Sagen reloaded. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783707607062
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den Hausflur wieder, und mein Blick fiel auf das schmiedeeiserne Gitter rechts am Boden, in einer Maueraussparung. Ich schaltete die Lampe meines Smartphones an und leuchtete damit durch das Gitter in die Tiefe, da hörte ich ein Rascheln, und tatsächlich sah ich, dass sich da unten etwas bewegte.

      »Hab ich dich!«, rief ich und war nicht wenig verwundert, als ich eine Stimme aus dem Schacht hörte, die wie ein fragendes Echo »Hab ich dich?« sagte. Sie klang irgendwie müde und einigermaßen sanft, also ganz und gar nicht, wie man sich die Stimme eines mordenden Monsters vorstellt. Ich überlegte ein paar Atemzüge lang, wie ich der Bestie den Garaus machen sollte, um die Stadt und ihre Bewohner ein für allemal von ihr zu erlösen, dann schien mir klar, was zu tun war. Ich aktivierte die Spiegelfunktion der Kamera meines Smartphones, klappte das Schachtgitter hoch, kniete mich an den Rand und hielt das Telefon hinein, sodass das Ungetüm beim ersten Blick in die Höhe unweigerlich auf das Display schauen und beim Ansichtigwerden seines Spiegelbildes ob seiner eigenen Abscheulichkeit auf der Stelle verenden würde – so lautete schließlich die über Jahrhunderte überlieferte Anweisung zum Töten eines Basilisken.

      »Schau!«, rief ich über den Schachtrand in die Tiefe, »schau mal kurz her!«

      Doch anstatt des erwarteten Todesschreis hörte ich den Basilisken klagen:

      »Ich kann nichts sehen!«

      »Schau genau!«, lockte ich ihn.

      »Ich kann nicht«, klagte er erneut.

      »Konzentrier dich! Schau einfach auf mein Smartphone, du wirst dich wundern, was ich dir da zeige!«

      »Es ist mir nicht möglich«, seufzte er.

      »Aber wieso nicht?«

      »Ich will ja schauen, aber ich habe Angst! Ich fürchte mich allein. Komm herunter, wir machen ein Selfie zusammen!« »Ich weiß nicht«, antwortete ich ausweichend, da ich eine Falle witterte, beugte mich aber tiefer über den Schachtrand. Es roch metallisch und wie nach Kabelbrand, und ich konnte einen Schemen erblicken, aber weiter hinunter traute ich mich nicht.

      »Komm zu mir, nur für ein Selfie!«, flehte der Basilisk.

      »Komm du doch rauf!«, entgegnete ich barsch, aber als Antwort vernahm ich bloß ein Winseln.

      Bis zum Bauch hatte ich mich bereits in den Brunnenschacht gebeugt und hielt mein Smartphone mit der aktivierten Spiegelfunktion, so weit mein Arm reichte, in die Tiefe, in der Hoffnung, dass das Untier doch einmal einen Blick riskieren und dann zerplatzen würde.

      Doch weil nichts dergleichen passierte, beschloss ich, meinen Plan zu ändern. Ich aktivierte die Filmfunktion, hielt das Handy in den Schacht und drückte auf Aufnahme. Als ich mir gleich darauf den kurzen Film ansah, war da nur so etwas wie eine dunkle, amorph-wabernde Masse in einer Art Nest aus Kehricht zu erkennen, dabei flackerte es aber so eigenartig, als wäre es ein altmodisches Hologramm mit Störeffekten.

      Ich änderte nun meine Strategie und versuchte es auf die psychologische Tour:

      »Wieso bringst du denn all die Menschen um?«, fragte ich den Basilisken, und nach einer Weile des Schweigens entgegnete er in einem eigenartig einnehmenden, weil vornehm zurückhaltenden Tonfall:

      »Weil ich die Menschen so liebe! Sie sind so schön! Ich liebe sie alle! Auch dich liebe ich! Du bist so schön!«

      Mein prompter Einwand, dass er mich ja gar nicht kenne und mich deshalb doch gar nicht lieben könne, schien ihn nicht zu beeindrucken, und er fuhr fort:

      »Glaube mir! Ich würde alles für dich tun. Ich würde lügen für dich. Ich würde stehlen und töten für dich. Ich würde verwüsten, vergiften, brandschatzen, plündern für dich. Ich würde die Erde zum Beben bringen, Vulkane Feuer speien und brennenden Hagel vom Himmel fallen lassen. Ich würde alle Tiere und Pflanzen sterben lassen. Ich würde Luft und Boden vergiften. Ich würde ganze Länder verheeren und in Flammen aufgehen lassen. Ich würde unterjochen, versklaven, foltern und vergewaltigen für dich. Ich würde die Erde mit Bomben übersäen. Ich würde die Menschen das ABC der modernen Waffentechnik lehren. Ich würde Viren und Bakterien erschaffen und sie unter die Leute säen. Ich würde in ihre Genetik eindringen und sie zu Unmenschen machen. Ich würde alles tun, was in meiner Macht steht, und meine Macht würde wachsen. Und das alles würde ich tun, denn ich kann es tun, und all das würde ich für die Menschen tun, denn ich liebe sie, und ich würde es auch für dich tun, denn ich liebe dich!«

      Der Basilisk hörte zu sprechen auf, es ertönten nur noch ein paar zufriedene Schmatzgeräusche, ein Geraschel, als würde er sich in seinem Nest zusammenrollen, und dann fing er verhalten an zu schnarchen.

      Und ich, ich kniete immer noch da, kopfüber in den Schacht gebeugt, und überlegte, was ich denn jetzt tun sollte, als ich plötzlich hinter mir eine Frauenstimme vernahm, so unerwartet und nah, dass ich vor Schreck mein Smartphone in den Schacht fallen ließ:

      »Mit wem sprechen Sie denn da?«

      Ich schwieg und rührte mich nicht.

      »Hallo«, fragte die Frau nochmals, »mit wem sprechen Sie da?«

      Und abermals traute ich mich nicht zu antworten, da kam sogleich ein drittes Mal die Frage, diesmal in forschem Ton:

      »Mit wem sprechen Sie da?!«

      Und so entschloss ich mich, Rede und Antwort zu stehen, hob meinen Kopf aus dem Schacht, klappte das gusseiserne Gitter wieder herunter, und während ich sehr langsam aufstand, mich umdrehte und dabei die Gewissheit fühlte, diesem Schacht in diesem Haus in dieser Sackgasse ein für allemal den Rücken zu kehren, hörte ich eine Stimme, die wie meine eigene klang, sagen:

      »Mit wem ich da spreche? Mit mir!«

       Alexandra Bernhardt

       ANO KATO

      ΟΔΟΣΑΝΩΚΑΤΩΜΙΑΚΑΙΩΥΤΗ

      Der Weg hinauf und hinab ist ein und derselbe.

      Heraklit von Ephesos zugeschrieben

       [Im Vertrauen]

      … die nicht mehr auffindbare MALFATA ist eine Angelegenheit, die du dir nicht zu Herzen gehen lassen solltest. Unten ist nicht oben, wie du weißt, und Obrigkeit nicht Untrigkeit. Außerdem – und gleichwohl, möchte ich sagen – ist sich darum bereits gekümmert worden. Ein Untriger ist damit betraut worden; wir und insbesondere die haute iolée haben damit also nichts mehr zu schaffen. Und es ist noch immer für jedermann gesorgt worden …

       kolcrom No 6079 // notat exkursion // Direktive K1138 // AV 101521-JOU

      bin weisungsgemäß hinuntergestiegen (katadyomenos) · habe die route gegen nordost genommen (ich schöpfe, ich schöpfe) · bin den runen gefolgt (naudiz mannaz laguz) · bei der kreuzung frumentienmarkt=diagonale die abzweigung K35 genommen (westlicher richtung) · geruch unauffällig, dezibelbefund negativ (ich schöpfe, ich schöpfe) · habe hydronautik weisungsgemäß deaktiviert · auf höhe des museals erneut runen (image) · dezibelbefund positiv · abhörtest ergab klopfgeräusch in unterem normbereich (leitungen) · weiter hinab (K84) und tiefer gestiegen (ich schöpfe, ich schöpfe) · im bereich der stelen (unterhalb simulacra) grottenartige gewächse stalagmitengleich : weisungsgemäß übergangen · fortgeschritten, weiter hinab · dezibelbefund wie oben · innenperspektive unauffällig (ich schöpfe, ich schöpfe) · weisungsgemäß weiter dem versorgungstunnel gefolgt · K89, K91, K93 · fürder hinab leitende stollen (ohne auszeichnung) · dezibelbefund wie oben (ich schöpfe, ich schöpfe) · geruch nicht länger neutral, aber undefinierbar (troglodyomenos) · unterhalb kreuzung nordwestliches museal=spectaculum/rubrum erstmals wieder runen (not mann wasser) · keine kennung sonst, kein weiterer befund (dezibel null komma null) · geruch brackig, hygrometerausschlag im oberen normbereich · innenperspektive weisungsgemäß (ich schöpfe, ich schöpfe) · K101 vertikal