So war Mataswintha über Stärke, Beschaffenheit und Einteilung des Heeres, die nächsten Angriffspläne der Feldherren und alle Hoffnungen und Befürchtungen der Goten so gut wie der König selbst unterrichtet. Und sehnlich wünschte sie eine Gelegenheit herbei, dies ihr Wissen sobald und so verderblich wie möglich zu verwerten.
Mit Belisar selbst in Verkehr zu treten durfte sie nicht hoffen. Naturgemäß richteten sich ihre Augen auf die aus Furcht vor den Goten neutralen, im Herzen aber ausnahmslos byzantinisch-gesinnten Italier ihrer Umgebung, mit denen sie leichten und unverdächtigen Verkehr pflegen konnte.
Aber sooft sie diese Namen im Geiste musterte, – da war keiner, dessen Tatkraft und Klugheit sie das tödliche Geheimnis hätte vertrauen mögen, daß die Königin der Goten selbst am Verderben ihres Reiches arbeiten wolle. Diese feigen und unbedeutenden Menschen – die Tüchtigeren waren längst zu Cethegus oder Belisar gegangen – waren ihr weder des Vertrauens würdig, noch schienen sie Witichis und seinen Freunden gewachsen.
Wohl suchte sie auf schlauen Umwegen durch den König und die Goten selbst zu erkunden, welchen unter allen Römern sie für ihren gefährlichsten, bedeutendsten Feind hielten. Aber auf solche Anfragen und Erkundigungen hörte sie immer nur einen Mann nennen, immer und immer wieder einen einzigen. Und der saß ihr unerreichbar fern im Kapitol von Rom: Cethegus, der Präfekt. Es war ihr unmöglich, sich in Verbindung mit ihm zu setzen. Keinem ihrer römischen Sklaven wagte sie einen so verhängnisvollen Auftrag, als ein Brief nach Rom war, anzuvertrauen.
Die kluge und mutige Numiderin, die den Haß ihrer angebeteten Herrin gegen den rohen Barbaren, der diese verschmäht, vollauf teilte, ungeschwächt bei ihr durch heimliche Liebe, hatte sich zwar eifrig erboten, ihren Weg zu Cethegus zu finden. Aber Mataswintha wollte das Mädchen nicht den Gefahren einer Wanderung durch Italien, mitten durch den Krieg, aussetzen. Und schon gewöhnte sie sich an den Gedanken, ihre Rache bis zu dem Zug auf Rom zu verschieben, ohne inzwischen in ihrem Eifer in Erforschung der gotischen Pläne und Rüstungen zu erkalten.
So wandelte sie eines Tages nach der Stadt zurück von dem Kriegsrat, der draußen im Lager, im Zelt des Königs, war gehalten worden. Denn seit die Rüstungen ihrer Vollendung nah und die Goten jeden Tag des Aufbruchs gewärtig waren, hatte Witichis, wohl auch um Mataswintha aus dem Wege zu sein, seine Gemächer im Palatium verlassen und seine schlichte Wohnung mitten unter seinen Kriegern aufgeschlagen.
Langsam, das Vernommene ihrem Gedächtnis einprägend und über die Verwertung nachsinnend, wandelte die Königin, nur von Aspa begleitet, durch die äußersten Reihen der Zelte, einen sumpfigen Arm des Padus zur Linken, die weißen Zelte zur Rechten. Sie mied das Gedränge und den Lärm der innern Gassen des Lagers.
Während sie bedächtig und ihrer Umgebung nicht achtend dahinschritt, musterten Aspas scharfe Augen die Gruppe von Goten und Italiern, die sich hier um den Tisch eines Gauklers geschart hatte, der unerhörte und nie gelesene Künste zum besten zu geben schien, nach dem Staunen und Lachen der Zuschauer zu schließen.
Aspa zögerte etwas in ihrem Gang, diese Wunder mit anzusehen. Es war ein junger, schlanker Bursch: nach der blendend weißen Haut des Gesichts und der bloßen Arme wie nach dem langen gelben Haar gallischen Zuschnitts ein Kelte, wozu die kohlschwarzen Augen nicht stimmen wollten. Er verrichtete wirklich Wunderdinge auf seiner einfachen Bühne. Bald sprang er in die Höhe, überschlug sich in der Luft und kam doch senkrecht bald wieder auf die Füße, bald auf die Hände zu stehen. Dann schien er brennende Kohlen mit sichtlichem Behagen zu verspeisen und dafür Münzen auszuspeien: dann verschluckte er einen fußlangen Dolch und zog ihn später wieder aus seinen Haaren hervor, um ihn mit drei, vier andern scharfgeschliffenen Messern in die Luft zu werfen und eines nach dem andern mit nie fehlender Behendigkeit am Griff aufzufangen, wofür ihn Gelächter und Rufe der Bewunderung von seiten seiner Zuschauer belohnten.
Aber schon zu lange hatte sich die Sklavin verweilt.
