Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 2. Augustinus von Hippo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Augustinus von Hippo
Издательство: Bookwire
Серия: Die Schriften der Kirchenväter
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783849659837
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Berufung auf dieses erste Vorbild, das, von Gott aufgerichtet, am Anfang steht, alle einzelnen Ehepaare, daß die Männer ihre Frauen lieben sollen.

       23. Über die Frage, ob es auch im Paradiese zur Zeugung hätte kommen müssen, wenn niemand gesündigt hätte, und ob dort die Keuschheit den Kampf wider das Feuer der Begierde aufzunehmen gehabt hätte.

      

      Wollte man aber annehmen, die ersten Menschen hätten sich nicht zusammengetan und gezeugt, wenn sie nicht gesündigt hätten, so hieße das behaupten, daß zur Erfüllung der Zahl der Heiligen die Sünde des Menschen notwendig gewesen sei. Denn wären sie ohne das Dazwischentreten der Sünde allein geblieben, wie doch jene Annahme verlangt, die die Möglichkeit der Zeugung von der vorgängigen Sünde abhängig sein läßt, so war die Sünde in der Tat notwendig, sollte es nicht bloß zwei, sondern viele gerechte Menschen geben. Das ist ungereimt, und so hat man vielmehr anzunehmen, daß, auch wenn niemand gesündigt hätte, die Zahl der Heiligen, die nötig ist zur Vollzahl der Bürger des Gottesstaates, so groß geworden wäre, wie sie sich nun aus der Menge der Sünder durch Gottes Gnade ansammelt, solang Kinder dieser Welt zeugen und gezeugt werden.

      Demnach hätte jene Ehe, würdig des Paradiesesglückes, wäre die Sünde nicht eingetreten, gleichwohl teure Nachkommenschaft gezeugt, jedoch ohne dabei beschämende Lust zu empfinden. Wie das möglich gewesen, ist hier nicht der Ort, an einem Beispiel zu zeigen. Aber deshalb braucht es nicht unglaublich zu erscheinen, daß dem Willen, dem so viele Glieder auch jetzt noch dienstbar sind, jenes eine Glied ebenfalls ohne geschlechtliche Lust hätte dienstbar sein können. Oder sollten wir zwar Hände und Füße nach Belieben des Willens in Bewegung setzen zu den diesen Gliedern obliegenden Werken, und das ohne alle Weigerung, mit einer Leichtigkeit, wie sie uns aus Erfahrung und Beobachtung bekannt ist, vorab bei aller Art von körperlicher Arbeit, wo der natürlichen Schwäche und Ungelenkigkeit behende Übungsfertigkeit nachhilft, dagegen uns wider die Annahme sträuben, daß die Zeugungsglieder gerade so gut wie die übrigen Glieder den Menschen auf einen Wink des Willens hin in Gehorsam hätten dienstbar sein können zum Werk der Kindererzeugung, wenn die Lust nicht eingetreten wäre als Vergeltung für die Sünde des Ungehorsams? Sagt doch Cicero in seinem Werk über den Staat, da wo er sich über den Unterschied der Regierungen äußert und ein Gleichnis hierfür dem Gebiete der Menschennatur entnimmt, man regiere die Glieder des Leibes wie Kinder wegen der Leichtigkeit, womit sie gehorchen, dagegen die fehlerhaften Teile des Geistes würden durch ein rauheres Regiment wie Sklaven gebändigt. Und gewiß hat der Geist nach der natürlichen Ordnung den Vorrang vor dem Leibe, obwohl er leichter den Leib als sich selbst beherrscht. Die Lust jedoch, von der wir hier sprechen, ist eben deshalb um so beschämender, weil ihr gegenüber der Geist weder sich selbst so wirksam beherrscht, daß sie sich überhaupt nicht einstellte, noch auch den Leib so vollkommen, daß statt der Lust der Wille die Schamglieder erregte; wäre dem so, dann wären sie ja nicht Gegenstand der Scham. So aber schämt sich der Geist, daß sich ihm der Leib widersetzt, der ihm doch ob seines tiefer stehenden Wesens unterworfen ist. Wenn bei anderen Leidenschaften der Geist in Widerspruch tritt mit sich, schämt er sich deshalb weniger, weil er da höchstens sich selbst unterliegt; denn wenn eine solche Niederlage auch wider die Ordnung und sündhaft ist, weil sie dem Geiste beigebracht wird von den Teilen, die sich der Vernunft unterwerfen sollten, so wird sie ihm doch von seinen eigenen Teilen und demnach, wie gesagt, von sich selbst bereitet. Bleibt nämlich der Geist ordnungsgemäß Sieger, in der Weise, daß sich die unvernünftigen Regungen dem Geist und der Vernunft unterordnen, so ist das preiswert und tugendhaft, wofern freilich Geist und Vernunft Gott untergeordnet sind. Aber wenn der Geist in seinen fehlerhaften Teilen gegen sich selbst ungehorsam ist, so schämt er sich doch eben nicht so sehr, als wenn seinem Willen und Befehl der Leib sich nicht fügt, der von ihm verschieden ist und unter ihm steht und dessen Natur aus ihm ihr Leben hat.

