Wo der Hund begraben liegt. Pavel Kohout. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Pavel Kohout
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711461457
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daß für uns und alle zukünftigen Gourmets die drei erfolgreichsten Rezepte festgehalten werden:

      Pfarrerkoteletts (Zet): In die gefettete, mit geriebenem Hartkäse ausgelegte Pfanne werden vorgebratene Schweinekoteletts gelegt, darauf Zwiebelringe, wieder Reibkäse und Butterflocken; alles mit einem Viertelliter Weißwein übergießen und im Backofen zu einer dicken Sauce backen, etwa 20 Minuten. Als Beilage rohe Kartoffeln, in nicht zu dünne Scheiben geschnitten und auf beiden Seiten gefettet; kommen gleichzeitig mit den Koteletts auf ein Blech in den Backofen; einmal wenden.

      Schnitzel à la Berry (Havel): Kurz angebratene Kalb- oder Schweinefleischscheiben werden in eine Bratpfanne gelegt. In einer zweiten Pfanne werden geschnittener Schinken, Champignons und geschmorte Zwiebel mit Mehl bestreut, mit kalter Milch übergossen und gegart. Alles zusammen 20 Minuten lang backen und mit kalter süßer Sahne und Bratkartoffeln oder Kartoffelauflauf servieren.

      Linsen mit Reis (ich): In zwei Töpfen werden Reis und nicht eingeweichte Linsen gesondert etwa 25 Minuten in 2½ Teilen Wasser gekocht, bis sie weich sind, auf einem Teller nebeneinander angerichtet und kräftig bestreut mit gerösteten Zwiebeln samt Schmalz und Grieben – es gibt nie genug davon! Zu dem Ostrauer Essen der armen Ureltern fügten meine besser situierten Eltern Spiegeleier hinzu, der Enkel-Dramatiker dann «kanadische Rose», wie in Böhmen eine angeschnittene und gebratene Speckwurst heißt, mit süßsauren Gurken garniert und mit süßem Senf bestrichen.

      Hinter all diesen Vergnügungen aber tickte der Wecker des Dr. Černý unablässig weiter. Vorgeladen, um den Stand der Vorbereitungen zu erläutern, handelte ich mir eine Rüge des ungeduldigen Daněk ein.

      «Was erlauben Sie sich! Wir geben Ihnen einen Paß, und Sie machen damit Ausflüge!»

      «Wenn ich nach Hamburg reisen soll, ohne daß ich nach Budapest fahren darf, dann ist das die Fortsetzung der Diskriminierung, und wir können alles abblasen!» konterte ich.

      Dr. Černý beeilte sich, mir recht zu geben. Er tat alles, damit ich den ursprünglichen Antrittstermin zum 1. August einhielt. Das alarmierte mich natürlich. Von Budapest aus hatte ich mit dem Theater telefonisch vereinbart, ich werde mich erst bis zum 1. Januar 1975 entscheiden: Ich wollte dem Zeitdruck entgehen und hatte gut daran getan. Unmittelbar vor dem ursprünglichen Termin, dem 1. August dieses Jahres, spielte sich etwas Seltsames ab.

      Der Redakteur Peter Grubbe vom Hamburger stern, der mich im Februar besucht hatte, um mit mir für die Serie Dichter suchen ihre Paradiese eine Reportage über Südböhmen zu vereinbaren, veröffentlichte plötzlich unter dem emphatischen Titel Ich kenne alle Schleichwege ein Gespräch mit mir. Ich prahlte darin wie ein vollkommener Idiot, wie ich im Falle einer Ausbürgerung heimlich über die Grenze zurückkehren würde.

      Seit dem Jahre 1963, als ich anfing, für westeuropäische Medien Interviews zu geben, hielt ich mich an ein strenges Gebot: Es darf nicht ein einziges Wort gedruckt erscheinen, dem ich nicht zugestimmt habe. Diese Fälschung war umso unerhörter, als ich Grubbe ein politisches Interview ausdrücklich verweigert hatte.

      Seines war von der Art, daß es zur Aberkennung der Staatsbürgerschaft gereicht hätte und außerdem dazu, mich zu blamieren, wäre ich schon, wie anfangs geplant, im Westen gewesen. Doch ich saß vorausschauend in Prag und teilte dem stern wie auch Dr. Černý mit, daß ich mich von hier nicht wegrühren würde, solange dieser Vorfall nicht aufgeklärt wäre.

      Ich konnte mir gut vorstellen, wie sowohl hier wie dort jemandem der Kopf gewaschen wurde. Wir vier – Menschen wie Tiere – genossen weiterhin den gnadenvollen Sommer.

      20

      Böhmen, immer noch Sommer 1974

      Ich blättere in dem Teil der Geschichte, der schon aufgezeichnet ist. Wieviel wertvoller Platz für zweifelhafte Gestalten, die nicht einen schmutzigen Heller wert sind! Wie wenig Platz für dich, Edeldackel!

