Heilung. Wolfgang J Bittner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolfgang J Bittner
Издательство: Bookwire
Серия: Paráklesis
Жанр произведения: Религия: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783862567690
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      Bereits dieser erste Einblick ist für uns wichtig. Nach heutigen Begriffen kann ein Mensch gesund sein, doch fehlt ihm – vielleicht bedingt durch Entmutigung, seelische Verletzung oder Beschämung – das, was die Bibel die volle Lebenskraft nennen würde. Auch das ist in der Sprache des Alten Testamentes Schwächung, also Krankheit, im Blick auf die das Fragen nach Heilung aufbricht.

      Entscheidend ist für das Alte Testament, ja für die ganze Bibel, dass Krankheit und Sünde in einem unauflösbaren Zusammenhang zueinander stehen. Krankheit gehört nicht in die natürlichen Zusammenhänge der Schöpfung, sie ist Folge der Schuld und damit ein ständiges, mahnendes Merkmal unserer gestörten Schöpfungsordnung.2 Das wird uns, neben anderen Stellen, im Bericht vom Sündenfall in der der Bibel eigenen Sprache gesagt (Genesis 2,17f; 3,1ff). »Alle Störungen unseres natürlichen Lebensstandes haben ihre Wurzeln im gestörten Gottesverhältnis« (Gerhard von Rad).3

      Damit steht uns noch ein weiterer Zusammenhang klar vor Augen. Krankheit ist nicht nur Folge der Sünde, sondern auch ein Vorläufer des Todes. Der Bruch im Verhältnis zu Gott, so sagt uns der Bericht vom Sündenfall, hat dem Tod mitten im Bereich menschlichen Lebens Raum geschaffen. Nun greift er in seinen verschiedenen Ausformungen tief in den Bereich des Lebens hinein, zeichnet und schlägt uns. Trifft uns Schwäche in irgendeiner Form, so bedeutet das für den biblischen Menschen, dass der Tod uns in einen »Zustand relativen Totseins«4 versetzt. »Das physische Sterben ist … Abschluss dieses Einwirkens der Macht des Todes. Das eigentliche Kennenlernen des Todes vollzieht sich im Verlauf des Lebens, nicht erst im Augenblick des physischen Ablebens.«5

      Erkennt man diese Zusammenhänge zwischen Krankheit und Sünde auf der einen und Krankheit und Tod auf der anderen Seite, muss man sofort auf ein mögliches, vielleicht sogar häufiges Missverständnis hinweisen. Schon im Alten Testament, im antiken Judentum, im Neuen Testament und bis in unsere Zeit hinein erhebt sich im Zusammenhang mit einer Krankheit die Frage nach der persönlichen Schuld. Wer ist denn daran »schuld«, wenn ein Mensch krank wird? Kann man nicht aus dem biblisch bezeugten Zusammenhang zwischen Sünde, Krankheit und Tod folgern, die Krankheit eines einzelnen Menschen sei Folge der Sünde eben dieses Menschen? Ist der Zusammenhang also individuell, der Kranke also »selbst schuld«, gestraft für irgendwelche eigene Taten, Unterlassungen oder gar Gedanken? Tatsächlich gibt es in der Bibel Stimmen, die diese Meinung vertreten. Andere dagegen wehren sich leidenschaftlich gegen diese vereinfachende Verknüpfung.6

      Man kann sich das Problem an der Argumentation der Freunde Hiobs deutlich machen. Sie bringen in differenzierter Weise die Theologie ihrer Zeit zum Ausdruck, die uns in einfacherer Form als Volksmeinung bis heute begegnet. Man könnte geradezu von einer »Volks-Theologie« sprechen. Sobald man einen individuellen Zusammenhang zwischen Sünde und Krankheit annimmt, kann man gar nicht anders argumentieren. Hiobs Leiden müssen doch Folge einer schrecklichen Sünde sein, die auf ihm oder wenigstens auf seiner Familie liegt. Die »Lösung« wird im kräftigen Hinweis auf die nun erforderliche Buße des Menschen vor Gott liegen. Denn, wäre Hiob unschuldig, wer trüge dann die Schuld? Kann Gott einen schuldlosen Menschen, als der sich Hiob ja weiß, so schwer mit Leiden belasten? Die Weigerung Hiobs, eine Schuld einzugestehen, die es seinem Wissen nach gar nicht gibt, führt zum weitergehenden Argument, es gäbe eben auch verborgene, unbewusste Schuld. Vielleicht könne sie erforscht werden, auf jeden Fall aber habe man für sie Buße zu tun.

      Das Anliegen der Freunde Hiobs wird verständlich, sobald man folgendes bedenkt. Im Zusammenhang ihrer Theologie steht hinter jeder Krankheit, hinter jedem Schicksalsschlag die Frage, wessen Schuld hier vorliegt. Wäre bei Hiob wirklich keine Schuld aufweisbar, dann müsste Gott schuldig sein. Und das kann, so lautet unausgesprochen die Überlegung der Freunde, »theologisch« nicht möglich sein. Wenn sie Hiob also zu einer Form des Schuldbekenntnisses nötigen wollen, so tun sie es, um Gott von der Verantwortung für das Leiden zu entlasten.

