Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane. Felix Dahn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felix Dahn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027222049
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schimmerten die Kirche und das Kloster, die am Fuß des Apenninus nordöstlich von Perusia und Asisium, südlich von Petra und Eugubium, hoch auf dem Felsenhang oberhalb des kleinen Fleckens Taginä, Valerius gebaut, seine Tochter vom Dienst des Jenseits einzulösen.

      Das Kloster, aus dem dunkelroten Gestein der Gegend aufgeführt, umfriedete mit seinen Geviertmauern einen stillen Garten von dichtem, grünem Laubwerk. An den vier Seiten desselben liefen kühle Bogengänge hin mit Apostelstatuen und Mosaik und mit Fresken auf goldnem Grund geschmückt. All dies Bildwerk hatte den freudlosen, byzantinischen Ernst: es waren sinnbildliche Darstellungen aus der heiligen Schrift, zumal aus der Offenbarung Johannis, dem Lieblingsbuch jener Zeit.

      Feierliche Stille wartete rings. Das Leben schien weithin ausgeschlossen von diesen hohen und starken Mauern. Zypressen und Thuien herrschten vor in den Baumgruppen des Gartens, in dem nie eines Vogels Gesang vernommen ward. Die strenge Klosterordnung duldete die Vöglein nicht: der Nachtigall süßes Rufen sollte nicht die frommen Seelen in ihren Gebeten stören.

      Cassiodor war es, der, schon als Minister Theoderichs seiner streng kirchlichen Richtung ergeben und biblischer Gelehrsamkeit voll, seinem Freunde Valerius den ganzen Plan der äußeren und inneren Einrichtung seiner Stiftung entworfen – ähnlich der Regel des Männerklosters, das er selbst zu Squillacium in Unteritalien gegründet – und dessen Ausführung überwacht hatte. Und sein frommer, aber strenger, der Welt und dem Fleisch feindlich abgewendeter Geist drückte sich denn im größten wie im kleinsten dieser Schöpfung aus. Die zwanzig Jungfrauen und Witwen, welche hier als Religiosä lebten, verbrachten in Beten und Psalmensingen, in Buße und Kasteiung ihre Tage. Doch auch in werktätiger, christlicher Liebe, indem sie die Armen und Kranken der Umgegend in ihren Hütten aufsuchten und ihnen Seele und Leib trösteten und pflegten.

      Es machte einen feierlichen, poesievollen, aber sehr ernsten Eindruck, wenn durch die dunklen Zypressengänge hin eine dieser frommen Beterinnen wandelte, in dem faltenreichen, dunkelgrauen Schleppgewand, auf dem Haupt die weiße, enganschließende Kalantika, eine Tracht, die das Christentum von den ägyptischen Isispriestern übernommen. Vor den oft in Kreuzesform geschnittenen Buchsgebüschen blieben sie stehen und kreuzten die Arme auf der Brust. Immer gingen sie allein und stumm, wie Schatten glitten sie bei jeder Begegnung aneinander vorüber. Denn das Gespräch war auf das Unerläßliche beschränkt.

      In der Mitte des Gartens floß ein Quell aus dunklem Gestein, von Zypressen überragt. Ein paar Sitze waren in den Marmor gehauen.

      Es war ein stilles, schönes Plätzchen: wilde Rosen bildeten dort eine Art Laube und verbargen beinahe völlig ein finsteres, rohes Steinrelief, das die Steinigung des heiligen Stephanus darstellte.

      An diesem Quell saß, eifrig lesend in aufgerollten Papyrusrollen, eine schöne, jungfräuliche Gestalt in schneeweißem Gewand, das eine goldne Spange über der linken Schulter zusammenhielt, das dunkelbraune Haar, in weichen Wellen zurückgelegt, umflocht eine fein geschlungene Efeuranke: – Valeria war’s, die Römerin.

      Hier, in diesen entlegenen, festen Mauern hatte sie Zuflucht gefunden, seit die Säulen ihres Vaterhauses zu Neapolis niedergestürzt. Sie war bleicher und ernster geworden in diesen einsamen Räumen. Aber ihr Auge leuchtete noch in seiner ganzen stolzen Schönheit.

      Sie las mit großem Eifer; der Inhalt schien sich lebhaft fortzureihen, die fein geschnittenen Lippen bewegten sich unwillkürlich, und zuletzt ward die Stimme der Lesenden leise vernehmlich:

      – – «Und er vermählte die Tochter dem erzumpanzerten Hektor. –

       Die kam jetzt ihm entgegen, die Dienerin folgte zugleich ihr,

       Tragend am Busen das zarte, noch ganz unmündige Knäblein,

       Hektors einzigen Sohn, holdleuchtendem Stern vergleichbar.

