3.5. Der Sieg über den »Starken« (Markus 3,27)
Von diesem Hintergrund her wird das Wort Jesu in Markus 3,27 par. wichtig. »Niemand kann in das Haus des Starken (gemeint ist der Satan) hineingehen und ihm den Hausrat rauben, wenn er nicht zuvor den Starken bindet; erst dann wird er sein Haus ausrauben.« Genau das geschieht in Jesu Wirksamkeit. Werden die Heilungen und Wunder Jesu einfach als helfende Taten, als Freundlichkeiten angesehen, so ist das eine verhängnisvolle Verkürzung, die den Aussagen des Neuen Testamentes nicht gerecht wird. Nein, hier ist über den Starken, über Satan, der noch Stärkere »gekommen und hat den entscheidenden Sieg errungen« (Otto Michel).24
Es handelt sich hier um ein Bildwort, in dem uns Wesentliches über die Auseinandersetzung Jesu mit dem Bösen gesagt ist, ohne dass wir dabei die Bildhaftigkeit zugunsten rationaler Denkformen abstreifen könnten. Gesagt ist uns, dass es sich beim Bösen um eine umfassende, zusammenhängende und differenzierte »Organisation«, um ein »Hauswesen«, handelt, das hierarchisch strukturiert ist und an dessen Spitze der »Starke« steht. Der Einbruch an der zentralen Stelle, die Bindung des »Starken«, zieht Einbrüche auch an anderen Stellen nach sich. Diese Aussage ist wichtig, da sie uns zeigt, dass es sich bei den Heilungen und den Dämonenaustreibungen nicht um vereinzelte Einbrüche in das Reich Satans handelt. In diesen einzelnen Taten kündigt sich zeichenhaft der entscheidende Sieg, die angebrochene Heilszeit und die beginnende Vernichtung Satans an.25 Wichtig ist auch, dass in dem Bildwort der Kampfcharakter dieses Geschehens herausgestellt wird. Es handelt sich nicht um Alltäglichkeiten, sondern um einen »Raubzug«. Davon weiß das ganze Neue Testament.
Das dritte, zu dem uns dieses Bildwort führen will, ist die Einsicht, dass das Böse auch in seiner Form als Krankheit weit über unsere Wirklichkeit in die unsichtbare Welt hineinreicht. Ja, der entscheidende Kampf und Sieg Jesu wird über das Böse in dieser umfassenden Dimension geführt und errungen. Das bedeutet, dass die Heilungen Jesu nicht nur mit dem Bereich unserer sichtbaren Schöpfung zu tun haben, sondern gewissermaßen tief in den Bereich der unsichtbaren Welt hineingreifen.26
3.6. Sieg, Kampf und Transzendenz
An weiteren Aussagen des Neuen Testaments müssen wir unsere Sicht vertiefen. Jesus hat seine Jünger ausdrücklich mit der Vollmacht zur Heilung und zur Dämonenaustreibung ausgestattet.27 »Die Vollmacht über die Geister kehrt in den Sendungslogien ständig wieder und ist geradezu ein Kennzeichen dieser Worte« (J. Jeremias).28
»Warum Jesus den Dämonenaustreibungen der Boten so großes Gewicht beilegt, zeigt der Jubelruf, mit dem Jesus auf den Bericht der zurückkehrenden Jünger, dass auf ihr Wort die Geister weichen mussten, antwortet: … (Lukas 10,18) ›Ich sah, wie Satan, jählings aus dem Himmel ausgestoßen, wie ein Blitz auf die Erde herabfiel‹« (J. Jeremias).29
Was sich auf der Erde in Heilung und Dämonenaustreibung vollzieht, hängt mit Vorgängen in der himmlischen Welt zusammen. Den Hintergrund zeigt uns die Aussage der Offenbarung, die uns ebenfalls vom Sturz Satans aus dem Himmel erzählt (12,7ff), dazu aber auf drei Dinge hinweist, die in einem eng geschlossenen Zusammenhang stehen. Einmal ging dem Sturz Satans auf die Erde ein Kampf in der Himmelswelt voraus (12,7–9), andererseits führt er zu einer gesteigerten, gezielten und auf der Erde umfassend entfalteten Wirksamkeit des Bösen, der von Gott selbst Raum gegeben ist (12,12). Beide auf den Satan bezogenen Aussagen werden jedoch vom himmlischen Jubel begleitet. Es sind der endzeitliche Herrschaftsantritt Gottes und die Machtübernahme durch seinen Gesalbten, den Messias, die diese vermehrte Wirksamkeit Satans auf der Erde auslösen. »Jetzt ist das Heil und die Kraft und die Herrschaft unserem Gott zuteil geworden und die Vollmacht seinem Christus. Denn der Ankläger unserer Brüder wurde hinabgeworfen … « (12,10).
