Bei vorwiegend achterlichen Winden ging es südwärts nach Villa Cisneros, dem Hauptort der Provinz Rio de Oro, die mit der Provinz EI Hamra Spanisch Sahara bildet, ein Land, das größer als Italien ist und nur 20.000 bis 100.000 Einwohner hat – je nachdem, wieviel Nomaden es gerade durchstreifen.
Das einzige wirtschaftliche Ausfuhrprodukt der Spanischen Sahara stammt nicht aus der Sahara, es stammt aus dem Meer. Vor der marokkanischen und mauretanischen Küste herrscht eine kalte Auftriebsströmung, die ungewöhnlich viele Fische anzieht. Als ich aus Las Palmas abgefahren war, hatte das Wasserthermometer eine Temperatur von plus 23 Grad Celsius gezeigt, am Kap Bojador hingegen maß ich jetzt nur 17,1 Grad. In der Hauptsache sind es kanarische Fischer, die hier meist unter primitiven Bedingungen auf Fischfang gehen; sie trocknen die Fische oder pökeln sie ein und tragen sie auf den Kanaren zu Markte.
Die Saharaküste mit ihrem gleichförmigen, durch keine Schutzhäfen unterbrochenen Steilufer, ist nicht ganz ungefährlich, davon zeugen mehrere Wracks. Im Wasser flooteten unzählige rotbraune Heuschrecken; über der Sahara lag ein schwerer orangefarbener Dunst. Aus allen Richtungen des Kompasses jagten überraschend brennendheiße Böen über mein Boot, so daß ich das Gefühl hatte, es stünde in Flammen. War an Bord ein Feuer ausgebrochen!? Mit einem gehörigen Schreck in den Gliedern stürzte ich in die Kajüte, konnte aber nichts Außergewöhnliches entdecken. Erstaunlicherweise zeigte der Barograph bei diesem Überfall keinen Ausschlag. Da die heißen Böen mit Sturmesstärke über die LIBERIA herfielen, barg ich eilends das Großsegel.
Jetzt konnte ich mir erklären, warum die Kapitäne Heinrich des Seefahrers geglaubt hatten, die Planken ihrer Schiffe müßten im Süden von Kap Bojador in Flammen aufgehen!
Einige Stunden später war der Spuk verschwunden, tödliche Flaute machte sich breit.
Wenn der Wind in dieser Gegend aus einer anderen Richtung als aus Nordost kommt, und besonders, wenn er aus dem Süden weht, darf man immer mit einer Überraschung rechnen: Regen, einem Zyklon oder gar einem Heuschreckenschwarm.
Der „Admiral von Montmartre“ geht auf Weltreise
Als ich nach zweieinhalb Tagen den südlichsten Punkt der langen Landnase, die Villa Cisneros trägt, umrundete, sah ich inmitten einiger Fischerboote eine entmastete Yacht, die mir sofort bekannt vorkam. Am Spiegel konnte ich schließlich den Namen „Morwak“ ausmachen. Mir wurde flau: die Yacht gehörte einem französischen Ehepaar, das ich in Las Palmas kennengelernt hatte! Was machte sie hier?
Sie sah trostlos aus: über und über mit leeren Ölfässern bedeckt und von Ketten und Tauwerk umschlungen! Das Ruder gebrochen! Zerkratzt und zerschunden die weiße, frisch gestrichene Außenhaut! Das schmucke Boot mit der blauen Künstlermarkise, das um die Welt segeln wollte, hatte also hier Schiffbruch erlitten!
Mit leisem Unbehagen kreuzte ich durch die vielen Sandbänke der langausgezogenen Bucht. Die steigende Tide half mir vorwärtszukommen. Während der ganzen Fahrt bis Villa Cisneros beschäftigte mich das Schicksal der „Morwak“. Ich war häufiger bei Monsieur und Madame Bretonnère zu Gast gewesen. Fred war Kunstmaler, auf dem Montmartre, versteht sich, und besaß dort auch ein Restaurant. Seine Künstlerfreunde hatten ihn mit Vorschußlorbeeren bedacht: sie ernannten ihn, den Sportsegler, zum „Admiral von Montmartre“. Madame war während des Krieges Fallschirmspringerin gewesen und fühlte sich offensichtlich an Bord wohler als Fred und seine Menagerie von Pudeln, siamesischen Katzen und Kanarienvögeln.
Sobald ich im Osten der Mole geankert hatte, kam sofort der Hafenkapitän an Bord. Meine erste Frage galt der „Morwak“. Ja, die Besatzung lebe und befände sich hier an Land. Ich kletterte ins Faltboot und paddelte auf die Mole zu; bei sechs Windstärken aus dem Norden konnte ich nur unter Aufbietung aller Muskelkräfte dorthin gelangen.
