Auf dem Wege zur Stadt passierte ich ein Kriegerdenkmal, das die Franzosen einst errichtet hatten. Heute trägt es eine neue Inschrift: „Die Republik von Guinea den Märtyrern des Kolonialismus.“ Zweifellos beziehen sich diese Worte nicht auf die Kolonisierung Guineas durch Frankreich, sondern auf den nicht gerechtfertigten Einsatz von Afrikanern in zwei Weltkriegen; mit dem Glauben, die Afrikaner seien für ihr Vaterland gefallen, hat der junge Ministerpräsident gründlich aufgeräumt.
In dem ein wenig vernachlässigten Regierungsgebäude traf ich den Ministerpräsidenten. Die Schlagzeilen der Weltpresse hatten den jungen Sekou Touré einen Rebellen, einen Sozialisten, einen Kommunisten, einen Marxisten und vieles andere mehr genannt. Lachend kam er mir entgegen, während der ganzen Unterhaltung blieb sein Gesicht entspannt. Er sieht gut aus, trägt ein stolzes Gebaren zur Schau und antwortet schnell und gewandt. Was will Sekou Touré?
Sein erstes Ziel ist Guineas Größe – unter welchen Bedingungen und mit welchen Mitteln er es erreicht, das ist ihm gleichgültig. Sein zweites Ziel ist ein geeintes, freies Afrika. Guinea ziehe Armut und Freiheit dem Reichtum und der Unfreiheit vor; an Verbrüderung sei ihm mehr gelegen als an Almosen, und es brauche technische Unterstützung – keine moralische.
Sekou Touré entstammt altem afrikanischem Adel; er soll ein Nachkomme der Keita-Dynastie sein, die das afrikanische Mali-Reich begründen half. Er ist Mohammedaner. Die Minister seines Kabinetts sind, wie er, sehr jung, doch sie hoffen, ihre Aufgabe lösen zu können, denn ihr Land ist reich an Bananen, Eisen, Diamanten, Bauxit, das in unmittelbarer Nähe von Conakry lagert. Große Wasserkräfte sind bisher ungenutzt.
Nomen ist nicht Omen
Für mich kam die Zeit, zur Abfahrt zu rüsten. Bojen, Strömung – das übliche Spiel. Bald war ich wieder auf dem Meer und allein. Am frühen Morgen stand ich vor Freetown in Sierra Leone, das jedoch nicht auszumachen war, weil es sich hinter einer dunklen Regenwand verbarg. Zehn Meilen vor mir im Osten mußte das „Löwengebirge“, wie die Portugiesen es nannten, liegen. Der Funkpeiler bestätigte meine Vermutung. Zum Segeln fehlte der Wind. Der Motor lief zwar, jedoch die Umsteueranlage machte nicht mehr mit.
Die Stunden verrannen, der Mittag verstrich, erst am Abend kam eine schwache Seebrise auf, und spät, sehr spät, konnte ich in Freetown vor den Marinearsenal ankern.
Ein schwarzer Händler fuhr am nächsten Morgen mit seinem Einbaum bei mir vor und wollte mir Waren andrehen, die er bei den Passagieren eines Frachters nicht losgeworden war. Da seine Preise nicht zu hoch lagen, beschloß ich, einen Speer zu kaufen. Erst das Geld, dann die Ware, forderte der Mann. Er hielt den Speer in der Hand – ich das Geld. Nach kurzem Zögern gab ich nach und ließ es in seine ausgestreckte Hand gleiten. Und da geschah, was ich vorausgesehen hatte: er nahm Reißaus. Sicher hatte er längst mit einem Blick erfaßt, daß mir kein fahrbereites Beiboot zur Verfügung stand.
„Na, warte!“ dachte ich. „So schnell legst du mich nicht herein!“
In aller Ruhe arbeitete ich weiter am Boot, verfolgte aber aus den Augenwinkeln heraus genau seinen Weg. Später nahm ich das Fernglas zur Hilfe, und als ich ihn aus dem Blickfeld verlor, schlug ich schnell das Schlauchboot auf, verstaute darauf mein Klapprad und pullte, mit einem Fernglas bewaffnet, zum Ufer.
Dann setzte die Verfolgungsjagd ein. Ich hatte mir die Richtung genau gemerkt, in der er verschwunden war, und entdeckte sein Boot schon nach wenigen Minuten in einer kleiner Bucht hinter der Regierungsmole. Der Händler machte sich eilends aus dem Staube, als er mich kommen sah. Etwa zwanzig Afrikaner lungerten um sein Boot herum und schnitten mir den Weg ab. Der Händler gehöre nicht zu ihnen, sie kennten ihn nicht, sagten sie mit drohendem Unterton in der Stimme. Ich sollte gefälligst machen, daß ich weiterkäme.
