Im Gegensatz zu der sonstigen Schwerfälligkeit deutscher Amtsstellen im Ausland stand es auch, daß der diensttuende junge deutsche Konsul sofort an Bord kam, sich erkundigte, ob er mir behilflich sein könnte und mich zu einem Trip in den Busch einlud. Die Hochschule, die Marine und die Segelclubs baten mich, Vorträge zu halten. Kurz, es regnete von allen Seiten Einladungen.
Dakar ist eine afrikanische Weltstadt, Knotenpunkt vieler Schiffahrts- und Fluglinien, und Dakar ist die reiche Hauptstadt des armen Senegal, das sich kümmerlich von Erdnüssen und Palmkernen ernährt, indem es sie ins Ausland verkauft.
Dakar ist gut 100 Jahre alt und hat die beiden älteren Kolonien Goree und St. Louis weit überflügelt, vor allem, weil es auf Grund seiner strategisch günstigen Lage am Atlantik zum Flotten- und Luftstützpunkt ausgebaut worden ist. Es liegt näher bei New York als Paris. Und nach Südamerika ist es nur ein Katzensprung, nicht weiter als nach Nigeria!
Als die Portugiesen das westlichste Kap Afrikas, auf dem heute Dakar steht, umsegelten, nannten sie es Kap Verde, das grüne Kap, weil seine Hügel im Gegensatz zur nördlichen Küstenlandschaft in schönstem Grün prangten. Südlich von Dakar weicht tatsächlich die Savannenlandschaft immer mehr dem Regenwaldgebiet.
Dakar, eine Großstadt von 500.000 Einwohnern, ist reich an modernsten luftgekühlten Wolkenkratzern. Und an elenden Slums. Prächtig gewachsene Menschen halten im Schatten häßlicher, knorriger Affenbrotbäume Siesta, feilschen um eine rotbraune Kolanuß oder bieten dem Besucher „garantiert“ echte „Kunstwerke altafrikanischer Kulturen“ an.
Mit der Echtheit dieser Kunstwerke ist es nicht so weit her; sie werden auf schmutzigen, sandigen Hinterhöfen von gerissenen maurischen Händlern im Akkord hergestellt. Dennoch – ich konnte es nicht lassen, nach längerem Feilschen ein paar Masken zu einem Viertel des ursprünglich geforderten Preises zu erwerben.
Durch nordafrikanisch anmutende Straßenzüge gelangte ich unvermittelt auf den Eingeborenenmarkt. Eine dichte Wolke von Fliegen und schwerem, widerlichem Kloakengestank schwebte über den offenen und ungeschützten Auslagen von Fleisch, saurer Milch, Palmwein, Klippfischen, Gewürzen, Gemüsen und Früchten. Fette Marktweiber stillten ungeniert ihre Säuglinge, weigerten sich aber, fotografiert zu werden. Stolze muselmanische Frauen schritten gemessen durch die Menge; über dem Rand ihrer Schleier glühten dunkle, scheue Augen. Junge Senegalesinnen in farbenprächtigen, weiten, über einer Schulter gerafften Gewändern, ließen ihre Hüften wippen.
Alle zehn Meter mußte man übelriechenden Abfallhaufen ausweichen – die Straßenkehrer hatten gerade Streik. Keiner schien an dem Kehricht Anstoß zu nehmen, am allerwenigsten die fliegenden Gesundheitspolizisten, die Milane. Sie hockten auf dem Dach der Markthalle und beobachteten mit scharfen, flinken Augen, wo ein Happen für sie abfallen könnte.
Am häufigsten traf ich diese Bussard-großen Schmarotzer in der Nähe von Fischersiedlungen wieder, wo sie sich um die winzigsten Abfälle noch stritten. Kein Mensch ließ sich durch sie aus der Ruhe bringen; jeder weiß, daß sie für die Hygiene wichtig sind und die Aasgeier anderer Länder ersetzen.
