Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 1. Augustinus von Hippo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Augustinus von Hippo
Издательство: Bookwire
Серия: Die Schriften der Kirchenväter
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783849659820
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Kunst des Lasters nur durch verstohlene Beobachtung kennen. Sie schämten sich eben vor den Menschen und wagten nicht, die unzüchtigen Bewegungen freien Blickes zu betrachten; noch viel weniger aber wagten sie die Feier der verehrten Jungfrau keuschen Herzens zu verdammen. Es wurde in der Tat im Tempel Gelegenheit geboten, öffentlich Dinge zu lernen, zu deren Begehung man im Hause doch wenigstens die Verborgenheit aufsuchte, wobei sich nur das Schamgefühl der Menschen, wenn dort eine Spur davon zu finden war, gar sehr darüber wundern mußte, daß die Menschen nicht ungeniert ihre menschlichen Laster verübten, in die sie bei den Göttern sogar in den Formen eines religiösen Schauspiels eingeweiht wurden unter Drohung mit ihrem Zorne, wenn sie nicht auch für deren Vorführung Sorge trügen. Denn der gleiche Geist, der sich an solchen Festfeiern ergötzt, ist es auch, der mit heimlicher Anreizung die verdorbenen Seelen aufstachelt und sie zur Unzucht treibt und sich an deren Begehung weidet; er stellt in den Tempeln die Abbilder der Dämonen auf und liebt bei den Spielen die Vorbilder der Laster; er lispelt im Verborgenen Worte der Gerechtigkeit, um auch noch die wenigen Guten zu täuschen, und häuft vor der breiten Öffentlichkeit Lockungen zur Schlechtigkeit, um sich der zahllosen Bösen zu versichern.

      

       27. Welch erschrecklichen Verfall der öffentlichen Zucht bei den Römern die Weihe unzüchtiger Spiele zur Versöhnung ihrer Götter herbeiführte.

      

      Tullius, ein würdiger Mann, aber ein schlechter Philosoph, machte bei der Bewerbung um die Ädilität der ganzen Bürgerschaft bekannt, daß er es zu seinen Amtspflichten rechne, die Mutter Flora durch Festspiele zu versöhnen[121] ; diese Spiele aber werden gemeinhin je frömmer desto ausgelassener gefeiert. An einer anderen Stelle[122] sagt er, damals schon Konsul zu einer Zeit, da sich der Staat in äußerster Gefahr befand: Zehn Tage lang seien Spiele abgehalten und nichts sei versäumt worden, um die Götter zu versöhnen; als wenn es nicht besser gewesen wäre, solche Götter durch Enthaltsamkeit zu reizen, statt sie durch Ausschweifung zu versöhnen, sie durch Ehrbarkeit sogar zu feindseliger Gesinnung zu treiben, statt sie durch solche Greuel zu besänftigen. Denn die Leute, wegen deren drohender Haltung sie versöhnt wurden, hätten auch mit der unmenschlichsten Grausamkeit nicht soviel Schaden tun können, als die Götter, da man sie mit den unsaubersten Lastern versöhnte. Hat man sich doch, um den Gefahren für den Leib zu begegnen, die man von einem Feinde befürchtete, die Götter auf eine Weise günstig gestimmt, durch die die Tugend in der Seele vernichtet wurde; denn die Götter hätten die Verteidigung der Mauern wider den stürmenden Feind nicht übernommen, ohne vorher die guten Sitten der Bürger im Sturm erobert zu haben. Und diese Versöhnungsfeiern, deren Mimen die Römer mit dem Instinkt ursprünglicher Tüchtigkeit der Bürgerehre beraubten, aus der Zunft stießen, für unehrlich erkannten und in Verruf erklärten, diese Orgien der Ausgelassenheit, der Unkeuschheit, der Schamlosigkeit, der nichtswürdigsten Unzucht, ich sage, so schandbare Versöhnungsfeiern solcher Götter, einen Greuel und Gegenstand des Abscheues für die wahre Religion, diese verführerischen Schauspiele, voll Anwürfen gegen die Götter, diese Schandtaten der Götter, ob nun frevelhaft und schimpflich begangen oder noch frevelhafter und schimpflicher fingiert: die gesamte Bürgerschaft lernte sie durch öffentliche Schaustellung und Deklamation kennen, sie sah, daß an solchen Taten die Götter Gefallen fänden, und glaubte deshalb derlei nicht nur ihnen vorführen, sondern auch für sich nachahmen zu sollen; nichts aber erfuhr sie von jenen angeblich guten und ehrbaren Lehren, die an so wenige und dazu so insgeheim ergingen [wenn sie überhaupt ergingen], als ob man deren Verbreitung noch mehr scheue als deren Befolgung.