       Schweigend betrachtete Hektor mit lächelndem Blicke den Knaben,

       Aber Andromache trat mit tränendem Auge ihm näher,

       Drückt’ ihm zärtlich die Hand und begann die geflügelten Worte:

       ‹Böser, dich wird noch verderben dein Mut! Und des lallenden Knäbleins

       Jammert dich nicht, noch meiner, die bald ach! Witwe von Hektor

       Sein wird. Bald ja werden die grimmigen Feinde dich töten,

       Alle mit Macht einstürmend auf dich. Dann wär’ mir das beste,

       Daß mich die Erde bedeckt, wenn du stirbst: bleibt doch mir in Zukunft

       Nie ein anderer Trost, wenn dich wegraffte das Schicksal:

       Nein, nur Trauer: lang ist mein Vater dahin und die Mutter:

       Du nur allein bist Vater mir jetzt und Mutter und alles… –›»

      Sie las nicht weiter: die großen runden Augen wurden feucht, ihre Stimme versagte; sie neigte das blasse Haupt.

      «Valeria», sprach eine milde Stimme, und Cassiodor beugte sich über ihre Schulter. «Tränen über dem Buch des Trostes? Aber was sehe ich die Ilias! Kind! Ich gab dir doch die Evangelien.»

      «Verzeih mir, Cassiodor. Es hängt mein Herz noch andern Göttern an als deinen. Du glaubst nicht: je gewaltiger von allen Seiten her die Schatten ernster Entsagung auf mich eindringen, seit ich bei dir bin und in diesen Mauern weile, desto krampfhafter klammert sich die widerstrebende Seele an die letzten Fäden, die mich mit einer andern Welt verbinden. Und zwischen Grauen und Liebe ratlos schwankt der Sinn.»

      «Valeria, du hast keinen Frieden in diesem Haus des Friedens gefunden. Wohlan, so zieh hinaus. Du bist ja frei und Herrin deines Willens. Kehre zurück zu jener bunten Welt, wenn du glaubst, dort dein Glück zu finden.»

      Sie aber schüttelte das schöne Haupt. «Es geht nicht mehr. Feindlich ringen in meiner Seele zwei Gestalten. Welche auch siege – ich verliere immer.»

      «Kind, sprich nicht so! Du kannst die beiden Mächte, Erdenlust und Himmelsseligkeit, nicht wie zwei gleiche Dinge in einer Waage wiegen.»

      «Weh denen», fuhr sie, wie mit sich selbst sprechend, fort, «welchen das Schicksal den gespaltnen Doppeltrieb in die Seele gepflanzt, der bald zu den Sternen nach oben, bald nieder zu den Blumen zieht. Sie werden keines der beiden froh.»

      «In dir, mein Kind», sprach Cassiodor, sich zu ihr setzend, «walten freilich unversöhnt deines weltlichen Vaters und deiner frommen Mutter Sinn. Dein Vater, ein Römer der alten Art, ein Kind der stolzen, rauhen Welt, kühn, sicher, selbstvertrauend, nach Gewinn und Macht strebend, wenig, allzuwenig, fürcht’ ich, ergriffen von dem Geist unseres Glaubens, der nur im Jenseits unsere Heimat sucht – in der Tat, Valerius, mein Freund, war mehr ein Heide denn ein Christ. Und daneben deine Mutter, fromm, sanft, aus einem Märtyrergeschlecht, den Himmel suchend und der Erde vergessend, auch sie hat wohl ein Teil von ihrem Wesen in dich… –»

      «Nein», sprach Valeria aufstehend und das edle Haupt kräftig zurückwerfend, «ich fühle nur des Vaters Art in mir. Kein Tropfen Blut neigt jener Seite zu. Die Mutter war viel krank und starb schon früh. Unter meines Vaters Augen wuchs ich auf; Iphigenia und Antigone und Nausikaa, Cloelia und Lucretia und Virginia waren die Freundinnen meiner Jugend. Nicht viele Priester sah man in des Kaufherrn Haus, und wenn er abends mit mir saß und las, so waren’s Livius und Tacitus und Vergilius, nicht das heilige Buch der Christen. So wuchs ich heran bis in mein siebzehntes Jahr, den Sinn allein auf diese Welt gerichtet. Denn auch die Tugenden, die der Vater pries und übte, sie galten nur dem Staat, dem Haus, den Freunden. Glücklich war ich in jener Zeit, ungespalten meine Seele.»

      «Du warst eine Heidin trotz des Taufwassers.»

      «Ich war glücklich. Da kamen wir auf einer Reise zuerst in diese Mauern mit ihrem Grabesernst, und dunkle, schwere Schatten fielen hier zuerst in meine Seele. Dich fand ich hier, und du entdecktest mir, was man mir bisher sorgfältig verborgen hatte, daß die Mutter in schwerer Krankheit mich schon vor meiner Geburt durch ein Gelübde dem ehelosen Leben im Kloster geweiht, wenn Gott sie und ihr Kind am Leben erhalte, und daß mein Vater, dem dieser Gedanke unerträglich, später mich vom Himmel eingelöst, indem er, freilich mit Zustimmung des Bischofs von Rom, statt die Tochter hinzugeben,