»Was, ein zu Schiff angekommener Brief«, rief er, »und aus England? Ha, Duke! der mag in der Tat wichtige Neuigkeiten enthalten.«
»Lies ihn«, versetzte Marmaduke, in heftiger Aufregung durch das Zimmer auf und ab schreitend.
Richard war gewöhnt, laut zu denken, und daher nicht imstande, einen Brief zu lesen, ohne einem Teil des Inhalts Worte zu leihen. Wir legen daher dem Leser das, was in dieser Weise von dem Briefe veröffentlicht wurde, nebst den gelegentlichen Bemerkungen des Sheriffs vor.
»London, den zwölften Februar siebzehnhundertdreiundneunzig – Was zum Teufel, das hat lange gebraucht! Aber der Wind ist, bis auf die letzten vierzehn Tage, sechs Wochen lang nordwestlich gewesen.
Sir, Ihre verehrlichen Schreiben vom 10. August, 23. September und 1. Dezember habe ich zur rechten Zeit erhalten und das erste umgehend beantwortet. Seit dem Empfang des letzteren habe ich –« hier folgte ein langer Satz, welchen der Sheriff unbestimmt vor sich hin murmelte. »Es tut mir leid Ihnen sagen zu müssen, daß – hum, das ist allerdings schlimm – hoffe aber, daß es die gütige Vorsehung für passend gehalten hat – hum, hum, hum; scheint ein religiöser Mann zu sein, Duke, wahrscheinlich ein bischöflicher; hum, hum – Schiff abgesegelt von Falmouth, ungefähr am 1. September des vorigen Jahres und, – – hum, hum, hum. Wenn etwas von dieser betrübenden Sache verlauten sollte, so werde ich nicht ermangeln – hum, hum; in der Tat ein sehr gutherziger Mann für einen Rechtsgelehrten – kann jedoch nichts weiteres mitteilen – hum, hum. Der Nationalkonvent – hum, hum – unglückliche Louis – hum, hum – Beispiel Eures Washington – gewiß ein sehr verständiger Mann und keiner von jenen verrückten Demokraten. Hum, hum – unsere tapfere Flotte – hum, hum – unter unserem ausgezeichneten Monarchen – ja, mag ein guter Mann sein, dieser König Georg, hat aber schlechte Ratgeber. Hum, hum – schließe mit den Versicherungen meiner vollkommenen Hochachtung – Hum, hum. Andreas Holt! – Andreas Holt? – ein sehr verständiger teilnehmender Mann, dieser Andreas Holt, – schreibt aber schlimme Botschaft. Was willst du zunächst tun, Vetter?«
»Was kann ich tun, Richard, als die Zeit und die Führung des Himmels abzuwarten? Da ist ein anderer Brief aus Connecticut, welcher übrigens nur eine Bestätigung des früheren enthält. Nur eines tröstet mich bei diesen Neuigkeiten aus England, daß er nämlich mein letztes Schreiben erhalten haben muß, ehe das Schiff absegelte.«
»Das ist freilich schlimm genug, sehr schlimm, Duke, und macht alle meine Pläne, an dem Hause Flügel anzubringen, zu Wasser. Ich habe Vorkehrungen zu einem Ausritt getroffen, um dir etwas ungemein Wichtiges mitzuteilen. Es liegen dir immer Minen im Kopf –«
»Rede mir jetzt nichts von Minen«, fiel ihm der Richter ins Wort, »denn ich habe ohne Verzug eine heilige Pflicht zu erfüllen. Ich muß diesen Tag mit Schreiben zubringen, und du wirst mir helfen, Richard. Ich mag Oliver nicht in ein so wichtiges Geheimnis Einsicht nehmen lassen.«
»Nein, nein, Duke«, rief der Sheriff, dem Richter die Hand drückend, »ich stehe ganz zu deinen Diensten. Wir sind Geschwisterkinder, und Blut ist im Grunde doch der beste Mörtel, der die Freundschaft zusammenhält. Meinetwegen, es hat keine Eile mit der Silbermine; denn morgen ist so gut wie heute. Ich denke, wir werden hierbei den Dirky Van brauchen?«
Marmaduke bejahte diese indirekte Frage, und der Sheriff stand von seinem beabsichtigten Ausritt ab, begab sich in das Frühstückszimmer und entsandte sogleich einen Boten, um Dirck Van der School her zu bescheiden.
