Dort landete ich mit meinem Faltboot in der Nähe des alten Leuchtturmes. Ein Maure eilte mit mir durch den hohen Sand zum Ort, der ganz mit Stacheldrahtverhau eingezäumt war und aus nichts als weißen Häusern in gelbem Sand bestand. Vor einem dieser kahlen Häuser, in deren Innenhöfe ein spärliches Grün aus Blumentöpfen sich tapfer die Wände emporzuranken versuchte, stellte ich mich einer Gruppe von Einwohnern vor, die jedoch meinen Namen bereits durch die Funkstation in Villa Cisneros kannten. Der Ortskommandant war unter ihnen – im Schlafanzug, dem einzig richtigen Kleidungsstück für diese Gegend, und er rief ins Haus hinein: „José, venga!“
Heraus trat ein alter Segelkamerad aus Las Palmas, José Miranda, der in diesem trostlosen Ort seine Ferien mit Angeln und Jagen verbrachte. Nach einer stürmischen Begrüßung setzte José mir auseinander, daß auf Grund der Unruhen im Innern des Landes in Rio de Oro alles durcheinander gehe; die Behörden mißtrauten selbst ihren eigenen Leuten. Am besten sei es, ich führe nach Port Etienne weiter, der Nachbarstadt in Mauretanien; dort würde er mich dann besuchen. In Güera gäbe es sowieso nichts zu sehen …
Ich hatte genug von Rio de Oro.
Südlich von Kap Blanc, das dem weißen Kalkfelsen von Dover ähnelt, lagen mehrere Langustenboote vor Anker. Wieder kam ein Beiboot und lud mich zum Mittagessen an Bord ein. Diesmal hatte ich Zeit und nahm mit Freuden an.
Die Besatzung der „Avel Dro“, die aus der Bretagne stammte, war für die willkommene Abwechslung so dankbar wie ich. Sie erklärte mir, daß sie sich auf zwei Arten von Langusten spezialisiert habe: die grüne Languste, die sich in unmittelbarer Nähe der Küsten in flachen Gewässern aufhält, und die rote Languste, die in Tiefen von 40 bis 300 Metern zu finden ist. Die Tiere – sie werden mit Netzen gefangen – kommen lebend auf den Markt, das bedeutet, daß sie in riesigen Behältern, durch die dauernd Meerwasser strömt, aufbewahrt werden müssen. Das etwa 100 Tonnen große Boot ist praktisch um diese Frischwasserbehälter herum gebaut worden. Vier Monate lang sind die Fischer von ihrer „Waterkant“ in Frankreich getrennt, selten kommen sie einmal mit anderen Menschen in Berührung.
Vom Kap Blanc bis nach Port Etienne sind es nur wenige Meilen, für die ich bei den herrschenden Gegenwinden mit nur zwei Stunden Fahrzeit zu rechnen brauchte. Da fiel plötzlich vom Steilufer eine stürmische Fallboe über die LIBERIA her, und während ich alle Hände voll zu tun hatte, um das Großsegel zu bergen, lief das Faltboot voll Wasser, kenterte und brach in der Mitte durch. Ich konnte noch froh sein, daß die LIBERIA ohne Schaden davon kam. Das Segelschulschiff „Niobe“ war in einer ähnlichen Fallboe gekentert.
Erst in der Nacht rasselte mein Anker in Port Etienne in die Tiefe!
Was wird aus Mauretanien?
Als ich morgens aufwachte, glaubte ich meinen Augen nicht trauen zu dürfen: um ein winziges Meeresbecken, das von unzähligen Fischerbooten fast gesprengt zu werden drohte, türmten sich regelrechte Sanddünen auf – der Sand der Sahara fiel hier buchstäblich ins Meer! Hafenanlagen gab es nicht; hinter dem Rücken der Dünen lugten lediglith ein paar weiße Häuser hervor.
Aber in Port Etienne waren damals die Franzosen und damit Großzügigkeit, Aufgeschlossenheit und Kontaktfreudigkeit. Schon mittags stand ich dem Commandant du Cercle gegenüber, der ohne zu zögern auf jede Frage Auskunft gab.
Er drückte seine Verwunderung über die eigenartige Politik der Spanier in ihrer Sahara aus: erst hatten sie die marokkanischen Banditen, die ihnen Aufruhr und Unruhe ins Land brachten, jahrelang unbehelligt gelassen, und dann, als die Unruhen auf das benachbarte Mauretanien übergriffen, waren sie plötzlich gemeinsam mit den Franzosen gegen sie vorgegangen. Französische Einheiten – so erzählte er mit Genugtuung – hätten selbst in der Spanischen Sahara Ordnung geschaffen und die Streitkräfte der Banditen zerschlagen; seitdem habe Mauretanien Ruhe.
