Gleichwohl entließ er ihn nicht ohne eine heilige, gerechte und gute Aufforderung: „Laß ab“, sprach er, „denn zu dir die Hinkehr und du wirst darüber herrschen“. Worüber? Etwa über den Bruder? Sicher nicht. Vielmehr über die Sünde, Denn vorhergeht: „Du hast gesündigt“, und unmittelbar daran schließen sich die Worte: „Steh’ ab! Denn zu dir ihre Hinkehr und du wirst darüber herrschen“. Daß nun die Hinkehr der Sünde die Richtung auf den Menschen selbst haben müsse, läßt sich etwa so auffassen, daß der Mensch niemand anderm als sich selbst es zuzuschreiben habe, wenn er sündigt. Es wäre dabei in dem Sätzchen: „Denn zu dir ihre Hinkehr“ zu ergänzen „sei“, nicht „wird sein“, im Sinne einer Aufforderung, nicht einer Vorhersage; und eine solche Hinkehr wäre dann die heilkräftige Arznei der Buße und die Bitte um Verzeihung, die so wohl am Platze gewesen wäre. Denn darin besteht die Herrschaft über die Sünde, daß man sie nicht über sich stelle durch Rechtfertigung, sondern sie unterkriege durch Buße; sonst stellt man sich ja umgekehrt in ihren Dienst und läßt sie herrschen, wenn man ihr sozusagen Rechtsbeistand leistet. Indes wird man unter Sünde hier wohl das Fleischesbegehren als solches zu verstehen haben, jenes, von dem der Apostel sagt[192] : „Das Fleisch begehrt wider den Geist“, wobei er unter den Früchten des Fleisches auch den Neid erwähnt, von dem ja eben Kain zum Verderben des Bruders angestachelt und entzündet wurde. Man tut daher gut, in jenem Sätzchen zu ergänzen: „wird sein“, also: „Denn zu dir wird ihre Hinkehr sein, und du wirst sie beherrschen“. Wenn nämlich der fleischliche Teil des Menschen in Aufruhr kommt, der Teil, den der Apostel Sünde nennt in der Stelle[193] : „Nicht ich wirke das, sondern die in mir wohnende Sünde“ [diesen Teil des Gemütes bezeichnen auch die Philosophen als fehlerhaft[194] und als einen Teil, dem es nicht zukommt, den Geist nach sich zu ziehen, sondern dem vielmehr der Geist zu gebieten und den er durch die Vernunft von unerlaubten Handlungen zurückzuhalten hat], — wenn also dieser Teil einen Anreiz verspürt zur Begehung einer unrechten Handlung und man steht nun davon ab und gehorcht der Mahnung des Apostels[195] : „Machet eure Glieder nicht zu Werkzeugen der Ungerechtigkeit durch die Sünde“, so kehrt sich dieser Teil, gebändigt und besiegt, zum Geiste hin, so daß nun die Vernunft über ihn herrscht. Das hat Gott dem befohlen, der von dem verzehrenden Feuer des Neides wider seinen Bruder entbrannte und ihn, dem er hätte nachahmen sollen, zu beseitigen begehrte. „Steh' ab“, rief er ihm zu; halte die Hand zurück vom Frevel; nicht herrschen soll die Sünde in deinem sterblichen Leibe, zu gehorchen seinen Gelüsten, noch sollst du deine Glieder zu Werkzeugen der Ungerechtigkeit machen durch die Sünde[196] . „Denn zu dir ihre Hinkehr“, solang sie nicht durch Nachlassen der Zügel gefördert, vielmehr durch Abstehen davon gezügelt wird, „und du wirst sie beherrschen“; sie wird sich, wenn man ihr nach außen zu wirken nicht verstattet, unter der Gewalt des herrschenden und auf das Gute gerichteten Geistes daran gewöhnen, auch innerlich sich nicht zu regen. Etwas Ähnliches ist in demselben heiligen Buch auch vom Weibe gesagt, als nach der Sünde auf Gottes Untersuchung und Urteil hin der Ausspruch der Verdammnis erging über die Schlange an Stelle des Teufels und über die ersten Menschen persönlich. Nachdem nämlich Gott zum Weibe gesagt[197] : „Vermehren und vervielfältigen will ich deine Betrübnisse und dein Seufzen“, und „in Betrübnissen sollst du Kinder gebären“, fuhr er fort: „Und zu deinem Manne deine Hinkehr, und er wird herrschen über dich“. Was dort zu Kain gesagt wurde über die Sünde oder das sündhafte Fleischesbegehren, das ist hier über das sündigende Weib ausgesprochen, woraus zu ersehen ist, daß der Mann in der Herrschaft über die Ehegenossin ähnlich sein müsse dem das Fleisch beherrschenden Geist. Deshalb sagt der Apostel[198] : „Wer sein Weib liebt, der liebt sich selbst; denn nie hat jemand sein eigenes Fleisch gehaßt“. Heilen muß man Fleisch und Weib wie unser Eigen, nicht verdammen wie Fremdes. Indes Kain nahm Gottes Aufforderung hin wie einer, der es mit der Gegenpartei hält. Das Laster des Neides gewann die Oberhand, er stellte seinem Bruder nach und erschlug ihn. Von der Art war der Gründer des Weltstaates. Wie er aber auch die Juden sinnbildete, von denen Christus, der gute Hirt, ermordet ward, den der Schafhirt Abel vorbildete — im Sinnbild ist etwas Prophetisches enthalten —, davon will ich hier nicht sprechen; ich erinnere mich, einiges hierüber in dem Werk wider den Manichäer Faustus[199] gesagt zu haben.
8. Wie es Kain möglich war, schon in den Anfängen des Menschengeschlechtes eine Stadt zu gründen.
Hier dagegen obliegt mir wohl zunächst, den