Als ich an einem Brunnen vorbeikam, an dem Kinder und Frauen mit Krügen auf dem Kopf Schlange standen, erzählte mir der Franzose, der mich begleitete, daß die Frauen von Dakar nicht die sorgfältig behüteten Haussklavinnen seien, die man in Nordafrika antrifft, sie gingen an die Wahlurnen mit einem Eifer, den man schon als organisiert bezeichnen müsse. Dabei kümmerten sie sich, im Gegensatz zu den Europäerinnen, nicht im geringsten um die Wahlsympathien ihrer Männer, sondern wählten den, der ihnen am geeignetsten erscheine. So habe ein Kandidat ein Plakat drucken lassen, mit dem er sich speziell an die Frauen wandte: „Geben Sie mir Ihre Stimme, und Ihre Männer müssen Wasser schleppen!“
Der Mann sei tatsächlich gewählt worden, jedoch die Frauen schleppten, wie ich sähe, leider noch immer Wasser …
Die Abenteuer der „Nike“
Als ich schon einige Tage in Dakar war, lag plötzlich neben der LIBERIA IV die kleine weiße Yacht des Hamburgers Detlef Peiser. Ich hatte die „Nike“ bereits bei der Ausfahrt auf der Elbe getroffen, war ihr wieder in Vigo und Las Palmas begegnet, glaubte sie jetzt aber schon in Monrovia oder gar in Lagos.
Die Zeitungen hatten sich mit Detlef mehr als ihm lieb war beschäftigt, als sich bei ihm an Bord mit Sack und Pack eine hübsche Engländerin einfand, die unbedingt die romantische Seefahrt kennenlernen wollte. Peisers einsames Herz fing Feuer. Jedoch dann kam die Biskaya, und mit der Romantik war es vorbei. Peiser mußte sein Boot und die junge Dame versorgen – in dieser Reihenfolge. Im nächsten Hafen, La Coruña, ging jeder wieder seines Weges – sie nach England zurück, wo Scotland Yard schon vergeblich nach ihr gefahndet hatte, er nach Dakar, um nach Südafrika zu segeln.
Peiser ist ein erfahrener Hochseesegler und hat eine der besten seglerischen Leistungen nach dem Kriege erzielt – denn eine Einhandfahrt ist sehr viel schwieriger als eine Fahrt zu zweit oder gar zu dritt. Außerdem finanzierte er gleich mir seine Fahrten aus eigener Tasche. Was wollte er jetzt wieder in Dakar, von dem er sich doch vor Wochen schon verabschiedet hatte?
„Zum Teufel mit der Seefahrt!“ empfing er mich. „Ich kehre um oder verkaufe das Boot.“
Ja, das ist das alte Seglerleid. Ist man gerade in einem Hafen eingelaufen nach einer Fahrt, auf der es nicht so klappte, wie man es sich vorgestellt hatte, dann nennt man sich einen Dummkopf und ärgert sich, daß man je auf die Idee kam, aufs Meer zu gehen. Das bleibt wohl keinem erspart.
„Portugiesisch-Guinea ist ja eine tolle Gegend“, schimpfte Peiser. „Flauten, Tornados, Sandbänke bis zu 60 Seemeilen ins Meer reichend, starke Strömungen, hohe Tidenunterschiede, dann der Wassertank geplatzt, der Fuß verstaucht, die Brille zertreten – nee, wenn Sie da durch wollen, ich beneide Sie nicht, Doktor! Und dann, stellen Sie sich vor: 16 Tage war ich in diesem Mist, da kommt doch ein Dampfer und fragt mich, ob ich irgend etwas benötige! Wind brauche ich, schrie ich den an. Dann aber erkundigte ich mich, ob er mich nicht nach Dakar zurückschleppen könnte.“
„Aber Sie waren doch 100 Seemeilen von Dakar entfernt?“
„Ja, ich hab’ das auch nur so im Spaß gesagt, aber der machte Ernst und hat mich 13 Stunden lang geschleppt! Es war ein russischer Fischdampfer mit allem Drum und Dran: Fabrik, Kino und Ärztin. Gute Zeit gehabt!“
„Und was wollen Sie jetzt machen?“
„Das Boot verkaufen oder nach Hamburg zurückbringen lassen.“
Wir zogen beide zum Cerle de La Voile, dem schön gelegenen Yachtclub von Dakar-Hann, ließen uns nachts von Moskitos plagen, nahmen Bekannte zu den benachbarten Inseln mit und bereiteten jeder seine Abfahrt vor, er nordwärts und ohne sein Boot, ich südwärts.
Doch vorher besuchte ich noch auf eigenem Kiel die kleine Insel Gorée, deren Geschichte eine reiche Auswahl an Gewalttaten wie Mord und Totschlag bietet. Gorée war einst ein berüchtigter Sklavenmarkt, von dem die Briten, Franzosen und auch die Niederländer ihre „Ware“, das „schwarze Elfenbein“, bezogen. noch heute kündet ein düsterer Bau, das feuchte und dunkle Sklavenhaus, maison des esclaves, von Zeiten, die ewig das Verhältnis zwischen Afrikanern und Weißen trüben werden.
Sonst ist Gorée heute ein kleines, verschlafenes, überraschend grünes