Sagen reloaded. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

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Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783707607062
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der wasserkörper spreizt sich über das bachbett neben

       dem schloss

      er windet sich nicht mehr er ziert sich vor dem abgrund er ziert sich vor der brücke

       die statue des heiligen nepomuk wacht darüber

      nepomuk, den der könig von der karlsbrücke treten ließ

      nepomuk, der ertrank

      - ich kann nicht …

       neben dem schloss steht die statue des heiligen nepomuk unterhalb stürzt sich der wasserkörper in die schlucht

      - sie sind da

       und er mündet

      er mündet

       er mündet im untergrund

      //

      //

      danach:

      IM PINETUM

      FAST IM HINTERGEBIRGE

      HINTER DEN SIEBEN BERGEN

      DORT ENTSPRINGT ETWAS

      AM GEMÄUER

      AN DER SCHLUCHT ENTLANG

      EINEM ORT, DER

      URSPRÜNGLICH BLOSS LICHTUNG WAR

      WILDBANN DER HERRSCHAFT STEYR

      ETWAS ENTSPRINGT UND QUILLT

      ÜBER DEN BODEN

      DEN STAUB

      VOM STADTBAU

      VOM KRIEG

      BEHERBERGT SCHLAMM

      UND SPRICHT

      VON FRÜHER

       Lucas Cejpek

       Die große Kurve

      Das steinerne Untier mit einer Krone und einem Schweif aus Eisen sitzt in einer Nische hoch oben in der Fassade des Hauses Schönlaterngasse 7 und erinnert an das statistische Ungeheuer, das seit März 2020 auf unseren Bildschirmen erscheint. – Allein schon der Atem des Eidechsenkönigs ist tödlich, warnte der Weltweise, der 1212 von der Wiener Stadtregierung um Rat gebeten wurde. – Nach 808 Jahren ist das im Hausbrunnen verschüttete Mischwesen aus Schlange, Kröte und Hahn als gelber Kranich zu neuem Leben erwacht. Cui Hao schrieb im 8. Jahrhundert, dass die Kranichpagode von Wuhan das Einzige sei, was an den Vogel erinnere: Der gelbe Kranich ging und kehrt nicht wieder, / Weiße Wolken ziehen langsam über tausend Jahre. – Um 77 nach unserer Zeitrechnung hat Plinius der Ältere in seiner 37-bändigen Naturgeschichte zum ersten Mal den König der Schlangen beschrieben, mit einem weißen Fleck auf dem Kopf, der an eine Krone erinnert. – In mittelalterlichen Tierbeschreibungen schlüpft der Basilisk aus einem Ei, das ein Hahn gelegt und eine Schlange oder eine Kröte ausgebrütet hat. Sein Atem ist giftig, und wer in seine Augen schaut, wird zu Stein. Wenn man ihm einen Spiegel vorhält, zerplatzt das Untier vor lauter Wut in tausend Stücke. – Wie verhält sich eine Kurve zu einem Spiegel? Ein Verkehrsspiegel kann die Sichtverhältnisse verbessern, aber auch zur Entstehung von toten Winkeln führen. – Der Verlauf der roten Kurve muss abgeflacht werden, damit die nationalen Gesundheitssysteme nicht überfordert werden. Bis dahin müssen alle Gesichtsmasken tragen. – 2004 hat Georg Hofer das rotglühende Auge des Basilisken in einem Spiegel fotografiert und das Foto ins Netz gestellt. – Historische Ungeheuer wurden in vielen Naturaliensammlungen gezeigt, Kombinationen von Körperteilen unterschiedlicher Tiere. Der Basilisk hatte eine große blaue Nase und drei Hörner auf dem Kopf und Stacheln am Hinterkopf, am Hals und am Rücken. Sein Leib war mit Schuppen bedeckt wie der Leib des Pangolin, das als Überträger des Virus auf den Menschen gilt. Auf dem Wildtiermarkt von Wuhan werden neben dem Schuppentier Stachelschweine, Schleichkatzen, Waschbären, Schlangen und Fledermäuse verkauft. – Der Basilisk war in einem feuchten Keller aus dem Ei geschlüpft und hatte sich im Brunnen des Hauses Schönlaterngasse 7 eingerichtet, wo er von einer Magd entdeckt wurde. In einer Mauernische im Parterre des Nachbarhauses kauert sie neben dem Untier am Boden, das weiße Kleid wirft Falten, wie die weiße Haube des Mannes, der sich über den Brunnenrand beugt, einen Spiegel in der Hand: Der Rahmen des Spiegels ist so rot wie die Lippen der Frau. – Der Chefberater des österreichischen Gesundheitsministers trägt die Uniform des Roten Kreuzes. – Das Basiliskenhaus wurde in den Kriegsjahren 1939–45 beschädigt und 1952–53 wiederhergestellt, steht auf einer Tafel neben dem Eingangstor, die Tafel darunter erinnert an Erwin Abeles, Sissel Berkowicz, Pauline Ekstein, Rudolf Ekstein und Alois Löwy, die bis zu ihrer Deportation 1939–42 hier gewohnt haben. Eine historische Tafel wirbt für das Schreibbüro E. Petrovsky, das Geschäft Treasures & More hat Gemälde, Gläser und Porzellan in der Auslage, und in den Auslagen von Georg Fritschs Antiquariat & Buchhandel sind aufgrund des Ausnahmezustands VER SACRUM- und Die Gesellschaft-Hefte, hrsg. v. Martin Buber, liegen geblieben, in der Mitte Jörg Schlicks Plattencover KEINER HILFT KEINEM. – 2001 hat mir Jörg seinen Ausstellungskatalog mit dem Titel GLEICH SCHEUEN HIRSCHEN IN WÄLDERN VERSTECKT ZU LEBEN mit K.H.K. signiert. – H. C. Artmanns Proklamation des poetischen Actes von 1953 hängt in den Fenstern des Antiquariats, im Original und in englischer Übersetzung: Der poetische Act ist jene Dichtung, die jede Wiedergabe aus zweiter Hand ablehnt, das heißt, jede Vermittlung durch Sprache, Musik oder Schrift. – Der Basilisk machte sich durch einen infernalischen Gestank bemerkbar, der aus dem Brunnen aufstieg. Die Magd des Bäckers konnte kein Wasser schöpfen und rief um Hilfe, worauf sich der Geselle an einem Seil in den Schacht hinabließ, der Wien an der Donau mit Wuhan am Zusammenfluss von Jangtsekiang und Han-Fluss verbindet. Dort hat Hans der Gelbhaar gelernt, wie man Garnelenknödel macht: Weizen- und Maniokmehl mischen, kochendes Wasser unterrühren und Öl hinzufügen und kneten, bis der Teig glatt und glänzend ist – einen Teelöffel davon nehmen und zum Ball rollen und mit dem Messer flachdrücken – einen gehäuften Teelöffel gehackte Garnelen in die Mitte geben und den Teig mit Daumen und Zeigefinger über der Füllung falten: Ein Har Gow sollte mindestens zehn Falten haben.

