Daß auf diese durchschnittliche Provinz-Tante in der Metropole mehr gehört wurde als auf einen ihrer besten und beliebtesten Künstler, glich einem Schlechtwetterleuchten in der Ferne. Unmittelbar darauf donnerte es auch schon in Prag. Unerwartet glatt verlor ich den Gerichtsstreit mit der Staatsbank, die angefangen hatte, meine Honorare im Sinne der geheimen und daher gesetzwidrigen Anweisung des Finanzministeriums fast auf Null zu rupfen.
Ich hatte auch früher alle meine Gerichtsstreitigkeiten schon immer im voraus verloren. Ich führte sie weniger, um mir den Rechtsweg zu der Fata Morgana späterer Rehabilitationen offenzuhalten, als vielmehr aus Neugier und Dickköpfigkeit, ähnlich dem Streit um meine Hauptmannssterne. Mit den armen Rechtsvertretern schloß ich ein unübliches Abkommen: Wenn ich irgendeinmal doch gewinnen sollte, würden sie es sein, die eine gute Flasche spendierten.
Sonst sollte ich es tun, und ich tat es immer, weil wir nie gewannen. Ich verbeugte mich vor dem Mut, daß sie es überhaupt wagten, mich zu vertreten: Sie riskierten ihren Ruf und die Lizenz. Neu war, daß sich der Richter diesmal nicht einmal mehr um den Anschein einer juristischen Konstruktion bemühte. Obwohl ich ihm Dank des wagemutigen Informanten die geheimen, diskriminierenden Dokumente in Abschrift und samt Amtsnummern auf den Tisch legen konnte, kodifizierte er mit seinem schnellen Urteil hemmungslos die Existenz einer Gruppe Rechtloser. Nach langer Zeit verschlug es mir wieder den Atem.
«Ich bin als Bürger hergekommen», sagte ich ihm nach der Verkündung, «und gehe als Neger weg.»
«Das ist eine Beleidigung des Gerichts!» schrie er hinter mir her, «ich werde daraus Konsequenzen ziehen!»
Wahrscheinlich hat ihm das jemand ausgeredet, denn die Lockversuche gingen ungestört weiter. Als ich es schon nicht mehr erwartete, wurde das ausgeklügelte Spiel von der Dilia verdorben. Nachdem Eric Spiess am 19. Dezember angekommen war, warteten wir stundenlang am Telephon, daß uns die Agenturleitung den Termin für ein Zusammentreffen nannte. Am Tag darauf, unserem Stichtag, wurde mir nach meinem dritten Anruf kurz und bündig mitgeteilt, sie wüßten nicht, worüber sie mit uns verhandeln sollten.
Streng juristisch bedeutete das: Wenn ich in Hamburg im Sinne des Vertrags mit dem Ernst-Deutsch-Theater mein erstes Stück inszenierte, könnte die Staatsagentur eine Anzeige erstatten, ich hätte damit gegen ihr Monopol verstoßen und somit auch gegen das Devisengesetz. Das würde eine Reihe von Maßnahmen erlauben, von der Aberkennung der Staatsbürgerschaft bis zur Verurteilung und der Beschlagnahme des Eigentums.
Das ständige Aufschieben, Verhandeln, Warten, die fast übergeschnappte Vorsicht – alles hatte sich also ausgezahlt. Wir erwischten sie buchstäblich eine Minute vor zwölf. Ich führte das knappe Schlüsselgespräch aus der schimmeligen und stinkenden Telephonkabine im Flur des Klosterrestaurants. Jahrzehntelang schon hatte ich von hier Unwichtiges und Erhabenes gefragt, besprochen und verabredet: wie wessen Zeugnis war, was wem welcher Arzt gesagt hatte, wo ich wen wann treffen könne, was ich wofür bekomme, wann ich zu wem kommen solle, wenn jemand anderer gerade nicht dort war, und wie lange ich bleiben dürfe, bevor er wieder zurückkomme, damit er mich dort nicht erwische.
Mir schien dieses kurze Gespräch zu den wichtigsten meines Lebens zu gehören. Ich zündete mir eine Zigarette an und rauchte gierig, bis mir in der engen Zelle die Augen zu tränen anfingen. Sie tränten dann auch die ganze Weihnachtszeit über: Noch vor Neujahr sollte ich denn auch meine allererste Dioptrie erhalten. Jetzt wischte ich die roten Augen mit dem Taschentuch ab, kehrte in den Speisesaal zurück, wo Zet und mein Verleger warteten, und sagte nur:
«Abgeblasen.»
«Tut es dir so leid?» fragte Zet überrascht, als sie meine Augen sah.
Ich weinte weiter und lachte dabei. Es war verrückt, mir entrann die Welt, das Theater ins Unerreichbare, und doch kehrten Ruhe und Gelassenheit in meine Seele zurück. Gerade hatte ich erkannt, warum so viele Leute die bloße Vorstellung der Emigration schreckt: Man gewöhnt sich auch im Schatten des Galgens, weil man ihn kennt und die Sprache der Henker versteht.
