Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 2. Augustinus von Hippo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Augustinus von Hippo
Издательство: Bookwire
Серия: Die Schriften der Kirchenväter
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783849659837
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also hätte Gott nicht Wesen erschaffen sollen, von denen er sich des Sündigens zum voraus versah, da er doch in und an ihnen zeigen konnte, was deren Schuld nach sich zog und was seine Gnade frei gewährte? Die rechte Ordnung der Dinge würden ja die Sünder durch ihre ungeordnete Verkehrtheit ohnehin nicht stören können, auch ihrerseits abhängig von ihm als dem Schöpfer und Lenker.

      

       27. Die Sünder, ob Engel oder Menschen, vermögen durch ihre Verkehrtheit die Vorsehung nicht zu beirren.

      

      Demnach vermögen die Sünder, Engel wie Menschen, mit ihrem Treiben nicht zu behindern „die großen Werke des Herrn, die er sich aussucht ganz nach seinem Willen“[156] ; denn er, der mit vorsehender Weisheit und allmächtigem Willen jedem das Seine zuteilt, weiß sich nicht nur der Guten, sondern auch der Bösen zum Guten zu bedienen[157] . Und indem er sich also des bösen Engels, der wegen des Mißverdienstes des ersten bösen Willens in einer Weise mit Verhärtung bestraft wurde, daß er ferner überhaupt keinen guten Willen mehr hatte, zum Guten bedient, konnte er recht wohl zulassen, daß von ihm der erste Mensch versucht wurde, der aufrecht, d. i. als ein Wesen von gutem Willen erschaffen war. War er doch so eingerichtet, daß er den bösen Engel hätte überwinden können, wenn er als guter Mensch der göttlichen Hilfe vertraute, dagegen freilich überwunden werden sollte, wenn er Gott, seinen Schöpfer und Helfer, in stolzem Selbstgefallen verlassen würde; sein Verdienst sollte bestehen in einem geraden, von Gott unterstützten Willen, sein Mißverdienst in einem verkehrten, von Gott sich abwendenden Willen. Denn ohne Gottes Hilfe hätte er eben jenes Vertrauen auf Gottes Hilfe nicht zuwege gebracht, aber deshalb stand es doch in seiner Gewalt, sich dieser göttlichen Gnadenhilfe durch Wohlgefallen an sich selber zu begeben. Denn wie man es nicht in seiner Gewalt hat, im Fleische hienieden zu leben ohne Zuhilfenahme von Nahrungsmitteln, dagegen es allerdings in seiner Gewalt hat, im Fleische nicht zu leben, wie das Beispiel der Selbstmörder zeigt, so hatte man es auch im Paradiese nicht in seiner Gewalt, gut zu leben ohne Gottes Hilfe, wohl aber hatte man es in seiner Gewalt, schlecht zu leben, wobei dann jedoch die Glückseligkeit nicht andauern, sondern die gerechte Strafe eintreten sollte. Da nun Gott um diesen künftigen Fall des Menschen genau wußte, hätte er ihn deshalb nicht versuchen lassen sollen durch die Bosheit des neidischen Engels? er, der durchaus nicht im Ungewissen darüber war, daß der Mensch besiegt würde, aber ebenso klar vorhersah, daß von dem Samen des Menschen mit Hilfe der göttlichen Gnade derselbe Teufel in den Heiligen um so rühmlicher besiegt werden sollte! Die Sache stand demnach so, daß Gott nichts verborgen war von den kommenden Dingen, daß er aber durch sein Vorherwissen niemand zum Sündigen nötigte und durch die nachfolgende Erfahrung seiner vernunftbegabten Schöpfung in Engel- und Menschenwelt den gewaltigen Unterschied vor Augen führte zwischen vermessener Selbstüberhebung und göttlichem Schutz. Es wäre natürlich in Gottes Macht gelegen gewesen zu bewirken, daß weder Engel noch Mensch gefallen wäre. Aber er zog es vor, das ihrer Macht anheimzustellen und auf diesem Wege zu zeigen, wieviel Schlimmes ihr Hochmut und wieviel Gutes seine Gnade vermöge.

      

       28. Der Unterschied der beiden Staaten, des Weltstaates und des himmlischen Staates.

      

