Im Spukschloss Monbijou. Nataly von Eschstruth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nataly von Eschstruth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711472941
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freundschaftlichen Spitznamen, und dieser lautete: „Der Tragöde.“

      Das kam so:

      Einmal, an einem Silvesterabend, als der Punsch alle Festteilnehmer zu braven Männern gemacht, hatte er — so sagt man — einer Ordonnanz unter Tränen anvertraut, dass „er verrückter Kerl“ mal ein Drama geschrieben habe — schön wie einen echten Shakespeare, historisch wie Max und Moritz und schwierig darzustellen auf der Bühne, wie einen Kampf zwischen Ichthyosaurus und Lindwurm, die beide als Darsteller nicht mehr aufzutreiben sind.

      Dass das Stück geschrieben war, galt demzufolge als Tatsache, alles nähere „Wie und Was“ jedoch blieb ein unergründliches Geheimnis.

      Nur einmal, anlässlich einer sehr erfolgreichen Premiere, hatte Bill Unterlüss vernehmlich geseufzt: „Der Glückspilz von einem Verfasser hat sicherlich keinen alten Onkel als Zerberus vor dem Tor des Parnasses lagern!“

      Dies gab zu der Vermutung Anlass, dass der Erbonkel der Felsblock im Wege zu Bills Dichterruhm war.

      Nun exerzierte Billeken zu Fuss und zu Pferd, ritt Parforce und Distanze und begrub alle idealen Hoffnungen und Wünsche unter Waffenrock oder Paletot, je nachdem das Wetter warm oder kalt war.

      Aber über seinem ganzen Wesen lag der graue Schleier leichter Melancholie, der Menschen eigen wird, die heimlich leiden.

      Ein richtiggehender Hypochonder war er allerdings nicht, er konnte sogar lächeln, — ohne Bitterkeit und Ironie lächeln, aber er sah eigentlich immer ein Missgeschick voraus, und wenn die Sonne strahlend am Himmel stand und alle Leute sich darüber freuten, dann zuckte Billeken wehmütig resigniert die Achseln und stellte die unumstössliche Tatsache fest: „Heute abend geht sie ja doch wieder unter!“ Und wenn die Welt im Blütenschmuck und Maiengrün jauchzte, so seufzte er in all den Singsang hinein: „Wetten, dass es doch wieder Winter wird?“ Und wenn es den Kameraden gut schmeckte, so warnte er: „Verderbt euch man nicht den Magen, Kinder!“ Und wenn er von einer Verlobung hörte, so ward er elegisch und klagte: „Wie glücklich könnte man doch sein, wenn die Weiberherzen nicht so trügerisch wären!“

      Aber dennoch erfüllten sich die trüben Zukunftsbilder nicht, sondern schlugen fast jedesmal für Billeken in das strikte Gegenteil, ein recht sonniges Erfreuen um.

      Auch jetzt stand der Tragöde und starrte mit düsterer Miene auf das buntbewegte Bild des Salons, das ja doch keinen Bestand haben konnte und höchstens durch all das Getrubel den gesundheitswidrigen Staub aus den Ecken aufwirbelte.

      Eine Stimme ertönte neben ihm.

      „Aber Bill —! Einsam bin ich nur bis neune! Ich glaube, es ist schon ein viertel zehn Uhr, und du feierst noch?“

      Unterlüss warf einen schwermütigen Blick auf die Pendule.

      „Kein Gedanke, Savaburg! Zehn Minuten über acht!“

      „Hast du schon engagiert?“

      „Um alles! Die Herren sind ja in der Überzahl! Ich spreche nicht gern bei Tisch, das soll so ungesund sein!“

      „Quatsch! Hast du dich schon den Nichten des Obersten vorstellen lassen?“

      „Der kleinen Blonden, ja! Die sieht freundlich aus. Die andre scheint etwas Bissiges zu haben!“

      „Gleichviel! Menschenskind, du musst dich doch bekannt machen!“

      „Das schon, — ich beabsichtigte es auch, aber erst in vorgerückter Stunde, wenn die Tanzkarte komplett ist.“

      „Glaubst du, das sei noch nicht der Fall? Längst reeller Ausverkauf! Frau von Strombeck schaut eben so forschend zu dir herüber. Mal Avant, Bill, hier hilft kein Mundspitzen, es muss gepfiffen sein! Komm schnell! Ich nehme dich ins Schlepptau und laviere dich ran!“

      Sigurds Augen blitzten den Zögernden lachend an, und beide Herren schoben sich hastig nach der kleinen Blumennische, in welcher Gräfin Valeska Plunck im Gespräch mit ein paar verheirateten Damen und Herren stand und das Näschen sehr selbstbewusst hob, um mit scharfem Blick die nächststehenden Tänzer zu mustern.

