SIE TÖTEN DICH.. Dankmar H. Isleib. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dankmar H. Isleib
Издательство: Bookwire
Серия: 666 - Perfektion des Bösen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783969020074
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mit dem sie sich vermutlich zum Teil auch selbst therapieren, beruhigen wollte, ging die schwere, übergroße Tür zu dem harmonischen, als schön zu bezeichnenden Raum auf und es standen zwei recht unterschiedlich aussehende Männer im Zimmer. Jonathan und Franco.

      »Hallo. Ich bin Jonathan. Wir haben telefoniert. Ich rief Sie Montagnacht aus der Konzerthalle an, um Sie zu bitten, zu Ihrer Tochter zu kommen«, wandte sich der in Diensten Franco Mignellos stehende Ältere der beiden Eindringlinge an Sarah Henderson.

      »Und ich bin Franco Mignello. Ein Freund. Sie wollte meine Augen wiedersehen, deshalb bin ich hier«, ließ der kleine, sehr blass und hilflos aussehende junge, aber gleichzeitig älter, reifer wirkende Typ mit den Feuerlocken und zu reifem Blick seine warme Stimme erklingen, dabei mit beiden Zeigefingern auf die Objekte des Begehrens zeigend, und Sarah mit diesen, in seiner für Fremde völlig ungewohnten Intensität strahlenden Augen anschauend.

      Sarah erhob sich aus dem Sessel, konnte ihrerseits den Blick nicht von dem kleinen Mann in abgewetzter Jeans und zu großem Pullover nehmen, den sie um etliche Zentimeter überragte. Sie kam wie in Trance auf ihn zu, umarmte ihn inniglich, hielt ihn fest, als seien sie eine Ewigkeit befreundet.

      »Die Etheridge wird Stella helfen«, versuchte Franco seine Verlegenheit zu überspielen, denn ihm war die Umarmung der eleganten, blendend aussehenden Frau, die nicht verhehlen konnte, die Mutter der singenden Schönheit zu sein, äußerst peinlich. Er fühlte sich in ihren Armen wie ein Kind. Irgendwie zog er Parallelen zu seiner Mutter. Und doch nicht. Er fühlte sich wie ein erwachsenes Kind, das Begehren hätte entwickeln können. Denn die erotische Kraft, die von Sarah Henderson ausging, war auch für ihn, selbst in dieser so schweren Situation, unverkennbar. Wieder einmal wurde er knallrot, ohne dass es jemand wahrnahm; seine Sommersprossen übertönten die kräftige Farbe der restlichen, von den Pigmentflecken verschont gebliebenen Haut seines Gesichts – also nicht mehr als dreißig Prozent. Und das fiel nicht weiter auf.

      »Ja, das hoffe ich auch«, antwortete ihm Stellas Mutter, blickte unvermindert anhaltend in Francos wunderschöne dunkle Augen, die auf sie intensiv und beruhigend wie ein glasklarer, tiefer Waldsee wirkten. Mystisch. Und die nach morgenfrischen Tannen dufteten, so empfand sie. SAHE hielt Francos Hände in den ihren und es strömten im Wechsel Kräfte, die sie beide sehr deutlich spürten. Die ihnen sagten, dass sie sich verstehen würden, dass sie einander helfen werden.

      »Sind Sie einer der Helfer beim Konzert gewesen?«, fragte Sarah Franco und drehte sich hilfesuchend zu Jonathan um, weil sie wohl annahm, dass der schüchterne junge Mann, der so gar nicht in ihr Bild eines Bühnen-Roadies oder Security-Mannes passte, ihr darauf keine Antwort würde geben können.

      »Es ist etwas komplizierter«, antwortete Jonathan sehr gefühlvoll, da er sensibel genug war zu erkennen, dass Franco diese Frage in der Tat nicht angenehm war. »Franco Mignello ist Italiener, ein Freund, den ihre Tochter nicht kennt, ihm dennoch einiges, nein, sehr viel zu verdanken hat. Das wird Sie verwirren, aber es lässt sich aufklären. Wenngleich jetzt vielleicht nicht der geeignete Augenblick ist, das ausführlich zu erläutern, denn wir sind hierhergekommen, um zu versuchen, Stella zu helfen. Wie Sie auch, gnädige Frau.«

      »Sagen Sie Sarah zu mir, Jonathan, Franco. Ich weiß, dass Stella Ihnen ihr Leben verdankt. Ich fühle es, ohne dass Sie es mir bestätigen müssen. Und ich kann Stella verstehen, wenn sie diese Augen wiedersehen will!«

      Wieder nahm sie Francos Hände in die ihren. Führte sie zu ihren Augen, dann legte sie auch ihre feingliedrigen Finger behutsam auf Francos Augen, bedeckte diese für eine Sekundenewigkeit, zog sie weg, beugte sich ein wenig zu ihm herab und küsste ihn auf seine schwarz glänzenden Diamanten:

      »Ich werde Stella die Kraft Ihrer Augen, die Stärke Ihrer Seele übermitteln. Ich glaube, wir müssen uns alle in Geduld üben. Bitte hinterlassen Sie, wo und wie ich Sie erreichen kann. Bitte gehen Sie jetzt. Ich werde Sie informieren, wenn es Stella bessergeht. Wenn sie in der Lage ist, Ihre Zuneigung entgegenzunehmen. «

      Es entstand eine Pause, die die Stille noch schöner und zugleich unerträglicher machte.