„Mir ist aufgefallen, daß hier jeder zweite spanisch spricht. Warum arbeiten denn so viele Spanier in Port Etienne?“
„Sie haben sich von all unseren Arbeitern am besten bewährt. Unsere Mauren sind flink, gewandt, sehr ausdauernd und zäh bei Arbeiten in der Wüste, doch wenn sie längere Zeit an einem Ort arbeiten müssen, meldet sich ihr Nomadengeist. Die Neger hier leisten zwar gute manuelle Arbeit, aber die genügsamen Spanier sind ihnen überlegen. Ihre Domäne ist ausschließlich der Fischfang.“
„Wie wird sich das freie Mauretanien wirtschaftlich entwickeln können?“
„Außer den reichen Fischgründen direkt vor unserer Tür hat man im Innern des Landes Eisen und Kupfer gefunden; die Ausbeutung ist nur vom Bau einer Bahn abhängig. Kapital aus den verschiedenen Ländern, darunter auch aus Deutschland, steht hinreichend zur Verfügung.“
Ich erinnerte mich daran, gerade in einem Saharabuch gelesen zu haben, daß die riesigen Eisenvorkommen in Mauretanien, das „Eisengebirge“ bei Fort Gouraud, schon um das Jahr 1000 von den Arabern ausgebeutet worden sind. Da Frankreich selbst keine Kupferbergwerke besitzt, wird es auch an der Kupfergewinnung größtes Interesse haben. „Und was halten Sie von der politischen Zukunft Ihrer eben erst aus der Taufe gehobenen Republik? Wird sich Mauretanien Marokko anschließen? Oder dem Senegal?“
„Uns weißen Afrikanern geht die politische Entwicklung in diesem Lande ein wenig zu schnell. Es gibt hier kaum Abiturienten, nur wenige Akademiker und Facharbeiter – man wird noch lange die Hilfe Frankreichs brauchen. Heute sieht es so aus, als ob sich Mauretanien mehr dem südlichen Nachbarland Senegal anschließen wird als Marokko, selbst wenn hier einige Emire mit dem Sultan von Marokko liebäugeln.“
Mauretanien ist gut doppelt so groß wie Frankreich und hat dennoch nur so viele Einwohner wie die Hafenstadt Marseille. Die Mauren – sie setzen sich aus den gleichen Stämmen wie die spanischen Muros zusammen und haben zusätzlich starke Blutsbande zu den Tuaregs und den Toubous – sind vorwiegend noch immer Nomaden, die auf der Suche nach Wasser unbekümmert um Grenzen durch das Land ziehen. „Regengäste“ nennt man sie auch, weil sie ihre Herden stets dorthin treiben, wo es gerade geregnet hat.
Im Süden von Port Etienne ist inzwischen aus einem winzigen und verlassenen Hüttendorf eine Hauptstadt entstanden, an der noch viele Jahre lang weiter gebaut werden wird. Nouakchott heißt diese Metropole der jungen Republik, die noch weit davon entfernt ist, eine wahre Republik zu sein, denn noch immer regieren dort zum großen Leidwesen der jungen Revolutionäre die Stammeshäuptlinge.
Die Zeit verging mir im „langweiligen“ Port Etienne überraschend schnell. Meine spanischen Bekannten aus Güera statteten mir tatsächlich einen Besuch ab und bestanden darauf, daß ich ihn erwiderte. Mit Tonio, einem spanischen Brunnenfachmann, brach ich daher erneut nach Güera auf – diesmal in umgekehrter Richtung und auf dem Landweg.
Güera wird genau wie Port Etienne von Sanddünen bedroht. In beiden Orten steht Militär bereit, um nötigenfalls mit Spezialmaschinen der gefährlichen Invasion der Dünen Einhalt zu gebieten.
Zwischen Güera und Port Etienne zieht sich irgendwo zwischen Sand und Steinen – die Halbinsel wird der Länge nach von einem felsigen Grat durchschnitten – die Grenze zwischen Spanisch Sahara und Mauretanien hin. Tonio, der jeden Stein auf unserem Weg kannte, fand sogar ein unscheinbares Grenzzeichen. Kontrollen gibt es hier nicht; sobald man einen der Orte erreicht hat, meldet man sich, und damit ist dann meist schon alles erlechgt. Nur selten geschieht es, daß eingeborene Zöllner den Wagen genau untersuchen.
Die beiden Ortschaften sind nur fünf Meilen voneinander entfernt, der Ausflug in die Sahara ist also wirklich nicht sehr weit – und trotzdem ist er nicht ungefährlich. Ich stellte es erstaunt fest, als wir einen Jepp mit vier französischen Soldaten trafen, die sich auf dieser unübersichtlichen Strecke verirrt hatten und fluchend nach einer Orientierungsmöglichkeit suchten. Jede Autofahrt in die Sahara kann ein Fiasko werden, wenn man keine ausreichenden Vorräte an Wasser, Lebensmitteln, Brennstoff etc. mitnimmt.