Wo der Hund begraben liegt. Pavel Kohout. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Pavel Kohout
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711461457
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«daß ein Dackel je eine derart hohe Wertung erreicht hätte. Wie er vom Ufer stahlhart nach einer Ente springt und ihr unter der Oberfläche nachstößt, das muß man gesehen haben! Mit enormer Präzision verfolgt er die Hasenspur, die Spur des Herrn mit der Bestnote 4, ein Unikat eben!»

      «Und wie viele Käufer sich melden, selbstverständlich mich eingeschlossen!» unterstrich dein Als-ob-Besitzer und fügte eilig hinzu, «ich weiß, er ist nicht zu verkaufen! Als Edi an den Tisch der Schiedsrichter herantrat, nahm der Beifall kein Ende. Das ist, meine Herrschaften, ein Arbeiter!»

      Als wir dich endgültig aus Písek abholten – wir feierten das im dortigen Grandhotel mit deinen Pflegeeltern fast wie eine Promotion –, hast du gleich am ersten Abend in Sázava einen Fasan verjagt, der in unserer Hecke wohnte. Er rettete im wahrsten Sinne des Wortes das nackte Leben, ließ dort, der Arme, den größten Teil des Gefieders, wie er sich durch die Zweige weg von deinen Fletschzähnen drängte. Am nächsten Tag fiel Zet in Ohnmacht, als du uns drei tote Hasenjunge auf die Schwelle legtest. Es dauerte lange, bis sie in ihrem sonst so klugen Kopf damit zurechtkam, daß du eben doch ein Dackel bist und bleibst.

      Mir, obwohl ein harter Mann, kam das nicht fröhlicher vor, doch sah ich darin mit ein wenig Phantasie dein Bemühen, uns zu beweisen, daß wir das Schulgeld für dich nicht vergeblich hinausgeworfen hatten. In tiefster Seele zitterten wir trotzdem beide, Zet und ich, wie es wohl am 6. Oktober bei der alljährlichen Nationalen Musterung ausgehen würde. Dabei wurden äußerst streng Hunde für die Zucht ausgewählt, eine Prüfung ähnlich der Approbation. Bis zu dieser Zeit warst du bei uns eigentlich in Ferien, du gehörtest auf dem Papier und sicher auch mit einem Stück deiner Seele immer noch deinem Pygmalion aus Písek.

      Am Dienstag, dem 20. August, kam im Rahmen des andauernden Zaubererfestivals des vielmächtigen Dr. Černý der stern-Redakteur Nick Barkow nach Sázava. Er erhielt ein Visum, und niemand belästigte ihn, obwohl er mir seinen Besuch telephonisch und telegraphisch angekündigt hatte. Er übermittelte mir die offizielle Entschuldigung des stellvertretenden Chefredakteurs Schuller samt Versprechen, der stern werde mein Dementi, das ich ihm gleich übergab, in vollem Wortlaut veröffentlichen.

      Seinen Kollegen Peter Grubbe bagatellisierte er als einen unbedeutenden Mitarbeiter, aus dessen Unseriosität praktische Konsequenzen gezogen würden. Ich werde mich an diese leeren Worte im Jahre 1979 erinnern, wenn Grubbe sich zum zweiten Mal in meinem Leben einschreibt, diesmal in noch viel gefährlicherer Weise.

      Meine Berichtigung erschien in der nächsten Nummer. Ein paar Minuten, nachdem ich einmal mehr auf dem Hradschin angekommen war, kam ein Anruf vom Dr. Černý. Eine erstaunliche Intuition! Er wollte wissen, wann ich denn nun führe.

      «Sobald meine Frau zurückkommt», antwortete ich.

      «Und wo ist sie ...?» fragte er, tatsächlich begriffsstutzig.

      «Noch ist sie nirgendwo, sie wird erst. Ich gedenke, sie nach Österreich, nach Deutschland und in die Schweiz zu schicken, damit sie sich umschaut, was für Überraschungen mich dort noch erwarten könnten. Wenn alles in Ordnung ist, werden wir beide Anfang Januar starten.»

      Erstaunte Stille im Hörer.

      «Hallo», sagte ich, «ich hoffe, daß keine Einwände gegen ihre Reise bestehen?»

      «Dafür ist allein die Paßbehörde zuständig», verwahrte er sich angewidert.

      «Bei der ist sie auch gerade heute vorstellig geworden», beruhigte ich ihn. «Sie hat dabei Sie als Zeuge dafür angeführt, daß der Antrag begründet ist.»

      21

      Europa und Böhmen, Herbst 1974

      Anfang September sah Zet die österreichische Premiere meines Stücks Armer Mörder in Wien. Mitte Oktober sah sie sich mehrere leere Wohnungen in Hamburg an, bis es ihr mit unserem sprichwörtlichen Wohnungsglück gelang, die richtige in der malerischen Milchstraße an der Alster zu finden, von wo man mit dem Boot ins Theater fahren konnte; sie sollte unser sein, wenn wir sie bis zum 31. Dezember mieteten. Und Hundehalten war erlaubt! Ende September meldete sich Zet schon aus Luzern, wo sie über die Einzelheiten der Uraufführung von Roulette für den nächsten Sommer verhandelte. Es war wie ein Traum aus einem anderen Jahrhundert.