      »Ich täusche mich doch nicht, Franco Mignello?«, setzte SAHE fort. »Sie lieben meine Tochter, nicht wahr? Sagen Sie nichts. Eine Mutter fühlt das. So können nur Menschen schauen, die die Liebe in sich tragen. Sie sind ein guter Mensch. Ich danke Ihnen. Und auch Ihnen, Jonathan. Sagen Sie mir nichts mehr über sich. Ich fühle es: Sie sind beide gute Menschen. Bitte besuchen Sie uns, hier, in dieser schönen Klinik wieder, wenn Stella erwacht ist. Und in New York. Wir brauchen Sie. Besonders Stella. Ich bestehe darauf. «

      Wortlos gingen die zwei Freunde aus dem Zimmer. Franco warf noch einen schüchternen Blick auf seine große Liebe, die völlig friedlich in ihrem großen Bett lag. Es war ein Blick, wie von den Engeln im Zimmer, die sie beschützten. Um ihre vollen, sinnlichen Lippen lag ein zartes, entspanntes Lächeln, ihre goldgrünen Augen richtete sie unverändert, teilnahmslos, an die Decke.

      Engel behüteten Stella.

      V

      Ein seltsamer Typ, FB, ein Genie! Träume für eine bessere

      Zukunft, was ist DAR-AL-HIKMAT (?) – und die Wahrheit

      über die kosmische Bedeutung der Zahl 666.

      Eh, Alter. Sag ich dir. War ‘n endgeiler Trip. Echt. Sechzig Stunden Surfen und Ficken! Wir haben sie alle gefickt. Nichts mehr drin. Leergepumpt. Aus. Vorbei. Wenn die ihre Mühlen anwerfen, haben sie nur noch Schwänze auf dem Screen. In jeder Größe. Mit Zoom, ohne Zoom. In jeder Farbe. Die können machen, was sie wollen. Und jede Menge interaktiver Samen. Zum Abwinken. Und wenn ich dir sage, wen wir alles getroffen haben, Alter, willste nich glauben, kannste mir glauben. Alter, eh!«

      Franco war noch in der gleichen Nacht mit dem Intercity nach Frankfurt am Main gefahren. Jonathan hatte er in Dresden gelassen, in der Nähe von Stella. Der hielt die Verbindung, sollte täglich mehrfach selbst in der Klinik vorbeischauen, die Security-Leute überprüfen, die er engagiert hatte, um Stella gegen jede Art von Angriff gegen außen zu schützen, regelmäßig mit dem zuständigen Arzt telefonieren und ihm stündlich Berichte über den Gesundheitszustand der Sängerin geben. Franco hatte das alles nach seinem Besuch in der Privatklinik geregelt, mit den behandelnden Ärzten besprochen, großzügig genügend Geld überwiesen, eine Spende an die Klinik; auch für die Hinterbliebenen der fünf jungen Mädchen, die in Ausübung ihres Überwachungsauftrages des Stars auf derart grausame Weise ums Leben gekommen waren und die Familien der Sicherheitsleute.

      Aber er konnte unmöglich in dieser Umgebung bleiben, zu tief waren seine seelischen Verletzungen. Er fühlte, dass er abtauchen müsste. Wie, wohin, mit wem – egal. Nur weg. So schnell es ihm möglich sein würde. Sein analytischer Verstand ließ ihn, Gott sei’s gedankt, in den schweren Stunden nicht im Stich und so arbeitete er die Dinge ab, die getan werden mussten. Automatisch, sachlich-nüchtern, unpersönlich. Ja, das merkte er. Er hätte mehr Gefühle zeigen müssen. Auch den Mädchen gegenüber und deren Angehörigen, Freunden; den beiden Security-Männern und ihren Familien. Der zweite war seinen schweren Verletzungen ebenfalls vor wenigen Stunden erlegen. Aber Franco konnte nicht. Seine Aufnahmefähigkeit für Schmerz war längst überschritten. Es schaltete sich ein von seinen Gefühlen nicht steuerbarer Selbsterhaltungsmechanismus des Körpers ein, eine Überlebensmaschine, die er am liebsten abgewürgt hätte. Denn er fühlte sich als Versager.

      Machte Überleben Sinn?

      Das Leben, das er seit nunmehr 438 Tagen führte, war im Grunde genommen kein lebenswertes Leben gewesen. Franco Mignello rannte einem, zugegebenermaßen äußerst attraktiven, Phantom hinterher.

      Stella Henderson.

      Der ultimative Rockstar des neuen Millenniums.

      Und ausgerechnet von dieser Frau verlangte er, dass sie sich in ihn verlieben könnte. Müsste! Die von seiner Existenz so gut wie nichts wusste. Von der nur Sekunden dauernden Begegnung nach dem Mordanschlag auf sie einmal abgesehen. Den Besuch in der Klinik hatte sie vermutlich nicht registriert ... Und er war zu feige, ihr seine Liebe zu offenbaren. Die mindeste Voraussetzung dafür, dass Stella sich zu seiner Liebe hätte äußern können. Wenn sie denn wollte. Seit vierhundertachtunddreißig