      Sie schien nicht ganz befriedigt, ein feines, nervöses Zucken um die Lippen deutete auf schlechte Laune.

      Da stehen wieder zwei Husaren vor ihr. Der Regimentsadjutant von Savaburg, der sich vorhin so auffällig lange mit Fräulein von Waldeck unterhalten, wohl der „mütterlichen Patenschaft“ wegen, und den sie bereits den ganzen Abend erwartete.

      Jetzt endlich bittet er nicht um einen Tanz, sondern nur um die Erlaubnis, Herrn von Unterlüss vorstellen zu dürfen.

      Die junge Gräfin möchte das Wort eigentlich mehr an ihn als den jungen Leutnant richten, aber eine der Regimentsdamen hat eine dringliche Frage wegen einer eventuellen Schlittenpartie an ihn zu richten und ausserdem treten zwei gallonierte Ordonnanzen in den Salon und öffnen die Flügeltüren nach dem Speisesaal, während eine dritte dem Arrangeur Savaburg meldet, dass angerichtet sei. Gleichzeitig hat Oberst von Strombeck Ihrer Erlaucht der Frau Erbprinzessin den Arm geboten und eine gedämpfte Stimme benachrichtigt die umstehenden Herren: „Bitte zu Tisch, meine Herrschaften!“

      Just in diesem Augenblick hat Gräfin Valeska das Köpfchen nach Bill Unterlüss, dessen Namen soeben vor ihren Ohren geklungen, umgedreht, und da er zuvor keine Zeit fand, verbeugt sich der Husar mehr feierlich und förmlich als scharmant vor der jungen Dame.

      „Ah! Zu Tisch?“ fragt sie mit noch einem schnellen, ruckweisen Blick nach Savaburg zurück, dann nickt sie herablassend und sagt: „Zu Tisch? Meinetwegen, Herr von Unterlüss, ich bin noch nicht engagiert, es scheint vorhin eine kleine Verwechslung gespielt zu haben!“

      Bill ist so erschrocken, dass er ganz blass wird.

      „Gnädigste Gräfin befehlen?“ stotterte er noch einmal als letzten Rettungsversuch, aber sein Gegenüber hebt nur lakonisch die Hand, sie auf seinen Arm zu legen, und sagt kurz: „Wenn möglich, lassen Sie uns in der Nähe von Baronin Ingelheim Platz nehmen — oder ist eine Tischordnung bestimmt?“

      „Ich weiss tatsächlich nicht, gnädigste Gräfin“, stammelt der Leutnant noch immer fassungslos, und sein Blick brennt wie in leidenschaftlicher Anklage auf Savaburgs Antlitz. — Mensch! Das hast du mir angetan — gerade heute eine Tischdame, wo’s Hühnerfrikassee gibt!

      Sigurd hat das Empfinden, als müsse er umkommen vor Lachen, er winkt dem Freund schweigend zu, zwingt sein schönes Gesicht in Falten, wie bei einem tief Leidtragenden, und eilt davon seinen Verpflichtungen gegen Fräulein von Waldeck gerecht zu werden.

      Bill Unterlüss aber neigt resigniert das Haupt und reiht sich mit seiner Dame dem Trauerkondukt in den Esssaal ein, um geduldig die Suppe auszulöffeln, welche ihm sein lieber Freund Savaburg eingebrockt.

      Er blickt düsterer als je in die nächste Zukunft.

      Die Unterhaltung wird sicherlich viel märtyrerhaftes Schweigen von ihm erfordern, denn die junge Gräfin hat eine ernergische Art, zu bestimmen.

      „Da drüben an der zweiten Tafel steht Baronin

      Illfingen! Schnell hinüber, dann erwischen wir noch die freien Plätze am Ende des Tisches.“

      Bill stürmt, von ihrem Arm gewaltig dirigiert, der bezeichneten Richtung zu. Der fleischfarbene Flitterschal, den Valeska umgelegt, wogt auf und bläht sich bei dem scharfen Tempo wie ein Ballon um ihre schlanke Gestalt, was er ganz reizvoll, aber für sich doch nicht begehrenswert findet.

      Er will schüchtern den Einwand erheben, dass er als einer der jüngsten Herren nach Rang und Würden eigentlich an die dritte Tafel gehört, aber er kommt nicht zu Wort.

      Die goldgepresste Tapete, die als Schutz gegen Zugluft vor die Balkontür geschoben, winkt schon in nächster Nähe, und die Lady steuert ihr zielbewusst zu.

      Halb zog sie ihn — halb sank er hin.

      Die Plätze sind erreicht.

      Der Rittmeister Grevenhof, der die Baronin führt, scheint aus der so stürmisch erfreuten Begrüssung