Das Dorf Templeton durfte sich des Beistands von nur zwei Rechtsgelehrten erfreuen, von denen wir den einen unseren Lesern bereits in der Wirtsstube ›Zum kühnen Dragoner‹ vorgeführt haben; der andere war der von Richard vertraulicherweise als Dirck oder Dirky Van namhaft gemachte Gentleman. Große Gutmütigkeit, ziemliche Gewandtheit in seinem Fach und, soweit dies bei einem Advokaten möglich ist, ein beträchtlicher Grad von Ehrlichkeit waren die Hauptzüge in dem Charakter dieses Mannes, welcher unter den Ansiedlern als Squire Van der School gekannt war und bisweilen auch durch den schmeichelhaften, obgleich anomalen Titel des ›Holländers‹ oder des ›ehrlichen Advokaten‹ bezeichnet wurde. Wir wünschen jedoch nicht, unserem Leser einen falschen Begriff von irgendeinem unserer Charaktere beizubringen, und sehen uns daher veranlaßt beizufügen, daß das Adjektiv in Herrn Van der Schools Standesbezeichnung in unmittelbarer Beziehung zu seinem Substantiv gemeint war. Wir dürfen unsern orthodoxen Freunden nicht sagen, daß alles Verdienst in der Welt nur beziehungsweise ein solches ist, und wenn wir irgendeinem Charakter Eigenschaften zuschreiben, so ist dies so zu verstehen, daß man dabei auch die Umstände ins Auge zu fassen hat.
Den Rest des Tages über blieb der Richter mit seinem Vetter und seinem Rechtsfreund eingeschlossen, und niemand hatte Zutritt ins Zimmer als seine Tochter. Marmaduke hatte die tiefe Betrübnis, die ihn augenscheinlich bedrängte, einigermaßen auch Elisabeth mitgeteilt; denn ein kummervoller Blick beschattete ihre schönen Züge, und die Schwungkraft ihres lebensvollen Geistes war merklich gelähmt. Der junge Edwards, der mit Verwunderung Zeuge der plötzlichen Veränderung bei den Hauptgliedern der Familie war, bemerkte sogar, wie sich einmal eine Träne über Miss Temples Wange stahl und ihre leuchtenden Augen mit einer Weichheit übergoß, die gewöhnlich bei ihr nicht zu finden war.
»Haben Sie schlimme Nachrichten erhalten, Miss Temple?« fragte er mit einer Teilnahme, welche Luise Grant veranlaßte, mit einer Raschheit, über die sie selbst errötete, ihr Antlitz von ihrer Arbeit zu erheben. »Ich würde gerne Ihrem Vater meine Dienste anbieten, wenn er, wie ich vermute, an irgendeinem fernen Orte eines Agenten bedarf, sobald ich hoffen dürfte, daß es zu Ihrer Beruhigung beitrüge.«
»Wir haben allerdings schlimme Kunde vernommen«, versetzte Elisabeth, »und mein Vater wird wohl für eine Weile die Heimat verlassen müssen, wenn ich ihn nicht überreden kann, das Geschäft meinem Vetter Richard anzuvertrauen, obgleich auch seiner Abreise aus dem Bezirk diesmal Hindernisse im Weg stehen dürften.«
Der Jüngling schwieg eine Weile, und das Blut stieg langsam nach seinen Schläfen, während er fortfuhr:
»Wenn das Geschäft von der Art wäre, daß ich es ausführen könnte – – »
»Es ist ein solches, daß es nur jemand, den wir kennen – nämlich einem von den Unsrigen – anvertraut werden kann.«
»Ich hoffe, daß Sie mich kennen, Miss Temple«, fügte er mit einer Wärme bei, die er selten an den Tag legte, die aber doch bei ihren früheren Unterredungen nicht ganz ohne Vorgang war. »Habe ich fünf Monate unter ihrem Dach geweilt, um nur als ein Fremder betrachtet werden zu können?«
Elisabeth war gleichfalls mit ihrer Nadel beschäftigt, und sie beugte ihr Haupt zur Seite, indem sie tat, als ob sie ihr Nähzeug ordne; aber ihre Hand bebte, ihr Antlitz erglühte, und ihre Augen verloren ihre Feuchtigkeit in einem Ausdruck ununterdrückbarer Teilnahme, als sie erwiderte:
»Aber wieviel wissen wir von Ihnen, Herr Edwards?«
»Wieviel?« wiederholte der Jüngling, indem er von der Sprecherin auf Luises mildes Antlitz blickte, auf welchem sich gleichfalls Neugierde abmalte. »Wieviel? Bin ich nicht lange genug ihr Hausgenosse gewesen, daß man mich wohl hätte kennenlernen können?«
Elisabeths Haupt richtete sich langsam aus ihrer erkünstelten Haltung auf, und der Blick der Verwirrung, der sich so lebhaft mit dem Ausdruck der Teilnahme gemischt hatte, ging in ein Lächeln über.
»Wir kennen Sie allerdings, Sir: Sie nennen sich Oliver Edwards und haben dem Vernehmen nach meiner Freundin Miss Grant mitgeteilt, daß Sie ein Eingeborener seien – –«
»Elisabeth!« rief Luise, bis über die Schläfe errötend, und wie Espenlaub bebend, »Sie haben mich nicht recht verstanden, liebe Miss Temple; ich – ich – es war nur eine Vermutung von mir. Außerdem – wenn Herr Edwards auch mit den Eingeborenen verwandt ist, warum sollten wir ihm dies zum Vorwurf