Wo der Hund begraben liegt. Pavel Kohout. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Pavel Kohout
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711461457
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daß Sie einmal unser geheimer V-Mann waren?»

      In diesem Augenblick stand ich auf, nahm meine Jagdtasche mit Lektüre, Äpfeln und Utensilien, und schritt zu der Tür.

      «Ich bin mit Ihnen noch nicht zu Ende!» brüllte Doktor Černý, doch fehlte ihm schon die rechte Glut.

      «Aber ich mit Ihnen», sagte ich, «entweder nehmen Sie diese Ungeheuerlichkeit augenblicklich zurück, oder Sie hören nie mehr auch nur ein Wort von mir!»

      17

      Prag, immer noch Frühling 1974

      Der absurden Komödie Zweiter Teil übertraf die großen Meister. Obwohl seit meinem deutlichen Entweder-Oder schon gut zehn Minuten vergangen waren, obwohl wir alle drei nach wie vor standen, gelang es Doktor Černý und seinem Daněk beinahe mit Erfolg vorzutäuschen, es sei überhaupt nichts passiert. Ununterbrochen redeten sie, fielen einer dem anderen ins Wort, so daß die Szene den Eindruck erweckte, hier fände wirklich ein Gespräch statt.

      Inhalt und Ton hatten sich dabei total verändert. Aus dem Wasserfall von Wörtern waren Beleidigungen aller Art verschwunden, die Höhe der Stimmen war auf das Niveau der Geräuschkulisse eines Kaffeehauses abgesunken, plötzlich klangen sie beinahe menschlich, so daß des Häuptlings angenehme Baritonfärbung zum Ausdruck kam. Sie führten eine intensive Diskussion über das aktuelle Gebot unserer gemeinsamen Heimat, die Traumata der letzten Jahre zu überwinden und auch diejenigen mit einzuspannen, die immer noch nicht an die Aufrichtigkeit und guten Absichten der neuen Führung glaubten.

      Die Besonderheit der Situation, daß ich schon minutenlang unbeweglich auf die glänzende Oberfläche des Konferenztisches starrte, zwang die beiden, einander rhetorische Fragen zu stellen und sie sogleich selbst zu beantworten. Das beabsichtigte Genre des bedrohlichen politischen Dramas sank so auf die Ebene einer Boulevardkomödie herab. Als ob zwei Angestellte eines Freudenhauses sich gegenseitig den Katechismus abfragten.

      Wer es nicht aushielt, war Doktor Černý. Als ob er gerade jetzt erst mein Schweigen bemerkte, fragte er plötzlich:

      «Fehlt Ihnen was?»

      Ich reagierte nicht.

      «Na, na ...!» wunderte er sich fast gekränkt, «Sie wollen nicht mehr mit uns sprechen, oder?»

      Ich zuckte mit keinem Lid.

      «Wenn ich eine andere Meinung habe, dann fürchte ich mich nicht, sie offenzulegen!» Er stellte sich selbst als Musterbeispiel eines Bürgers hin.

      Vergeblich.

      «Also was ist denn das nun für ein Benehmen?» empörte sich mein Altersgenosse, während der junge Mann recht intelligent begriff, es sei für ihn von Vorteil, jetzt den Mund zu halten.

      Der Dramatiker in mir erkannte, daß jetzt eine Replik folgen mußte, wenn nicht die Wirkung ausbleiben sollte, die er die ganze Zeit so mühsam vorbereitet hatte.

      «Wenn von Benehmen die Rede ist, darf ich Sie an meine Forderung erinnern, daß Ihr Mitarbeiter hier sich bei mir entschuldigt und seine erfundene Behauptung zurücknimmt.»

      Der Jüngere nahm das sofort auf.

      «Wollen Sie etwa behaupten, niemals mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet zu haben?»

      «Ich will behaupten, niemals Ihr Konfident gewesen zu sein. Als Leiter eines jugendlichen Gesang- und Tanzensembles mußte ich häufig mit Ihren Organen verhandeln, damit die Kaderflecken gereinigt wurden, derentwegen manche Mitglieder nicht ins Ausland durften. Für etliche habe ich persönlich gebürgt!»

      «Na sehen Sie!» triumphierte er.

      «Von jedem dieser Kontakte habe ich trotz Verbots immer wieder die gesamte Ensembleleitung detailliert informiert. Deshalb fordere ich Sie noch einmal auf, zu widerrufen, daß ich je im Leben für Sie, und noch dazu geheim, gearbeitet hätte!»

      «Das hab’ ich nie behauptet!» Daněk machte einen Rückzieher.