Sie sah nach der Herrin und bemerkte, daß ihr Weg gesperrt war von einer Schar italischer Lastträger und Troßknechte, welche die Gotenkönigin offenbar nicht kannten und gerade an ihr vorbei, über den Weg hin, nach dem Wasser zu, lärmende Kurzweil trieben. Sie schienen sich einen Gegenstand, den Aspa nicht wahrnahm, zu zeigen und ihn mit Steinen zu bewerfen.
Eben wollte sie ihrer Herrin nacheilen, als der Gaukler neben ihr auf dem Tisch einen gellenden Schrei ausstieß; Aspa wandte sich erschrocken und sah den Gallier in ungeheurem Satz über die Köpfe der Zuschauer weg wie einen Pfeil durch die Luft auf die Italier losschießen. Schon stand er mitten in dem Haufen und schien, sich bückend, einen Augenblick unter ihnen verschwunden.
Aber plötzlich war er sichtbar. Denn einer und gleich darauf ein zweiter Italier stürzte von seinen Faustschlägen nieder.
Im Augenblick war Aspa an den Königin Seite, die sich schnell aus der Nähe der Schlägerei entfernt hatte, aber, zu der Sklavin Befremden, stehen blieb, mit dem Finger auf die Gruppe weisend.
Und seltsam in der Tat war das Schauspiel.
Mit unglaublicher Kraft und noch größerer Gewandtheit wußte der Gaukler das Dutzend der Angreifer sich vom Leibe zu halten. Die Gegner anspringend, sich wendend und duckend, weichend, darin wieder plötzlich vorspringend und den nächsten am Fuß niederreißend oder mit kräftigem Faustschlag vor Brust oder Gesicht niederstreckend, wehrte er sich.
Und das alles ohne Waffe, und nur mit der rechten Hand: denn die linke hielt er, wie etwas bergend und schützend, dicht an die Brust. So währte der ungleiche Kampf minutenlang. Der Gaukler ward näher und näher von der wütenden, lärmenden Menge dem Wasser zugedrängt. Da blitzte eine Klinge. Einer der Troßknechte, zornig über einen schweren Schlag, zückte ein Messer und sprang den Gaukler von hinten an. Mit einem Schrei stürzte dieser zusammen: die Feinde über ihn her.
«Auf! Reißt sie auseinander! Helft dem Armen», rief Mataswintha den Kriegern zu, die jetzt von dem verlassenen Tisch der Goten herankamen, «ich befehle es, die Königin!»
Die Goten eilten nach dem Knäuel der Streitenden: aber noch ehe sie herankamen, sprang der Gaukler, der sich für einen Moment von allen Feinden losgemacht, hoch aus dem Gewirr und eilte mit letzter Kraft davon, gerade auf die beiden Frauen zu – verfolgt von den Italiern, welche die wenigen Goten nicht aufzuhalten vermochten.
Welch ein Anblick! Seine gallische Tunika hing ihm in Fetzen vom Leibe: ein Stück seiner gelben Haare schleifte am Rücken, und siehe, unter der gelben Perücke kam schwarzes glänzendes Haar zum Vorschein, und der weiße Hals verlief in eine bronzebraune Brust.
Mit letzter Kraft erreichte er die Frauen. Da erkannte er Mataswintha. «Schütze mich, rette mich, weiße Göttin!» schrie er und brach zusammen vor Mataswinthas Füßen. Schon waren die Italier heran, und der vorderste schwang sein Messer. –
Aber Mataswintha breitete ihren blauen Mantel über den Gefallenen: «Zurück!» sprach sie mit Hoheit, «laßt ab von ihm. Er steht im Schutz der Gotenkönigin.» Verblüfft wichen die Troßknechte zurück. «So?» rief nach einer Pause der mit dem Dolch, «straflos soll er ausgehen, der Hund und Sohn eines Hundes? Und fünf von uns liegen am Boden halbtot? Und ich habe fortan drei Zähne zu wenig? Und keine Strafe?» – «Er ist gestraft genug», sagte Mataswintha, auf die tiefe Dolchwunde am Halse deutend. «Und all das um einen Wurm», schrie ein zweiter, «um eine Schlange, die aus seinem Ranzen schlüpfte, und die wir mit Steinen warfen.» – «Da seht! Er hat die Natter geborgen, da, an seiner Brust. Nehmt sie ihm.» – «Schlagt ihn tot», schrien die andern.
Aber da kamen zahlreiche Gotenkrieger heran und schafften ihrer Königin Gehorsam, die Italier unsanft zurückstoßend und einen Kreis um den Gefallenen schließend. Aspa blickte scharf zu, und plötzlich sank sie mit gekreuzten Armen neben dem Gaukler nieder.
«Was ist dir, Aspa? Steh auf!» sprach Mataswintha staunend. «O Herrin!» stammelte diese, «der Mann ist kein Gallier! Er ist ein