      Auch zu Hause lebten wir inzwischen wie in guten alten Zeiten, wir wurden so gut wie nicht festgenommen, fast jeder der Verbotenen holte zweiten Atem und schrieb mit voller Kraft. Der literarische Salon hatte ausgedient, weil er akustisch nur kleine Ausschnitte der neuen Arbeiten vermitteln konnte, unter denen sich umfangreiche Romane von Hrabal, Klíma, Šotola, Kliment und Gruša befanden. In dem Bedürfnis, das alles in Ruhe selber lesen zu können, fertigte sich einer der verfemten Autoren mit der Erlaubnis anderer von einigen Manuskripten Schreibmaschinenabschriften an.

      Um die Kosten zu senken und weil es eine Sünde gewesen wäre, es nicht zu tun, bot er den nächsten Schriftsteller-Freunden Durchschläge an; eine ordentliche Schreibmaschine schaffte bis zu sechzehn. Die ersten «Ausgaben» zeichnete er auf einem selbstgemalten Neujahrsgruß hinter Schloß und Riegel. Die Edice Petlice, also Edition Schloß und Riegel, war geboren, höchstwahrscheinlich Europas bedeutendste verlegerische Tat der siebziger Jahre.

      Ohne Redaktion und Administration, ohne feste Adresse und Distribution, ohne moderne Technik, selbstverständlich auch ohne Autorenhonorar begann eine seltsame Einrichtung zu funktionieren, die bald zum alternativen Großverlag avancierte. Dieser paßte in eine Aktentasche, unter deren Gewicht ihr Besitzer mehr und mehr stöhnte, der Vater und Sklave all dessen, Ludvík Vaculík.

      Ein stattlicher Fünfziger mit dicker Brille und einem mächtigen Schnauzer, Walachenjunge aus Mähren, Lehrling in Baťas Schuhfabrik, Kommunist der ersten Stunde, Student, Erzieher, Redakteur im Rundfunk und endlich in Literární Noviny, der berühmten Wochenzeitung, die im Jahre 1968 auch dank seiner Beiträge eine Auflage von über 300000 erreichte, kam er gleich mit zwei Paukenschlägen in die zukünftigen Lesebücher: im Jahre 1966 mit dem autobiographischen Roman Das Beil über den tödlichen Schock, der den ideellen Altkommunisten durch die blutige Realisierung ihres Traumes in Form der Terrorprozesse versetzt wurde, und ein Jahr später mit der Rede auf dem IV. Schriftstellerkongreß, der den Prager Frühling mit eingeleitet hat. Der endete eigentlich mit dem Manifest der 2000 Worte, das wiederum Vaculík im Namen einer Gruppe von Wissenschaftlern formuliert hatte.

      Der skrupellose Moralist, der aufhörte, taktische Gesichtspunkte in der Politik, Literatur und auch in der Liebe anzuerkennen, koste es, was es wolle, schrieb sich zum großen Stilisten empor. Seien es Zeitreportagen, sei es der zweite Roman Meerschweinchen, seien es die späteren kurzen Feuilletons, die er ein Jahrzehnt lang mit der Regelmäßigkeit des Vollmonds schreiben wird, sie alle gehören zu den eindringlichsten, geistvollsten und sprachlich ausgefeiltesten Texten, die in der tschechischen Sprache je geschrieben worden sind.

      Dieser bemerkenswerte Mann, ständig von eigenen persönlichen, bürgerlichen und schöpferischen Stürmen hin- und hergeschleudert, im Nu gesellig und wieder verschlossen, konzentriert und zerstreut, bezaubernd und widerwärtig, liebenswürdig und rauh, kompakt und gespalten wie nur wenige große Persönlichkeiten, denen ich begegnet bin, wurde für Jahre freiwillig und ohne Bezahlung zum öffentlichen Dienstboten der tschechischen Literatur.

      Diener seiner ebenso verbotenen Kollegen, deren neue Werke er abschreiben, zuerst nur broschieren, später dann – damit auch ihr Äußeres der Bedeutung entspreche – binden und schließlich sogar mit Originalillustrationen der besten verbotenen Graphiker schmücken ließ, doch ebenso auch Diener des ständig wachsenden Abnehmerkreises, dem er neue Bände in seiner schweren Tasche bis in die Wohnung zustellte und bei denen er meist lange die Schulden eintrieb: den Beitrag für Papier, Farbbänder, Kohlepapier, das Abtippen und das Binden.

      Dank seiner furchtlosen Unermüdlichkeit wuchs der Akt geistiger Selbstverteidigung einer kleinen Gruppe zu einer nationalen Institution heran. Er versetzte der Macht einen Schock im kulturellen Bereich, von dem sie sich eigentlich nie erholt hat: Sie fand nicht einmal einen Paragraphen dagegen. Weil es nicht um Pamphlete ging, sondern nachweislich um Kunstwerke, von denen so manches bald darauf im Ausland