       Daniela Chana

       Die Spinnerin am Kreuz

      Zuerst dachte ich, es wäre nur dieses typisch matte Gefühl, das einen oft befällt, wenn endlich etwas eintritt, auf das man lange gewartet hat, und man feststellen muss, dass man sich über die wirklich großen Dinge im Leben nie so richtig freut. Am Tag nach der bestandenen Matura oder der Führerscheinprüfung oder der Hochzeit steht man doch wieder ganz normal auf, macht sich sein Brot mit Käse und Gurkerl, findet eine verschrumpelte Zitrone im Kühlschrank und staunt darüber, dass sich nicht alles überwältigend schön anfühlt. Stattdessen hat man auf einmal lauter neue Probleme.

      Deswegen war ich nicht sonderlich überrascht, als mir in den ersten Tagen nach Leonardos Rückkehr nur die negativen Dinge auffielen. Gleich nachdem er zur Tür hereingekommen war und sich ausgezogen hatte, bemerkte ich, dass er Gesundheitsschuhe mit Einlagen trug. Freilich hatte ich immer den Traum gehabt, gemeinsam alt zu werden, mit Gesundheitsschuhen und Krücken und Ähnlichem, aber ich hatte mir das völlig anders vorgestellt. In meiner Fantasie wären wir gemeinsam am Frühstückstisch gesessen und er hätte liebevoll meine Hand gestreichelt und gesagt: »Na, jetzt wird es schon langsam Zeit, dass wir uns Gesundheitsschuhe kaufen, meine Liebste, und du bist immer noch so wunderschön wie am ersten Tag.« Danach wären wir romantisch Hand in Hand zum Orthopäden gegangen. Im Wartezimmer hätte ein Kind auf uns gezeigt und laut gesagt: »Schau, Mama, so ein uraltes Ehepaar!«, und ein Teenagermädchen, das gerade per SMS von ihrem Freund verlassen worden wäre, hätte uns traurig angeschaut und gedacht: »So wie die möchte ich auch einmal sein.« Nun waren wir aber unabhängig voneinander alt geworden, und was mich fast noch mehr ärgerte, war, dass ich mir trotzdem für unser Wiedersehen den kurzen Rock und die unbequemen Korksandalen mit der goldenen Schleife angezogen hatte, weil ich ihm gefallen wollte.