Wir werden hier in der besonderen Sprache und Vorstellungswelt der Offenbarung auf die Transzendenz dieses Geschehens hingewiesen. Was sich in unserer sichtbaren Welt vollzieht, ist nicht die volle, nicht die einzige Wirklichkeit. Die Herrschaft Gottes, aber auch die Machtentfaltung des Bösen haben eine uns verborgene Dimension innerhalb der unanschaulichen Welt. Zu dieser Einsicht versucht die Bibel die Menschen zu erziehen. Es gehört zu den Schwächen der Christenheit, dass sie die Bindung an biblische Transzendenz nicht durchhält, ja sich den Zugang dazu durch rationale Denkformen noch verbaut. Damit ist auch die Einsicht in die biblisch bezeugte transzendente Dimension des Bösen verstellt. Die Kirche hat aber gerade in ihren Kämpfen immer gewusst, dass der ihr aufgetragene Kampf »nicht gegen Fleisch und Blut« allein geht, sich also nicht allein auf der Ebene der sichtbaren Schöpfung vollzieht.30
Auch eine zweite Einsicht muss uns deutlich werden. Die biblischen Texte sprechen zunächst nicht von einem Kampf, sondern halten die Aussage vom einmal erworbenen, entscheidenden und endgültigen Sieg Jesu durch. Er wird auch durch einzelne Niederlagen nie mehr in Frage gestellt. Der endgültige Sieg liegt immer hinter der Gemeinde Jesu und nur so auch vor ihr. Der Sieg Jesu über das Böse beendet jedoch nicht den Kampf, sondern bringt ihn paradoxerweise erst recht in Gang, und zwar in einem ungeheuren, menschlich ungeahnten und unausdenkbaren Maß. Dem Sturz Satans aus dem Himmel folgt die Entfaltung der satanischen Wirksamkeit auf der Erde. Das Neue Testament weiß um die Herrschaft des Satanischen und seine Entfaltung in unserer Welt auch und gerade nach Kreuz und Auferstehung Jesu.31 Gott hat nicht versprochen, seine Gemeinde aus dem damit einsetzenden Kampf herauszunehmen, wird ihr aber bewahrend beistehen und sie hindurchtragen (Offenbarung 12,13–17). Da der Kampf sich in besonderer Weise gegen die Gemeinde zuspitzen wird (12,17), wird derjenige verloren sein, der das Wort vom Sieg Jesu, vom feststehenden Herrschaftsantritt Gottes nicht durchhält (13,8–10).
Ohne diesen Hintergrund, der uns hier in seinen Zusammenhängen aufgezeigt und gedeutet wird, ist ein letztes Verständnis des Ganges unserer Geschichte, der Vorgänge in unserer Zeit, ja auch der Ereignisse, die sich in unserem eigenen Leben vollziehen, unmöglich. Wir stehen innerhalb von schweren Krisen, die über die Menschheit hereinbrechen. Dabei haben wir es mit Vorgängen zu tun, die sich jedem Versuch, sie rein rational zu durchdringen, verschließen. Das Maß des menschlich noch Verstehbaren ist längst gesprengt. Es ist, so deutet die Offenbarung diese Entwicklungen, gerade der Anbruch der Gottesherrschaft, der diese Gegenbewegung des Bösen hervorruft und das Böse aus seinen Tiefen an die Oberfläche des Weltgeschehens heraufkommen lässt.32 Diese Vorgänge vollziehen sich umfassend im Bereich der Volks- und Weltgeschichte, greifen in ihren Auswirkungen aber tief in die Lebensgeschichte der Menschen hinein. Es handelt sich um einen Prozess ständiger Steigerung. »Jeder Versuch, das Böse ernstzunehmen, (wird) auf Gegenwehr des Bösen stoßen … Jeder Sieg über das Böse verschlimmert die Situation für die Folgezeit« (Otto Michel).33
Der Gang des Evangeliums soll nach der Verheißung Jesu von den Zeichen der Herrschaft Gottes, die die Überwindung des Bösen zeichenhaft sichtbar machen, begleitet werden (Markus 16,17ff).34 Das bedeutet konkret, dass die Kirche nie nur zu predigen hat. Sie hat immer im Ringen mit all den Kräften, die sich der Herrschaft Gottes entgegenstellen, den Sieg Jesu zu bekennen, ihn zu bewahren und an seiner Verheißung unbeirrt festzuhalten. Es ist vor allem der Weg des Evangeliums durch die Geschichte bis heute gewesen, der in besonderer Weise den Widerstand des Bösen herausgefordert hat und es noch tut, auch wenn sich die Formen, in denen uns das Böse begegnet, im Laufe der Geschichte bzw. im Übergang zu verschiedenen Kulturen wandeln.
Wichtig für uns ist, dass wir in den damit verbundenen Auseinandersetzungen, vor allem in der Anfechtung, am erworbenen und endgültigen Sieg Jesu festhalten, von daher unseren Kampf