Auf solche Wahrscheinlichkeitsgründe hin also hat man von einer Seite, die nicht etwa den Glauben an diese heilige Geschichte untergraben, sondern ihn vielmehr stützen will durch den Nachweis, die Angaben über die große Zahl der Lebensjahre der Urmenschen seien nicht unglaubwürdig, sich selber eingeredet und auch ohne Vermessenheit vorschlagen zu dürfen geglaubt, damals sei ein so kurzer Zeitraum als Jahr bezeichnet worden, daß deren zehn auf unser Jahr gingen und zehn heutige Jahre hundert damalige ausmachten. Aber es läßt sich durch einen augenscheinlichen Beweis dartun, daß diese Auffassung völlig unrichtig ist. Bevor ich indes darangehe[223] , möchte ich eine annehmbare Vermutung zu Worte kommen lassen. Gewiß könnten wir jene Aufstellung mit Hilfe der hebräischen Überlieferung zurückweisen und widerlegen, nach welcher Adam nicht 230, sondern 130 Jahre alt gewesen ist, als er seinen dritten Sohn zeugte; sind diese 130 Jahre gleich 13 heutigen, so war Adam klärlich 11 Jahre alt oder nicht viel darüber, als er den ersten Sohn zeugte. Wer kann in solchem Alter zeugen, nach dem ordentlichen, uns wohlbekannten Naturgesetz? Doch wir wollen von Adam absehen, da er vielleicht schon bei seiner Erschaffung zeugungsfähig war, jedenfalls ist nicht anzunehmen, daß er so klein, wie unsere Kinder sind, erschaffen worden ist. Aber Seth, Adams Sohn, war nach der hebräischen Leseart nicht 205 Jahre alt, wie wir lesen, sondern 105, als er Enos zeugte; er wäre also nach jener Berechnung noch keine 11 Jahre alt gewesen. Und erst Kainan, dessen Sohn, dem wir 170, die hebräischen Handschriften 70 Jahre zuteilen, als er Maleleel zeugte! Wo hat je ein siebenjähriger Mensch Kinder gezeugt, wie dieser Kainan getan hätte, wenn man damals 70 Jahre nannte, was in Wirklichkeit 7 waren?
13. Soll man in den Jahresangaben die Septuaginta oder den hebräischen Text als maßgebend erachten?
Aber wenn ich das sage, hält man mir sofort entgegen, es handle sich da um eine solche Fälschung seitens der Juden, wovon oben schon zur Genüge die Rede war; denn die 70 Übersetzer, Männer von gefeiertem Rufe, hätten nicht fälschen können. Da ließe sich nun freilich fragen, was eher Glauben verdiene, daß sich das weithin verstreute Judenvolk zu dieser Fälschung einmütig habe verständigen können und aus Mißgunst über das Ansehen, worin ihre Schrift bei andern steht, sich selbst um die Wahrheit gebracht habe, oder daß 70 Leute, selbst auch Juden, an einer Stätte vereinigt, da der ägyptische König Ptolemäus sie zu diesem Werke herbeigerufen hatte, die Wahrheit fremden Völkern mißgönnt haben und nach gemeinsamer Verabredung in der bezeichneten Richtung vorgegangen seien. Die Antwort darauf kann nicht schwer fallen. Aber das eine wie das andere wird kein verständiger Mensch annehmen; es hätten weder die Juden, auch nicht die verkehrtesten und bösartigsten, bei der großen Zahl und der weiten Verstreuung der Handschriften so etwas zuwege gebracht, noch haben sich jene denkwürdigen 70 Männer auf den Plan verständigt, den Völkern die Wahrheit aus Neid vorzuenthalten. Annehmbarer erscheint mir daher die Vermutung, es habe eine derartige Fälschung stattfinden können, als man daran ging, die Übersetzung, die in den Büchern des Ptolemäus stand, abzuschreiben, und zwar gleich in der ersten davon genommenen Abschrift, von der sie sich dann von selbst weiter verbreitete; es könnte sich dabei an sich auch um Irrtum des Schreibers gehandelt haben. Allein das mag zutreffen in der abweichenden Angabe über die Lebensdauer des Mathusalam und bei Lamech, wo die Summe um 24 Jahre auseinandergeht. Dagegen in jenen Fällen, wo immer der gleiche Fehler wiederkehrt in der Weise, daß vor der Zeugung des betreffenden Sohnes in der Septuaginta 100 Jahre mehr angegeben werden als im hebräischen Text, und nach der Zeugung hier die fehlenden als Überschuß erscheinen, dort die überschüssigen fehlen und also die Summe wieder stimmt, eine Unregelmäßigkeit, die sich in gleicher Weise bei der ersten, zweiten, dritten, vierten, fünften und siebenten Geschlechtsreihe findet, da hat augenscheinlich der Irrtum sozusagen eine gewisse Stetigkeit und verrät Absicht, nicht Zufall.