Madame winkte schon von weitem, und um ihre Füße tänzelten die Pudel. Von der Mole schrie sie mir zu, ihre Segel seien in einer Bö zerrissen worden, der Motor habe nicht anspringen wollen und bevor sie ein anderes Segel hätten setzen können, habe die Strömung sie an Land getrieben – mitten in der dunkelsten Nacht! Eine gewaltige Welle habe das Boot dann plötzlich auf den Strand geworfen. An der 200 Seemeilen langen unbewohnten Felsenküste von Kap Bojador bis Rio de Oro gibt es nur einige hundert Meter Sandstrand – ausgerechnet dort mußten sie stranden, überdies in der Nähe einer Siedlung!
„Quelle chance, Madame!“
Sechs Tage, so rief sie weiter, hätten sie am Strandungsplatz gelegen, und sechs Nächte lang hätten sie geglaubt, in der Wüste umkommen zu müssen. Eingeborene fanden sie schließlich und benachrichtigten den Marinekommandanten im nahen Villa Cisneros. Und damit waren sie gerettet, voilà.
So endete der Traum einer Weltumsegelung!
Für den Kommandanten und seine Leute war die Rettungsaktion der „Morwak“ eine feine Übung; mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen, bekamen sie die Yacht wieder flott. Madame lobte die Hilfsbereitschaft der Spanier, alle seien „sehr schick“ zu ihnen. Dem aber konnte ich nicht ganz zustimmen, denn die Spanische Sahara zu besuchen, das ist heute fast schwieriger als auf den Mond zu gelangen. Man braucht – und das wissen die wenigsten, die dort landen – eine Sondergenehmigung aus Madrid, die sehr schwer zu bekommen ist. 1955 hatte ich hier auf meiner Einbaumfahrt drei Wochen als halber Gefangener verbringen müssen, jetzt bahnte sich etwas Ähnliches an. Zum Glück traf ich später den Kommandanten, der mich von einem Vortrag her kannte, den ich in Las Palmas gehalten hatte. Welch ein Zufall! Er setzte sich dafür ein, daß ich mich wenigstens solange frei im Orte bewegen durfte, wie ein Spanier mich begleitete. Aus der beabsichtigten Karawanentour ins Innere wurde nichts.
So gastfreundlich, so hilfsbereit und zuvorkommend alle einfachen Spanier sind, so verletzend und voller Willkür können die Subgobernadores in Villa Cisneros sein. Das ist die Meinung vieler Segler, die hier unfreiwillig oder freiwillig Station gemacht haben.
In den letzten vier Jahren hatte sich in Villa Cisneros, das während des Zweiten Weltkrieges von Amerikanern besetzt war, wenig verändert; die Mole sollte jetzt ausgebaut werden, aber das sollte sie auch schon damals. Der Ort war mit Soldaten überfüllt, die in Zelten untergebracht waren. Villa Cisneros ist so arm, daß selbst ein Schakal sich nicht die Mühe machen würde. dort nach Beute zu suchen. Interessant sind lediglich die moderne Kirche und das Fort, das jedoch mehr nach einem Zuckerhausguß aussieht als nach dem berüchtigten Zwangslager für politische Gefangene.
Der „Kaiser“ wird ausgeschlachtet
Schon am folgenden Tage verließ ich das ungastliche Villa Cisneros. Der Passat fegte wie immer unangenehm über die Bucht von Rio de Oro.
Man weiß nicht genau, warum die Portugiesen der Bucht diesen Namen gegeben haben – ob sie hier bei den Eingeborenen Goldstaub einhandelten, oder ob die Bucht sie an ihren Rio Douro, den größten Fluß im Norden Portugals erinnerte? Auf alle Fälle: Gold bringt in diesen Gewässern heute nur der Fischfang ein.
Vor dem Eingang in die Bucht liegt „Kaiser Wilhelm der Große“ begraben. Der „Kaiser“, wie ihn jedes Kind in Villa Cisneros nennt, war kurz vor der Jahrhundertwende das größte deutsche Passagierschiff, das sogar das „Blaue Band“ des Nordatlantiks eroberte. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges wurde der Luxusdampfer binnen 36 Stunden in einen Hilfskreuzer umgebaut, dem jedoch nur eine kurze Lebensdauer beschieden war: wie es in einem anstänchgen Kriege üblich ist, beschoß ihn ein englischer Kreuzer gegen alle internationalen Seegesetze, als der „Kaiser“ in den spanischen Gewässern vor der Sahara Kohlen bunkerte. Da die kleinen Kanonen des „Kaisers“ den Feind nicht einmal erreichen konnten und dem deutschen Kapitän das schlechte Schießen der Engländer auf die Nerven fiel, beging das stolze Schiff Selbstmord und versperrt seitdem die Einfahrt in die Bucht. Heute ist eine spanische Bergungsgesellschaft dabei, aus dem „Kaiser“ die besten Brodten auszuschlachten.
Das kam mir reichlich „spanisch“ vor
Im gebührenden Abstand von der Küste segelte ich südwärts und hielt bald darauf