      Behauptet indes der Wille die Herrschaft über jene anderen Glieder, deren Beihilfe die gegen den Willen durch die Lust gereizten Glieder in Anspruch nehmen müssen, um ihr Verlangen stillen zu können, so wird die Schamhaftigkeit bewahrt, ohne daß darüber freilich der Reiz der Sünde sich verlöre, der eben nur nicht verstattet wird. Ohne Zweifel, im Paradies, wäre nicht über die Schuld des Ungehorsams die Strafe des Ungehorsams verhängt worden, hätte das Beilager diese Widersetzlichkeit, diesen Widerspruch, diesen Kampf zwischen dem Willen und der Lust, um nur überhaupt den Willen durchzusetzen und die Lust auf sich selbst zu beschränken, nicht gekannt, vielmehr wären dort alle Glieder ohne Ausnahme dem Willen dienstbar gewesen. Es würde das Zeugungsgefilde[150] von dem hierzu erschaffenen Glied so angesäet worden sein, wie jetzt der Acker von der Hand des Säenden; und wenn jetzt die Scham sich mir widersetzt, da ich tiefer in diesen Gegenstand eindringen wollte, und mich nötigt, bei züchtigen Ohren durch ein vorausgeschicktes „mit Achtung zu sagen“ um Nachsicht zu bitten, so wäre dazu alsdann kein Grund vorhanden, vielmehr könnte sich die Rede frei und ohne alle Furcht vor Anstößigkeit über alles verbreiten, worauf das Nachdenken über diese Glieder führen würde, ja es gäbe überhaupt keine Wörter, die man anstößig hieße, sondern man könnte über diese Dinge sagen, was man wollte, es wäre immer so anständig, als wenn wir von anderen Körperteilen reden. Wer also an diese unsere Ausführungen mit unzüchtiger Gesinnung herantritt, der möge seine Schuld, nicht aber die Natur verabscheuen, die Wirkungen seiner Schamlosigkeit brandmarken und nicht die Worte, die wir nicht umgehen können. Der züchtige und gottselige Leser oder Hörer wird mir darin leicht Nachsicht gewähren, solange bis ich den Unglauben zurückgewiesen habe, der eben dem Gebiete der Sinneserfahrung seine Beweise entnimmt, nicht dem Glauben an übersinnliche Dinge. Denn wer sich nicht über den Apostel entsetzt, welcher entsetzliche Schandtaten von Weibern rügt[151] , die „den natürlichen Gebrauch vertauschten mit dem, der wider die Natur ist“, der liest auch unsere Darlegungen ohne Ärgernis, zumal da wir hier nicht in Erwähnung und Rügung verwerflicher Unzucht dem Apostel folgen, wohl aber darin, daß wir bei Darlegung von Begleitumständen des menschlichen Zeugungsvorgangs gleich ihm unzüchtige Worte vermeiden.

      

       24. Wären die Menschen schuldlos und zum Lohn für geleisteten Gehorsam im Paradiese verblieben, so würden sie sich der Zeugungsglieder in derselben Weise bedient haben zur Gewinnung von Nachkommenschaft wie der übrigen Glieder, nämlich nach dem Machtspruch des Willens.

      

      Es würde also der Mann Nachkommenschaft zeugen, das Weib sie aufnehmen, mit Zeugungsgliedern, die durch den Willen, wann und soviel es nötig wäre, in Bewegung gesetzt, nicht durch Lust zur Erregung gebracht würden. Wir bewegen ja nicht bloß solche Glieder nach Belieben, deren Teile aus festen Knochen bestehen, wie die Hände und Füße und Finger, sondern ebenso vermögen wir auch die Glieder, die aus weichen Muskeln und Sehnen bestehen und daher schlaff sind, nach unserm Willen hin und her zu bewegen, auszudehnen und zu strecken, zu drehen und zu wenden, zusammenziehend zu verhärten, wie denn der Wille z. B. die Mund- und Gesichtsmuskeln bewegt, so gut er kann. Selbst auch die Lungen, nächst dem Mark die weichsten Eingeweide und deshalb in der Brusthöhle geborgen, sind wie Blasebälge der Schmiedstätten oder der Orgeln dem Willen dienstbar zum Ein- und Ausatmen, zum Sprechen, Schreien, Singen. Und manchen Tieren ist es, wie ich im Vorbeigehen erwähnen möchte, von Natur aus gegeben, ihre den ganzen Körper bedeckende Haut nur an der Stelle zu bewegen, wo sie etwas zu Verscheuchendes verspüren, und durch solch zitternde Bewegung der Haut nicht nur Mücken, sondern selbst darin steckende Speere abzuschütteln. Der Mensch kann das nicht, aber deshalb stand es doch im Belieben des Schöpfers, solche Fähigkeit anderen Lebewesen zu verleihen nach seinem Gutdünken. Ebenso nun konnte sich auch der Mensch seinerseits des Gehorsams auch niedrigerer Glieder erfreuen, dessen er dann durch eigenen Ungehorsam verlustig ging. Denn es war nicht schwer für Gott, den Menschen so zu erschaffen, daß in seinem Fleische auch das, was jetzt nur durch die Lust bewegt wird, nur durch seinen Willen bewegt worden wäre.

      Wir wissen ja, daß sich bei manchen Menschen natürliche Beschaffenheiten finden, die von den regelmäßigen weit abweichen und wegen ihres seltenen Vorkommens angestaunt werden; ich denke da an Menschen, die an ihrem Leibe allerlei nach Belieben vornehmen, was andere nicht können und auf bloßes Erzählen hin kaum glauben wollen. So gibt es Leute,