      Zweierlei Liebe also hat die beiden Staaten gegründet, und zwar den Weltstaat die bis zur Verachtung Gottes gesteigerte Selbstliebe, den himmlischen Staat die bis zur Verachtung seiner selbst gehende Gottesliebe. Kurz gesagt: der eine rühmt sich in sich selbst, der andere im Herrn[158] . Der eine sucht Ruhm bei den Menschen, für den andern ist der höchste Ruhm Gott, der Zeuge des Gewissens. Der eine hebt sein Haupt empor in eigenem Ruhm, der andere spricht zu seinem Gott[159] : „Du bist mein Ruhm und hebst mein Haupt empor“. Jenen beherrscht in seinen Fürsten oder in den von ihm unterjochten Völkern die Herrschsucht; in diesem sind sich gegenseitig in Liebe dienstbar die Vorgesetzten durch Fürsorge, die Untergebenen durch Gehorsam. Jener liebt in seinen Mächtigen seine eigene Stärke; dieser spricht zu seinem Gott[160] : „Ich will Dich lieben, Herr, meine Stärke“. In jenem haben daher dessen Weise, nach dem Menschen lebend, die Güter des Leibes oder die ihres Geistes oder die des einen wie des andern angestrebt, oder die unter ihnen, die[161] „Gott erkannt haben, haben ihn doch nicht wie Gott geehrt oder Dank gesagt, sondern sind eitel geworden in ihren Gedanken, und ihr unverständiges Herz ward verfinstert; sie sagten, sie seien die Weisen“[162] , „und sind zu Toren geworden und vertauschten die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes mit dem Gleichnis und Bilde des vergänglichen Menschen, auch der Vögel und vierfüßigen und kriechenden Tiere“ [derlei Götzenbilder anzubeten lehrten sie nämlich das Volk oder schlossen sich ihm darin an] „und erwiesen Verehrung und Dienst dem Geschöpfe vielmehr, denn dem Schöpfer, der da ist der Gepriesene in Ewigkeit“. Im Gottesstaate dagegen gibt es keine andere Weisheit des Menschen als die Frömmigkeit, die in der rechten Weise den wahren Gott verehrt und dabei in der Genossenschaft mit den Heiligen, die sowohl Engel als Menschen umfaßt, als ihren Lohn erhofft, „daß Gott alles in allem sei“[163] .

      15. Buch

      

       1. Die Doppelreihe der von Anfang an nach verschiedenen Endpunkten hin sich bewegenden Menschheitszeugung.

      

      Viel ist gesagt und geschrieben worden über das Paradiesesglück oder über das Paradies und das Leben der ersten Menschen in ihm, über deren Sünde und die Strafe dafür. Und im Anschluß an die Heilige Schrift, teils in wörtlichem, teils in sinngemäßem, haben auch wir hierüber uns ausgesprochen in den vorangehenden Büchern. Sowie man aber in diesen Fragen mehr ins Einzelne geht, erwachsen zahlreiche und vielgestaltige Erörterungen; sie auszuführen, wären mehr Bände erforderlich, als der Anlage dieses Werkes entspricht, und mehr Zeit, als uns zur Verfügung steht. Wir brauchen auch nicht bei all dem zu verweilen, was müßige und spitzfindige Köpfe etwa für nötig halten, schneller bei der Hand mit Fragen als mit dem Verständnis für die aufgeworfenen Schwierigkeiten. Immerhin glaube ich, in den bisherigen Darlegungen die großen und äußerst schwierigen Fragen über den Anfang der Welt, der Seele und des Menschengeschlechtes genügend erörtert zu haben. Dabei haben wir die Menschheit in zwei Arten geteilt, deren eine die umfaßt, die nach dem Menschen leben, während die andere die in sich schließt, die nach Gott leben; wir nennen die beiden Arten in einem übertragenen Sinn die zwei Staaten, d. i. die zwei Genossenschaftsgefüge der Menschen, von denen das eine jenes ist, das mit Gott ewig zu herrschen, das andere jenes, das sich mit dem Teufel ewiger Strafe zu unterwerfen vorherbestimmt ist. Doch das ist deren Endausgang, wovon später zu handeln ist. Jetzt dagegen dürfte, nachdem über die Anfänge der beiden Staaten in der Engelwelt, deren Zahl wir nicht kennen, und bei den zwei ersten Menschen das Nötige beigebracht worden ist, deren Entwicklung in Angriff zu nehmen sein, von da ab, wo die ersten Menschen zu zeugen begannen, bis zu dem Zeitpunkt, da die Menschen aufhören werden zu zeugen. Denn diese gesamte Zeit oder die Weltzeit, in der die Geschlechter kommen und gehen, gehört der Entwicklung der beiden Staaten an, von denen wir handeln.

      Zuerst also wurde von jenen beiden Stammeltern des Menschengeschlechtes Kain geboren, der zum Staat der Menschen gehört, nachher Abel, der zum Gottesstaat gehört. Wie wir nämlich am einzelnen Menschen, um mit dem Apostel zu reden[164] , die Erfahrung machen, daß „nicht das, was geistig ist, das erste ist, sondern was seelisch, dann erst das Geistige“ [weshalb jeder, aus verdammter Wurzel entspringend, zuerst von Adam her notwendig böse und irdisch gesinnt ist; nachmals erst, falls er vorangeschritten ist durch die Wiedergeburt in Christus hinein, wird er gut und geistig sein], so ist auch beim ganzen Menschengeschlecht, sobald sich nur die zwei Staaten durch Geburt und Tod zu entfalten begannen, zuerst der Bürger dieser Welt geboren worden, und nachher erst der Fremdling in dieser Welt und Angehörige des Gottesstaates, durch Gnade vorherbestimmt, durch Gnade ausgewählt, durch Gnade Fremdling hier unten, durch Gnade Bürger dort oben. Denn soweit er für sich in Betracht kommt, stammt er aus derselben Masse, die in ihrem Ursprung als Ganzes