      

       28. Die Heilswirkung der christlichen Religion.

      

      Daß nun die Menschen von dem höllischen Joch dieser unlauteren Mächte und von dem Los gemeinsamer Strafe mit ihnen durch Christi Namen erlöst und aus der Nacht verderblichster Gottlosigkeit in das Licht heilbringendster Gottseligkeit versetzt werden, darüber klagen und murren unbillig denkende, undankbare und in die Gewalt des bösen Geistes nur zu tief verstrickte Leute, weil die Scharen in keuscher Feierstimmung, nach Geschlechtern ehrbar getrennt, zur Kirche strömen, um dort zu vernehmen, wie sie sich für die kurze Spanne Zeit hienieden eines guten Wandels zu befleißen haben, damit sie nach diesem Leben selig und immerdar zu leben verdienten; um dort, wo die Heilige Schrift und die Lehre der Gerechtigkeit von erhöhter Stelle aus vor allen Anwesenden ertönt, sie zu hören zum Heile, wenn sie danach handeln, oder zum Gerichte, wenn sie nicht danach handeln. Mögen dorthin selbst etliche kommen, die über solche Lehren spotten, so weicht doch ihre ganze Ausgelassenheit entweder einer plötzlichen Sinnesänderung oder sie erstickt in Furcht oder Scham. Denn wo die Gebote des wahren Gottes verkündet oder seine Wunder erzählt, seine Gaben gepriesen oder seine Gnaden erfleht werden, da wird keine Schändlichkeit und kein Laster zu Schau und Nachahmung vorgeführt,

       29. Aufforderung an die Römer, vom Kult der Götter abzulassen.

      

      Danach sollst du lieber begehren, preiswürdige echte Römerart, Geschlecht eines Regulus, Scävola, Scipio, Fabricius; danach sollst du lieber begehren; sieh, wie verschieden dies ist von jenem schändlichen, eitlen Treiben der Dämonen und von ihrer trugbeflissenen Bosheit. Was immer als treffliche Naturanlage dich auszeichnet, es wird nur durch wahre Frömmigkeit geläutert und vervollkommnet, durch Gottlosigkeit dagegen verderbt und strafwürdig. Nunmehr entschließe dich, wohin du dich wenden sollst, um nicht in dir, sondern im wahren Gott ohne Gefahr einer Irrung Ruhm zu finden. Denn ehedem umgab dich der Ruhm der Welt, aber es war nach dem geheimen Ratschluß der göttlichen Vorsehung die wahre Religion nicht vorhanden, dich ihr anzuschließen. Erwache, es ist Tag, wie du erwacht bist in so manchen, die uns durch ihre vollkommene Tugend und selbst durch Leiden für den wahren Glauben Gegenstand des Ruhmes sind, die nach allen Seiten hin wider die feindlichsten Gewalten kämpften, sie durch einen heldenmütigen Tod überwanden und „mit ihrem eignen Blut dieses Vaterland uns erworben“[123] . In dieses Vaterland überzusiedeln laden wir dich mit mahnender Stimme ein, geselle dich der Schar seiner Bürger bei! Seine Freistatt sozusagen[124] ist der wahrhaftige Sündennachlaß. Höre nicht auf die Entarteten deines Volkes, die auf Christus und die Christen schmähen und in Selbsttäuschung über die bösen Zeiten klagen, da sie doch Zeiten wünschen, nicht eines friedlichen Lebens, sondern nur der größten Freiheit für ihre Schlechtigkeit. Solche Zeiten haben dir aber niemals, auch nicht für das irdische Vaterland gefallen. Nunmehr ergreife das himmlische, für das du nur ganz wenig zu leiden brauchst, und doch wirst du in ihm wahrhaft und immerfort herrschen. Denn dort wird dir nicht der vestalische Herd noch der kapitolinische Fels, sondern der eine und wahre Gott „weder Ziel noch Grenzen der Herrschaft setzen, er wird dir ein Reich ohne Ende geben“[125] .

      Geh' nicht den falschen und trügerischen Göttern nach; weg damit, verachte sie, erhebe dich zur wahren Freiheit! Sie sind keine Götter, böse Geister sind sie, für die deine ewige Seligkeit eine Pein ist. Mehr noch als Juno den Trojanern, von denen du deine Herkunft ableitest, die Bergung in Rom mißgönnte, missgönnen diese Dämonen, die du annoch für Götter hältst, dem ganzen Menschengeschlecht die ewigen Wohnsitze. Du hast ja selbst über solche Geister schon ein bedeutungsvolles Urteil gefällt, da du sie durch Spiele versöhntest und die Darsteller der Spiele für ehrlos erklärtest. Laß deine Freiheit in Schutz nehmen wider die unreinen Geister, die deinem Nacken das Joch auferlegt haben, zu ihren Ehren ihre Schande zu weihen und zu feiern. Die Mimen der Götterverbrechen hast du von deinen Ehrenstellen weggewiesen; flehe zum wahren Gott, daß er von dir jene Götter weise, die sich an ihren Schandtaten ergötzen, eine unsägliche Schmach, wenn sie wirklich geschahen, eine unsägliche Bosheit, wenn sie fingiert sind. Aus dir selbst heraus hast du den Schauspielern und Bühnenleuten den Anteil am Bürgerrecht verwehrt; recht so; erwache noch vollends! Gewiß wird durch solche Künste, die die Menschenwürde schänden, Gottes Majestät nicht versöhnt. Wie kannst du also Götter, die sich an solcher Huldigung ergötzen, der Zahl der heiligen Himmelsgewalten beigesellen wollen, da du die Menschen, durch die eben diese Huldigungen dargebracht werden, der Zahl der niedrigsten römischen