Ich rief sofort die Nummer an, die mir Dr. Černý einmal gegeben hatte, falls ich ihn dringend brauchen sollte. Ich war froh, daß er sich nicht selbst meldete und hinterließ ihm bei irgendeinem Diensthabenden die Nachricht, die Dilia habe meine Reise schlicht unmöglich gemacht. Dann fuhren wir an die Sázava. Den Kamin anheizen, eine besonders gute Flasche öffnen. Die gestorbene Chance bedauern. Und den Verbleib im vertrauten Käfig feiern.
Daß Dr. Černý unverzüglich aufzutreiben war und schon am Samstag die Dilia zu der dringenden Bitte um ein sonntägliches Zusammentreffen gedrängt hatte, zeugte von einem Erdbeben höheren Grades. Im Parkhotel erschienen am Sonntag vormittag sogar zwei Vertreter der schuldbewußten Agentur und benahmen sich kulant wie zu Zeiten, als ich ihr Paradepferd war, das sie stolz auf Rennen in ganz Europa begleiteten.
Um nicht vielleicht doch in Versuchung zu geraten, hatte ich meine definitive Absage Friedrich Schütter nach Hamburg noch am Freitag mitgeteilt. Er gab sie sogleich an die Presse weiter. Jetzt blieb ich dabei: ein Mann – ein Wort.
Und so blieb von der ganzen Reise, an die wir acht Monate Energie verschwendeten, um acht Monate Ruhe zu gewinnen, nur das Neujahrsphoto übrig, auf dem Zet herausfordernd nach dem Wegweiser gen Westen blickt, während ich beharrlich ins Landesinnere zeige, was sich diesmal als weitblickender erwies.
25
Böhmen, Winter 1974/75
Es kam das neue Jahr, und mit ihm der alte Dreck. Friedrich Schütter hatte statt meiner einen anderen Regisseur engagiert. Die Reise war vergessen, die Schonzeit zu Ende. Die Bemühungen der staatlichen Agentur erloschen so plötzlich, wie sie aufgeflammt waren. Der verschmähte Dr. Černý schwieg. Für uns begannen die alltäglichen Probleme. Für zweifelhafte Abwechslung sorgten ab und zu nichtalltägliche Variationen, die zumindest die stumpfsinnigen Belästigungen um frische Farben und Töne bereicherten.
Antipoden zu all denen, die trotz polizeilichen Verbots und Überwachung versuchten, uns im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu helfen, waren die menschlichen Ratten. Aus scheinbaren Wohltätern, die verbotene Übersetzer, Dramatiker und Drehbuchautoren unter ihrem eigenen Namen publizieren ließen – zu dieser Zeit war es ein beliebtes Spiel zu raten, wer der wirkliche Autor dessen war, womit sich Zelenkas Fernsehen in seiner Not schmückte –, wurden immer deutlicher moderne Sklavenhändler, die sich außer dem ungeteilten Ruhm auch mehr und mehr vom Honorar ihrer Schützlinge aneigneten.
Wieder einmal bescherte mir mein komödiantisches Schicksal die kurioseste Geschichte, als sollte ich dafür sorgen, daß ihr Protagonist nicht in Vergessenheit geriet. Seinetwegen ging ich am 6. Januar zu meinem Rechtsanwalt in der Hybernská-Gasse, um dort nach Jahren den einst erfolglosen Dramatiker und jetzt erfolgreichen Dramaturgen des Slowakischen Fernsehens in Bratislava wiederzusehen, Rudo Kazík.
Zum ersten Mal kreuzten sich unsere Wege im Jahre 1957, kurz nachdem ich für das Prager «Weinberger-Theater», dessen Hausautor ich war, Davnym Davno, ein Stück in Versen von dem sowjetischen Autor Gladkov, gründlich überarbeitet hatte; den Urtitel könnte man am ehesten mit dem märchenhaften «Es war einmal» übersetzen. Den Umfang der Bearbeitung, die sogar eine Genre-Änderung zur Folge hatte, sollte mein neuer Titel Eine ewig junge Geschichte sichtbar machen. Die weiblichen Hauptrollen spielten die damals noch hübsche und vielversprechende Jiřina Švorcová und die damals wie heute schöne und hervorragende Vlasta Chramostová.
Kurz darauf führte die «Neue Bühne» in Bratislava in angeblich eigener Übersetzung und Bearbeitung des slowakischen Kollegen Rudo Kazík das gleiche Stück auf. Weil dessen Schöpfung auch Eine ewig junge Geschichte hieß, interessierte mich das. Der slowakische Text, den mir die gleiche Dilia damals sehr bereitwillig besorgte, überraschte mich noch mehr.
Übereinstimmend hatten wir, Kazík und ich, dieselben zwei von acht Offizieren gestrichen, damit die übrigen an Profil gewannen, übereinstimmend ließen wir von fünf adligen Cousinen bloß drei übrig, und übereinstimmend gaben wir ihnen die neuen Namen Lili, Mimi und Sissi. Das Feuerwerk der Wunder fand seinen Höhepunkt darin, daß wir übereinstimmend