Gerade das aber hatte ich keineswegs im Sinn – jedenfalls nicht ohne Speer. Ich versuchte, meiner Wut Herr zu werden. Mal sehen, ob sich die Halunken nicht bei der Ehre packen ließen.
„Hört mal, Gentlemen, ich bin in einem kleinen Boot aus Europa gekommen, um Freetwon zu besuchen. Was aber tun Sie! Sie dulden, daß ein Gast Ihres Landes bestohlen wird! Bitte, wenn Sie das für richtig halten, werde ich gehen!“
Die Männer hatten mir aufmerksam zugehört. Sie besprachen sich leise, und dann griff einer nach dem Speer und überreichte ihn mir stillschweigend. Ich kam ungeschoren wieder zu meinem Boot zurück, und der Speer hängt heute über meinem Schreibtisch.
Freetown war einmal führend in der afrikanischen Freiheitsbewegung das gehört der Vergangenheit an. In Freetown gab es für viele Jahre die einzige westafrikanische Bildungsstätte von Bedeutung – heute haben die Nachbarländer sie überflügelt. Das angenehmste an der Stadt waren für mich ihre schöne Lage und der Gouverneur, der ein Gentleman der alten Schule war, und das nicht nur, weil er – segelte.
Ob die von England und aus den USA herübergesandten freien Afrikaner und die entlaufenen Negersklaven aus Jamaika, die hierher transportiert wurden, wohl geglaubt hätten, daß ihre Nachfahren 160 Jahre später immer noch nicht ganz frei sein würden? Freetown – freie Stadt – erwies sich als ein leerer Name. Jedoch bemühten sich die einsichtigen Briten, auch dieses Gebiet Schritt für Schritt auf den Weg zur Unabhängigkeit zu führen. Entwicklungen dieser Art brauchen Zeit. Wenn dieses Buch erscheint, wird Sierra Leone bereits unabhängig sein.
Sierra Leone ist so groß wie Irland, jedoch so reich wie irgendwer: Diamanten hinten und vorn – legal und illegal –, etwas Gold, Eisen, Chromit, Columbit, Titanium, Palmkerne, Ingwer und Kolanüsse für ganz Westafrika und die Sahara.
Als ich mich vor Jahren in Freetown nach London einschiffte, luden wir Hunderte von Säcken mit Kolanüssen, und darauf lagen dann die Deckpassagiere und kauten – Kolanüsse. In Bathurst stiegen sie wieder aus, die Säcke und die Kolanuß kauenden Passagiere. Von dort aus wurden sie den Gambiafluß 350 km aufwärts verschifft, um dann schließlich auf dem Rücken von Kamelen in den Sudan, in die entlegensten Dörfer der Wüste, verfrachtet zu werden.
Kolanüsse ersetzen in vielen Orten Westafrikas Kaffee, Kaugummi und Zigaretten, und bei einigen Stämmen ersetzt eine weiße Kolanuß sogar einen mündlichen Heiratsantrag, ganz davon zu schweigen, daß sie in der Mitgift nicht fehlen darf.
Als ich seinerzeit einem Häuptling in Liberia einen Baumstamm abkaufen wollte, um die LIBERIA I zu bauen, mußte ich ihn erst meiner Freundschaft versichern, indem ich ein Stück Kolanuß verzehrte. Ich habe mich nie an den bitteren Geschmack der Frucht gewöhnen können; und doch gibt es im Sudan Liebhaber der walnußgroßen Nuß, die ihre Lieblingssklavin für sie gegeben haben.
Die chemischen Stoffe der Nuß, vor allem das Coffein, vertreiben den Schlaf und erhöhen die Leistungsfähigkeit von Mensch und Tier.
Welcher Beliebtheit die Nüsse sich erfreuen, kann man aus der Tatsache ersehen, daß es in Dakar an jeder Straßenecke mindestens einen Kolanußhändler gibt, der am Tage etwa 20 bis 40 Stück verkauft und davon leben kann. Getränke, die Kolanußextrakt enthalten, dringen heute schon in den tiefsten Busch und in den abgelegensten Kral ein – ein Zeichen des Fortschritts?
Nachdem ich zwischen den Tiden mein Boot zum zweitenmal auf dieser Fahrt mit einer Patentfarbe gegen Algenwuchs und Wurmbefall gestrichen hatte, lichtete ich eines Abends den Anker für Liberia. In der Luftlinie sind es keine 200 Seemeilen nach Monrovia, jedoch liegen im Süden von Freetown gefährliche Bänke, die einen weiten Umweg erfordern. Die Hafenbeamten baten mich, „das Seemannsgrab nicht zu vergrößern“.
Aber sollte die LIBERIA IV wegen ein paar Riffs nicht Liberia anlaufen können, das Heimatland des Einbaumes, der den Atlantik überquert hatte?
1 Überkämmende See.