Überfall um Mitternacht
Den Abend vor meiner Abfahrt verbrachte ich auf meiner LIBERIA IV; das Faltboot hatte ich eingepackt, in wenigen Stunden wollte ich bei auslaufender Tide mit Kurs Dakar fahren.
Es war Mitternacht. Da hörte ich plötzlich Paddelschläge und Flüstern. Ich richtete mich in meiner Koje auf und lauschte gespannt. Ganz deutlich hörte ich, wie ein Boot meine LIBERIA umfuhr. Zu dieser Zeit hatte keiner etwas bei mir zu suchen, nicht einmal ein Hafenbeamter. Jetzt mußten meine nächtlichen Besucher vorne am Bug sein – ich schlich durch die geöffnete Luke ins Cockpit. Das Boot kam näher zu meinem Sitz, eine Gestalt löste sich katzengleich von ihm ab – vorsichtig Ausschau haltend, kletterte ein Araber an Bord.
Mit einem Sprung war ich bei ihm und gab ihm mit beiden Händen einen solchen Stoß, daß er über die Reling ins Wasser stürzte. Wie wild stieß sein Komplice die Riemen ins Wasser und ruderte aus Leibeskräften davon.
Mein Angreifer konnte offensichtlich nicht schwimmen, er spuckte und rülpste und schrie, daß ich für sein Leben fürchtete. Was tut man mit einem ertrinkenden Seeräuber? Ich reichte ihm den Riemen, an dem er sich festhalten konnte, dann drückte ich ihn langsam in die Richtung des Ruders, wo er sich mit den Füßen besser gegen das Boot stemmen konnte. Zitternd, triefend und fluchend hielt er sich am Schanzkleid fest.
„He, Boot!“ rief ich in verschiedenen Sprachen seinem Komplicen zu, der immer noch angstvoll davonpullte. Ich hatte wenig Lust, mein Faltboot aufzuschlagen, um den Banditen auch noch an Land zu bringen. „Hierher!“
Auch mein abgeblitzter Angreifer beteiligte sich an meinem Geschrei, und schließlich kehrte der andere um. Ich versicherte beiden Spießgesellen, daß ich der Polizei von ihren nächtlichen Späßen nichts sagen würde, da ich ja sowieso in einigen Stunden in See stechen wollte; wegen eines Diebstahls mochte ich meine Zeit nicht vergeuden. In Windeseile war das saubere Paar in der Dunkelheit verschwunden.
Die Aufregung nach diesem Abenteuer steckte mir so tief in den Knochen, daß ich nicht mehr schlafen konnte und mich entschloß, sogleich abzufahren.
1 Ein zweimastiges mittelgroßes Segelschiff.
2 Fischkutter, der mit einem Grundschleppnetz, dem Trawl, arbeitet.
3 Der hintere Mast.
VIERTES KAPITEL
VON DER WÜSTE IN DEN REGENWALD
Port Etienne lag hinter mir. Kap Blanc mit seinem Leuchtturm verschwand im orangefarbenen Horizont, den die Sahara bildete. Man könnte direkten Kurs von Kap Blanc nach Dakar nehmen, wenn es nicht die berüchtigte Bank von Arguin geben würde, die weit ins Meer hineinragt. Diese Bank müssen die Dampfer noch mehr meiden als ich es mußte. Meine LIBERIA hielt sich zwischen Bank und Dampferstraße.
Seit hier Schiffe segeln, seit also die Portugiesen unter dem Patronat Heinrich des Seefahrers diese Küste erobert haben, ist die Bank ein Seemannsgrab gewesen. In den letzten fünf Jahren haben zwei deutsche Yachten mit ihr unangenehme Bekanntschaft gemacht: die eine war nachts in die Brecher hineingeraten, konnte sich aber im letzten Augenblick wieder retten. Die andere wurde von den Franzosen aus Port Etienne wieder flott gemacht.
Es ist ein verlassenes Stück Erde hier. Sand, Sand und nochmals Sand! Die Untiefen wechseln von Woche zu Woche, reißende Priele bilden die einzigen Bootswege, die nur wenigen maurischen Lotsen bekannt sind. Aber diese Gegend ist reich: eine Unmenge von Fischen und Vögeln kommt hier zusammen, um zu laichen, beziehungsweise zu nisten.