      Um so bedeutungsvoller ist es, dass Gott selbst gegen Ende des Buches Hiob gegen diese Theologie der Freunde leidenschaftlich Stellung nimmt. Er sagt zu einem von ihnen: »Mein Zorn ist entbrannt wider dich und deine zwei Freunde; denn ihr habt nicht recht geredet von mir wie mein Knecht Hiob« (Hiob 42,7). Gott selbst ist es, der sich solche theologischen Entlastungsversuche und damit die Erklärung menschlichen Leidens als einfache Folge von Schuld nicht gefallen lässt.

      Zu diesem Problem ist noch eine ganze Reihe weiterer Aussagen der Bibel zu bedenken. Aufgrund konkreter Beobachtung der Vorgänge des täglichen Lebens sieht der Mensch der Bibel, dass konkrete Sünde Schwächung des Lebens zur Folge haben kann. Es wird aber auch genügend deutlich, dass das nicht immer der Fall ist. Schuld und Auflehnung gegen Gott können mit äußerem Wohlergehen verbunden sein, während Gott auf die Reinheit des Herzens mit täglicher Züchtigung antwortet (vgl. dazu Psalm 73)! Weiterhelfen kann uns der Hinweis, dass viele Stellen, die wir in der Bibel als Worte an Einzelpersonen betrachten und darum gerne individuell lesen, eigentlich dem Volk als Gemeinschaft gelten. So wird dem Volk Israel als ganzem gesagt: »Wenn du dem Herrn, deinem Gott, treulich gehorchst und tust, was vor ihm recht ist, … so will ich keine von den Krankheiten über dich bringen, die ich über Ägypten gebracht habe …« (Exodus 15,26). Gott hat das Verhalten der ganzen Volksgemeinschaft im Auge. Der einzelne Mensch hat Teil sowohl am Segen als auch an der Strafe, die von Gott her auf der Gemeinschaft, in der er lebt, liegen. Diese Einsicht ist für unseren Umgang mit der Bibel, aber letztlich auch für das Verständnis der Gegenwart, wichtig und weitreichend. Für unsere Fragestellung bedeutet es, dass nach dem Zusammenhang zwischen persönlicher Schuld und persönlicher Krankheit zwar gefragt werden kann. Doch das allein reicht noch nicht aus, um diesem Problem gerecht zu werden.

      Will man vorsichtig eine Antwort formulieren, so muss man zwei Dinge hervorheben. Einerseits stehen wir als Menschen inmitten einer Welt, in der die Sünde weiten Herrschaftsraum hat. Weil in unserer Welt die Sünde herrscht, hat auch die Krankheit Raum. Weil wir als einzelne Menschen in diese Welt hineingeboren sind, darum werden auch wir krank, sind jedenfalls dafür anfällig. So gesehen ist der Zusammenhang zwischen Krankheit und Sünde zunächst nicht individuell, sondern, wenn man so will, universal. Andererseits ist aber auch der individuelle Zusammenhang nicht einfach aufgehoben. Sünde, auch unsere persönliche, ist auf jeden Fall Leben zerstörend. Diese das Leben zerstörende Macht zeichnet einen Menschen, der ihr in seinem Leben immer mehr Raum gibt. Das kann auf vielfältige Weise geschehen, sei es in seelischer Verhärtung bei sonst »blühender Gesundheit«, sei es in seelischer Dunkelheit, in Abnormität oder in körperlicher Krankheit. Es kann aber auch sein, dass im Leben eines Menschen »sichtbare« Folgen völlig ausbleiben.

      Knapp zusammenfassend kann man sagen: An der Tatsache, dass Krankheit in der Welt da ist, wird zunächst deutlich, dass Sünde und Tod in unserer Welt noch Raum haben. Man wird nicht ohne weiteres von der konkreten Krankheit eines Menschen auf die Schuld eben dieses Menschen schließen. Der Zusammenhang des Einzelnen mit der Geschichte und der Gemeinschaft, in der er steht, ist der Bibel wichtig und muss auch in der Frage nach der Krankheit wichtig bleiben.7

      Wie stark der Zusammenhang zwischen Sünde und Krankheit für die Bibel ist, zeigt sich daran, dass auch Sündenvergebung und Heilung von Krankheit eine unauflösbare Einheit bilden. So lesen wir in Psalm 103,3: »Lobe den Herrn meine Seele … und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat …, der dir alle deine Sünden vergibt und alle deine Gebrechen heilt.« Dieser für die Bibel, für die Botschaft und den Dienst Jesu und seiner Gemeinde zentrale Text bezeugt die zwei Seiten des einen Handelns Gottes: Er vergibt – und zwar alle unsere Sünden! Diese Vergebung schließt aber das andere in sich: Er heilt – und zwar alle unsere Krankheiten! Derselbe Zusammenhang steht hinter dem oft zitierten Wort Gottes an sein Volk Israel: »Ich bin der Herr, dein Arzt« (Exodus 15,26). Auch hier scheint im Zusammenhang des Textes dieselbe Einheit durch. Freiheit