So mag man also für die Abweichungen in den Zahlenangaben zwischen dem griechischen und lateinischen Text einerseits und dem hebräischen andrerseits, soweit es sich nicht um die immer in gleicher Weise durch so viele Geschlechtsreihen hindurch sich wiederholende Spannung handelt, die erst durch Hinzurechnung, dann durch Abzug von 100 Jahren entsteht, die Nachlässigkeit des Schreibers verantwortlich machen, der zuerst die Handschrift aus der Bibliothek des genannten Königs zum Abschreiben erhielt; wir brauchen hierfür weder die Bosheit der Juden noch den Fleiß oder den Scharfsinn der 70 Übersetzer heranzuziehen. Denn auch heute noch werden Zahlen, falls sie nicht auf etwas aufmerksam machen, was sich leicht erkennen läßt oder zu wissen nützlich erscheint, nachlässig abgeschrieben und selten wieder richtig gestellt. Wem gilt es etwa für besonders wissenswert, wieviel tausend Männer jeder einzelne Stamm Israels zählen mochte?[224] Das zu wissen hält man nicht für irgend nützlich, und wie wenige Menschen gibt es, denen gar der tiefe Sinn dieses nützlichen Wissens zum Bewußtsein kommt? Anders aber ist die Sache mit den 100 Jahren zu beurteilen, die auf der einen Seite da sind, auf der andern fehlen durch eine Anzahl Geschlechtsfolgen hindurch und nach der Geburt des jeweils zu erwähnenden Sohnes fehlen, wo sie schon da waren, oder da sind, wo sie gefehlt haben, so daß die Summe übereinstimmt. Jener, der die 100 Jahre vor die Geburt gestellt hat, wollte glauben machen, die große Zahl der Lebensjahre, die den Urvätern zugeteilt wird, rühre daher, daß man nur ganz kurze Jahre gekannt hätte, und suchte das zu erweisen durch Beziehung auf die Geschlechtsreife, die die Erzeugung von Kindern ermöglicht. Zu diesem Zwecke glaubte er den Ungläubigen gegenüber andeuten zu sollen, daß 100 damalige Jahre 10 heutige seien, damit die Leute sich nicht weigerten, die langen Lebenszeiten gläubig anzunehmen, und so erhöhte er die Angaben über die Lebensdauer bis zur Zeugung um 100 Jahre überall da, wo er ein zur Zeugung von Kindern unfähiges Lebensalter angegeben fand, zog dann aber, um eine Übereinstimmung der Summen zu erzielen, die 100 Jahre von den Lebensjahren nach der Zeugung wieder ab. Er wollte eben ein der Erzeugung von Nachkommenschaft entsprechendes Alter glaubhaft machen, ohne doch das Gesamtlebensalter der einzelnen an Zahl der Jahre zu schmälern. Wenn er in der sechsten Geschlechtsreihe nicht so verfahren ist, so bestätigt gerade diese Unterlassung unsere Annahme; er hat sein Verfahren nur da angewendet, wo es die Sache, die wir meinen, verlangte; wo sie es nicht verlangte, verfuhr er nicht so. Er fand nämlich in der bezeichneten Geschlechtsreihe im hebräischen Text für Jared bis zur Zeugung Enochs 162 Jahre angesetzt, was nach jener Lehre von den kurzen Jahren 16 Jahre und etwas weniger als 2 Monate ergibt, ein Alter, das bereits zeugungsfähig ist, und deshalb war es nicht nötig, Jareds Alter bis zur Zeugung um 100 kurze Jahre zu erhöhen, um es auf 26 heutige Jahre zu bringen, womit dann auch das Abziehen der 100 Jahre von den Lebensjahren nach der Zeugung entfiel, da er sie ja vor der Zeugung nicht hinzugefügt hatte. So erklärt es sich, daß sich bei Jared keine Abweichung zwischen den beiderseitigen Texten zeigt.
Aber auffallend ist hinwieder, daß in der achten Geschlechtsreihe, in der der hebräische Text dem Mathusalam bis zur Geburt Lamechs 182 Jahre zuteilt, in unserm Text, wo doch sonst gewöhnlich 100 Jahre mehr angegeben sind, 20 Jahre weniger verzeichnet werden, die dann nach Lamechs Geburt nachgetragen sind zur Ergänzung der Summe, die in beiden Texten die gleiche ist. Denn wenn der Schreiber mit Beziehung auf die Geschlechtsreife 170 Jahre als 17 aufgefaßt wissen wollte, so durfte er bei Mathusalam so wenig etwas abziehen als hinzufügen, weil er bei ihm ein zeugungsfähiges Alter bereits angegeben vorfand, um dessentwillen er, wenn er es nicht vorfand, bei anderen die 100 Jahre beifügte. Wir könnten ja diese Spannung von 20 Jahren recht wohl als einen durch Zufall entstandenen Fehler gelten lassen, wenn der Schreiber die 20 Jahre nicht hinterher, wie er sie vorher abgezogen hatte, wieder einzusetzen Sorge getragen hätte, damit sich die Gesamtsumme decke. Oder soll man annehmen, es