Ich befand mich mit meinem Boot etwa fünf Meilen von den westlichsten Bänken. Mehrere Dampfer waren mir auf der Ozeanseite schon begegnet. Ich hatte die beiden Focks ausgebaumt, so daß mein Boot für Minuten allein lief, ohne daß ich mich an die Pinne klammern mußte. Jedoch die Angst, in die Dampferstraße oder auf die Bänke zu geraten, ließ mich alle Augenblicke den Kurs überprüfen. Hier gerät die hohe Atlantikdünung, die einen ganzen Ozean überquert hat, auf die flachen Sandbänke und bricht sich mit riesigem Getöse. Wehe den Schiffen, die auf diese Bänke geraten!
Endlich lag die Gefahr hinter mir. Die See jedoch wurde so grob, daß ich mich nicht mehr von der Pinne rühren konnte. Einmal stieg Rasmus1 so unerhört gemein in meine Kabine und in das Cockpit ein, daß ich später glaubte, ich hätte mindestens eine Tonne Wasser aus dem Boot herausgepumpt.
Ein Tümmler klagt mich an
Bald beruhigte sich die See wieder, wie sie es immer zu tun pflegt nach einer Reihe von Sturmtagen. Ich geriet in eine große Schule von Delphinen, die mich längere Zeit durch ihr munteres Spiel erfreuten. Ich wollte schon immer einmal einen Delphin erlegen, um seinen Magen zu untersuchen, die Organe, vor allem das windungsreiche Großhirn, zu betrachten und etwas Fleisch zu gewinnen. Zu diesem Zweck hatte ich mir in Las Palmas einen Dreizack schmieden lassen, obwohl die Niña mich in jedem zweiten Brief flehentlich gebeten hatte, dieses Mordinstrument ja nicht an Tieren zu versuchen, die „länger als ein halber Meter seien“.
Die Delphine tummelten sich längsseits, ich nahm Maß, und schon flog die Harpune durch die Luft. Vielleicht schwamm das Tier, nachdem ich gezielt hatte, zu tief im Wasser, vielleicht hatte ich schlecht gezielt, jedenfalls glitt die Harpune aus, und mein Studienobjekt entwischte. Ich holte meinen Dreizack ein; einer seiner Zinken war verbogen.
Dann geschah etwas ganz Außergewöhnliches: der Delphin tauchte mit blutender rechter Brustflosse noch einmal neben dem Boot aus dem Wasser auf, viel höher als gewöhnlich, und drehte seinen Kopf nach mir, als wolle er sehen, wer der Schandkerl war, der ihn da so rücksichtslos angekratzt hatte. Der Blick des Tieres ging mir durch Mark und Bein; noch bevor der Delphin wieder ins Wasser schoß, hatte ich ihn schon um Verzeihung gebeten. Und wenn ich sage, daß ich vor Schuldbewußtsein einen roten Kopf kriegte, so ist das nicht übertrieben.
Die unglaublich klingenden Geschichten von Schweinsfischen, wie die Delphine und ihre Brüder, die Tümmler, bereits von den Römern genannt wurden, sind so alt wie die Tierfabeln überhaupt. Doch erst seitdem man die Möglichkeit hat, das Leben der Tiere hinter den Glaswänden der Seeaquarien in Florida und Kalifornien genauer zu studieren, ist man geneigt, in den Geschichten einen wahren Kern zu vermuten.
Aus Nordflorida stammt die Geschichte von dem Neger, der jedesmal, wenn er zum Fischen hinausfuhr, schon nach verblüffend kurzer Zeit mit gefüllten Netzen wieder zurückkam. Jemand fragte ihn erstaunt, wie er das anstelle. Das verdanke er alles einem Tümmler, war die mysteriöse Antwort. Der Fragende glaubte, der Fischer wolle ihn zum besten halten und lachte: „Können Sie mich Ihrem Tümmlerfreund nicht einmal vorstellen?“ „O.K. – kommen Sie morgen früh mit!“
Dies stellte sich heraus: sobald der Fischer zu einer bestimmten Zeit in seinem Fangrevier erschien, tauchte tatsächlich ein Tümmler auf und trieb, wie ein Schäferhund die Schafe, die Fische der Umgebung ins Netz.
Erinnert das nicht an die Fabel, in der die Delphine des Altertums die Meerbarben auf diese Weise in die Netze der Fischer jagten und dadurch belohnt wurden, daß man ihnen zum Dank ein Stück in Wein getränktes Brot schenkte?
Delphine als Lebensretter und Zirkustiere
Auch der folgende Fall wird aus Florida berichtet: Ein Schwimmer hatte sich zu weit ins Meer hinausgewagt. Plötzlich tauchte ein Tümmler neben ihm auf und drängte ihn wiederholt mit der Schnauze in Richtung Küste zurück. Warum nur? Später hieß es, in der Nähe habe ein Hai gelauert, dem schon der Speichel im Maul zusammengeflossen sei!
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