      Darsteller der Titelrolle – und bisher nur in Episoden aufgetreten, nur gemeine Handlungen einrahmend, die bloß Böses, Dummes und Unfruchtbares erzeugten. Doch wie aus unserer unerschütterlichen Lust zu leben neben den Blumen des Bösen menschliche Freuden und Werke der Kunst entstanden, so ging auch ohne Rücksicht auf die Normalisierung, auf die Große Oktoberrevolution, ja sogar die Große Französische Revolution und alle Großen und Größten Revolutionen davor, der Flug der Vögel, das Summen der Bienen und auch dein Dackelleben weiter, einzig und unwiederholbar.

      Du hattest schon drei Neujahrsgrüße mitgestaltet, und gleich der erste, auf dem du aus dem alten russischen Grammophontrichter in unser Schicksal krochst, begründete deine Berühmtheit und eine Tradition. Als wir uns jetzt den Kopf zu zerbrechen begannen, was für ein aussagekräftiges Bild wir für den pour-féliciter-Gruß 1975 kreieren könnten, fiel uns ein, daß du in jenem Jahr die Volljährigkeit erreichen würdest: Im Oktober solltest du nach dem bekannten Koeffizienten einundzwanzig Menschenjahre alt werden. Uns überfiel Verantwortung.

      Auch Hunde legen schon im zarten Alter Rechenschaft über ihren Charakter ab. Du hattest einen ungewohnt harmonischen, warst Spieler und Wilderer zugleich, Charmeur und dickköpfiger Einsiedler – dies als genetische Saat der Überlebenskämpfe, die dein Stamm, in den anglosächsischen Urwäldern gemischt, jahrhundertelang für sich und uns, seine Herren, bestreiten muß! Soweit ich weiß, warst du der einzige Hund, der je bei dem unzugänglichen Philosophen Kosík übernachten durfte, und auch der einzige, den die nervöse Malerin Jiřina zu sich einzuladen pflegte, die Frau Alexanders, des mir liebsten Schriftstellerkollegen. Fachleute bemerkten, daß sich hier eine bedeutende Hundepersönlichkeit abzeichnete und nahmen es uns sehr übel, daß wir uns bisher nicht darum gekümmert hatten, wie du anerkannte Nachkommen zeugen könntest.

      Doch in der Ära des Doktor Husák genügte nicht einmal für einen Hund Talent vom Herrgott:

      «Die Kaderbeurteilung schreibt sich jeder selbst!» schwor der Erste Normalisator in den Antrittstagen. Ihm gelang es nicht nur – nach dem mittelalterlichen Jesuitenzensor Koniáš –, die tschechische Nationalkultur am gründlichsten zu zerstören, sondern auch dies, daß sich während seiner Regierung nicht einmal ein Rassehund standesgemäß vermehren durfte. Die Genehmigung zum Decken konnte nur der Zuchtverein erteilen; weil der aber dem Verband für zivile Zusammenarbeit mit der Armee angegliedert wurde, einer Teilorganisation der Nationalen Front, genehmigte er keinem der erklärten politischen Feinde die Mitgliedschaft.

      Dein Glück war es, daß sich ein gewisser Ing. Čech aus der südböhmischen Stadt Písek auf den ersten Blick in dich verliebte, mit der letzten Leidenschaft eines Mannes, der den größten Teil seiner fünfundsiebzig Jahre Pferden und Hunden gewidmet hatte. Dieser vitale Rübezahl fand eine tschechische Lösung: Er hat dich einfach zum Schein von mir gekauft und dich unter seinem politisch unbescholtenen Namen in ein paar Monaten zu einem Dackel-Akademiker erzogen.

      «Hochverehrte Frau», schrieb er in einem Brief vom 18. April 1974 altmodisch an Zet, wie vor hundert Jahren die Pädagogen des dortigen hochberühmten Gymnasiums den Müttern ihrer Pfleglinge, «ich hatte hundertprozentig recht! Er ist flink auf der Spur und im Blick, meldet wie der Teufel und verfolgt blitzschnell, fast schon zu ausdauernd!» Später dachten wir oft gerade an dieses Lob, wenn wir stundenlang auf deine Rückkehr von deinen Vagabundagen warteten.

      «Die gestrige Prüfung ‹auf den Kater›», teilte der Hundepädagoge zu unserem Entsetzen in seinem Brief vom 23. April mit, «ist hervorragend ausgegangen, beinah hätte er ihn im Käfig am Arsch gepackt und denselben zerrissen!». Am 5. Mai hast du in Budweis die Frühjahrsprüfung bestanden und 182 von 184 möglichen Punkten bekommen. «Ein Hund mit ausgezeichneten Eigenschaften, ausgezeichnet erzogen und geführt», bemerkten die Richter. Am 15. Juni hast du in Prachatice die Prüfung «aus Fuchs und Dachs» schon mit der vollen Punktzahl von 68 abgelegt: «Er fährt scharf in den Bau, meldet ausdauernd, nach dem Entfernen des Schubers drückt er den Schädling in den dritten Kessel und bedrängt ihn dicht auf, bis zum Ablauf der Zeit», lautete schwarz auf weiß das Urteil der Schiedsrichter. Wir wußten nicht, was genau damit gemeint war, doch lasen wir Respekt heraus.

      Bei den Herbstprüfungen in Dynín am 25. August hast du souverän bei den kleinen