Im Spukschloss Monbijou. Nataly von Eschstruth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nataly von Eschstruth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711472941
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sprachlos durch das Monokel an, noch markiert er ihm einen Schlaganfall sittlicher und strategischer Entrüstung, er sieht sogar ganz freundlich aus, und während die Gräfin Platz nimmt, flüstert er ihm durch den rechten Mundwinkel zu: „Gott sei Dank, dass Sie als Retter kamen und die Gräfin noch engagierten! Infamer Wirrwarr heut abend! Wer denkt denn, dass die Nichte des Obersten zum Souper noch zu haben ist! — Haben uns famos rausgerissen, Kleiner!“

      Na, da freute sich des Erbonkels Billeken und sah das Leben nicht mehr ganz so verzweifelt düster an wie zuvor, wo er medidierte: „Solch ein Reinfall kann für mich ja nie und nimmer gut enden!“

      Nun sass er an der Seite der Gräfin Plunck und empfand ihre Nähe kaum unangenehm, denn sie nahm keinerlei Notiz von ihm.

      Als die stürmische Fahrt geendet und die junge Dame sich brüsk auf den Stuhl niedergelassen, schwoll sie als Ballon sichtlich ab, denn der Schal sank schlaff an den spitzen kleinen Schultern nieder, dennoch blieb, während der Pilzsuppe in Tassen, noch eine kleine Wurzel der Bitterkeit in seinem Herzen zurück, denn er fühlte sich durch eine aschblonde Dame vergewaltigt, und er liebte nur als Königin und Göttin seines Herzens die Goldblonden, weil diese einen noch sanfteren und anschmiegenderen Charakter garantieren.

      Desdemona war immer blond, und sie sowohl wie Shakespeare waren und blieben nun einmal sein Ideal, sie ein Stück seines Herzens, er ein Stück seiner selbst.

      Rittmeister von Grevenhof hob das Glas ganz riesig nett gegen ihn und trank ihm mit kokett abgespreiztem kleinen Finger zu, — für einen Vorgesetzten eine beachtenswert liebenswürdige Leistung. Gleicherzeit rief man von der Nebentafel Nummer 1 die junge Gräfin an.

      Tante Strombeck hatte daselbst die Lorgnette gehoben und suchte den Saal ab, wo ihre „Kücken“ geblieben seien.

      Ein inniges Hinüber- und Herüberwinken mit der Nichte, Unterlüss fährt zusammen und sitzt einen Augenblick stramm, denn der Herr Oberst geruht ebenfalls von ihm und der jungen Schutzbefohlenen Notiz zu nehmen.

      Er nickt.

      „Haha, Unterlüss!“ — Und dann trinkt er ihm zu.

      Der Oberst hat die Eigenart, joviale Unterhaltungen etwas einseitig zu führen.

      Sieht er einen Kameraden, dessen Existenz er nicht gut ableugnen oder umgehen kann, so nickt er ihm ein paarmal kurz zu, lacht mit breitem Mund „haha!“ und nennt den Namen des Betreffenden.

      Bill Unterlüss seufzte zwar immer noch sehr beklommen, wie dies bei einem Tragöden selbstverständlich ist, aber er sah doch mit Genugtuung, dass seine Tischnachbarin ein anerkennenswert rücksichtsvolles Mädchen war, das ihn nur einmal angeredet und gefragt hatte, ob der Schnellzug nach Leipzig eigentlich um acht Uhr oder acht Uhr fünf Minuten abging.

      Allerdings vollführte sie dieses Attentat auf ihn, als er gerade den Mund voll Kaviarsemmel hatte, die zur Pilzsuppe gehörte. — Er wusste es nicht genau, glaubte aber, es müsse wohl Punkt acht Uhr sein.

      Valeska nickte: „Na ja!“ dann unterhielt sie sich sehr lebhaft des weiteren mit ihrem Gegenüber.

      Der Tragöde hatte vorsichtshalber zwei Kaviarbrötchen genommen, darum konnte er ihr den unterbrochenen Genuss des ersten verzeihen.

      Eigentlich hatte er sich so eine Partie mit Tischdame schlimmer gedacht.

      Der Ballon war ja energisch und hatte ihn rettungslos sogar an die Seite der Erbprinzessin gezerrt, selbst wenn sie hinter der Tapete gesessen hätte, aber wenn er einmal den Faden fest und sicher an den Essstuhl geknüpft hatte, stieg sie höchstens andern Leuten, aber nicht mehr ihm auf das Dach.