      «Ich dachte, heute würde sich hier endlich einmal jemand Vernünftiger seriös mit meinen Beschwerden auseinandersetzen. Ihr freier Stil, Herr Daněk, hat mich überzeugt, daß ich mich wiederum geirrt habe. Sie haben mir vielleicht vorgeführt, wie Sie andere meiner Kollegen gebrochen haben, aber an mir werden Sie das nicht noch einmal versuchen. Es ist mir nicht egal, ob ich heute oder in fünf Jahren von hier nach Hause zurückkehre, doch lieber bleibe ich hier, als mir so was bieten zu lassen. In Ihrem Stil werde ich keinesfalls weitermachen, und meine nächste Beschwerde richtet sich gegen Sie.»

      Absichtlich redete ich auf den Jüngeren ein. Solange sein Chef sich nicht entschloß, mich hierzubehalten, konnte er den Rückwärtsgang einlegen, ohne das Gesicht zu verlieren. Ich war erleichtert, als er das nutzte.

      «Aber, aber!» sprach er schmeichelnd, als wäre er mein und nicht sein Verbündeter, «das ist doch nur ein Mißverständnis. Wir sind wirklich dazu da, mit Ihnen übereinzukommen, schließlich sprechen wir die ganze Zeit von nichts anderem. Schauen Sie», fuhr er fort, «ich bin eben von Natur aus ein bißchen tempramentvoll und der Genosse hier ist einfach jung, aber Sie sind auch alles andere als eine Mimose, seien Sie doch nicht so zimperlich! Wenn es uns um jemanden von den Künstlern geht, die wegen des unseligen Jahres achtundsechzig in die Bredouille kamen, dann vor allem um Sie!»

      Ich bewunderte seine Fähigkeit, sich einzureden, er habe jahrelang darunter gelitten.

      «Sie selbst», sagte er mit äußerst besorgter Miene, bot mir wieder meinen Stuhl an, und wir alle setzten uns wieder, «Sie selbst weisen unsere Behörden und die ganze Welt immer darauf hin, was für Schwachköpfe in den neuen Schriftstellerverband aufgenommen wurden. Wer aber soll denn für unser Volk schreiben, wenn auch Sie das ablehnen?»

      «Sie würden bestimmt bessere Serien schreiben als dieser Dietl!» fiel Daněk ein und meinte damit den König der tschechischen Fernsehserien, der in seiner Person einen Konsalik, einen Simmel und einen Computer vereinte – und es fertigbrachte, jedes propagandistische Thema fast glaubwürdig auf den Bildschirm zu lügen. Mir fiel auf, daß Daněk selbst sich den Namen jenes Dramatikers auslieh, der so plötzlich seine Unterschrift auf der Petition für die Verhafteten widerrufen hatte. War es ein Zufall oder trug er vielleicht dessen Skalp am Gürtel?

      «Wem soll denn Ihre Haltung nützen?» fragte Doktor Černý besorgt, «für wen tun Sie das? Für Ihre Freunde? Sie haben unlängst bei einem Verhör von sich behauptet, Freunde wären für Sie die Heimat. Also hier sind sie! Sie haben sich beschwert, daß wir mit einigen geredet haben, doch Sie werden uns dankbar sein, wenn Sie das da gelesen haben. Lerne deine Heimat kennen!»

      Als sei ein Stichwort gefallen, öffnete Daněk den Stahlschrank und baute einen Stapel Ordner vor mir auf, so gewaltig, daß die obersten schon wieder herunterrutschten. Wie Muster ohne Wert lagen gleich zwei Protokolle von Zeugenverhören vor mir. Das eine war von Zdenka, der ehemalig kompromißlosen Freundin meiner Zet unterschrieben, das andere von meiner treuen Freundin Martina. Ich mußte nicht den Kopf bewegen, um die ersten Zeilen lesen zu können.

      «Von P. K. hatte ich schon vor Jahren den Eindruck, daß er ein Konjunkturritter ist ... tut mir aufrichtig leid, daß ich mit ihm trotzdem ...»

      Ich schob das von mir weg.

      «Das war vergebliche Mühe, meine Herren. Ich werde niemals lesen, was Sie von meinen Freunden und Bekannten mit Drohungen erpreßt haben. Das käme mir so vor, als ob ich bei einer Vergewaltigung als Voyeur assistierte.»

      Daněk wollte aus der Haut fahren, doch Doktor Černý schnitt ihm das Wort ab. Er bemühte sich krampfhaft, nicht unfreundlich zu sprechen.

      «Sie machen allerdings einen neuen Fehler, doch das ist Ihre Sache. Mir geht es um etwas Wesentlicheres. Wenn das Klima hier im Moment für Sie so unfreundlich ist, wie Sie sich immerzu beschweren, warum gehen Sie nicht für einige Zeit und arbeiten draußen? Angebote haben Sie doch?»

      Ich schaute ihn an.

      «Ich meine – im Ausland.»

      Ich schaute ihn