      Da kam das Hühnerfrikassee.

      Ein Nahrungsmittel, dem gegenüber Bill Unterlüss sterblich war.

      Da der Rittmeister schon vor ihm genommen hatte und nach ihm nur noch etliche Zivilisten, das heisst ehemalige Regimentskameraden z. D. in Frack mit Ordensbändchen kamen, — so nahm er ordentlich, vier, fünf ... hm ... sechs Löffel voll.

      Man achtet hier nicht so auf ihn wie an der Jugendtafel, wo meist „getobt“ wird, dass man mehr Witze belachen muss als essen kann.

      Ist doch ein ganz nettes Mädchen, dieser Ballon.

      Allerdings, noch ist nicht aller Tage Abend, und er lobt nie einen solchen, ehe nicht das Morgenrot des neuen den Horizont färbt.

      Ein Knall ... ein Krach inmitten des Saales, — ein Klirren, Poltern, eigenartiges Rutschen und Krabbeln ...

      „Donnerwetter!“

      Alles schnellt empor und starrt entsetzt auf die Ordonnanz, die über irgend etwas Glitscheriges auf dem spiegelnden Parkett ausgeglitten ist und sich momentan mit der hochgefüllten Schüssel voll Hühnerfrikassee um die eigene Achse dreht.

      „Infam!“

      „Das nenne ich Pech!“

      „So ein Tolpatsch!“

      „Ach du lieber Augustin — die dritte Tafel darf fasten! —“

      „Oh, oh!“

      „Na, Nachschub holen!“

      „Kann ja passieren!“

      „Hoffentlich ist auf Vorrat gekocht!“

      Der Tragöde hat das Empfinden, als drehe sich die Weltgeschichte im Kreise um ihn her.

      Das Hühnerfrikassee für die dritte Tafel, an der er eigentlich hätte sitzen müssen — hin ... unwiderruflich hin!

      Ist es möglich, dass er, er, Bill Unterlüss, der an keine gütige Fügung in seinem lorbeerarmen Leben mehr glaubt, einen solchen Dusel hat?

      Beinahe ehrfurchtsvoll sieht er seinen gefüllten Teller an.

      Wem verdankt er diesen Hochgenuss, diese Rettung aus Hungersgefahr?

      Savaburg!

      Guter, treuer Kerl! Er hat ihn immer für eine sehr anständige Seele gehalten, mitteilsam und fürsorgend, ohne Arg und Falsch, ein Prachtmensch in der Potenz!

      Allerdings ... wenn der Ballon nicht so wahnsinnig frech hierhergesteuert hätte, so wäre Sigurds freundliche Fürsorge doch gleich dem schönen Frikassee ihm vorüber im Sande verlaufen.

      Gemein! Für jeden Unglücklichen, dessen Leib- und Magenspeise es war wie die seine — ein Schicksalsschlag!

      Und er isst — isst — isst.

      Als er fertig ist, überwältigt ihn die Empfindung.

      Er hebt das Glas und wendet sich unaufgefordert an seine Tischdame.

      „Sie gestatten, gnädigste Gräfin!“ Und als sie nur flüchtig nickt und seine vor Erregung vibrierende Hand scharf mustert, mit den Worten: „Trippen Sie mir bitte nicht auf das Kleid!“, da findet er sie das vernünftigste, umgänglichste Mädchen, das er jemals kennengelernt.

      Ja, er nimmt sich sogar fest vor, ihr nachher bei dem Kotillon einen Strauss zu bringen.

      „Unterlüss!“

      „Herr Rittmeister?“

      „Herr Oberst blicken zu Ihnen herüber!“

      Strombeck hatte gerade gesehen, wie der Tragöde mit wundersam feuchtem Blick, tiefsinnig wie noch nie, seine Nichte angesehen und mit ihr angestossen hatte.

      „Haha! Unterlüss!“

      Bill erhob sich, machte eine kurze, besorgte Schwenkung nach links, um seiner Tischnachbarin die freundliche Sommerseite seiner stattlichen Figur nicht zu entziehen, klappte selbst unter dem Tisch melodisch mit den Tanzsporen und verneigte sich.

      „— — Herr Oberst — — —!“

      An der Tafel Nummer 3 herrschte ein wahres Mosaik von Stimmungen.

      Obenan präsidierte Herr von Savaburg, welcher als Regimentsadjutant der Jugend die Honneurs machte.

      Sehr