«Valeria, du hassest, scheint’s, was du verehren solltest.»
«Ich hasse es nicht. Ich fürchte es. Wohl war eine Zeit», – und ein Strahl der Freude flog über ihre Züge «da glaubte ich den dunklen Schatten für immer besiegt von einem hellen Gott des Lichts. Als ich zuerst des jungen Goten lachend Auge sah und seine sonnige Seele mich umschloß, als so viel Jugend, Schönheit, Liebe und Glück mich umfluteten, da wähnte ich wohl, für immer sei jener Bann gelöst. Aber es währte nicht lang.
Der finstre Gott des Schmerzes pochte vernehmlich an die goldne Wand, die ich zwischen ihn und mich gebaut, und immer näher drangen seine Schläge. Der Krieg bricht aus, mein teurer Vater fällt und nimmt einen verhängnisvollen Eid des Geliebten mit sich ins Grab. In Schutt versinkt das Haus meiner Ahnen, und ich muß flüchten aus meiner Vaterstadt. Sie fällt dem Feinde zu. Nur das Opfer eines köstlichen Lebens rettet mir den Geliebten. Die Woge des Krieges verschlägt ihn fern von mir.
Und wie ich erwache aus der Betäubung dieses Streichs, – find’ ich mich hier, in diesem großen Grabe, dem Ort meiner Bestimmung. Ach, du wirst sehen, der Himmel begnügt sich nicht mit dem leeren Grab. Er fordert auch die Leiche, die hineingehört.» – «Valeria! Du solltest Kassandra heißen.»
«Ja, denn Kassandra sah die Wahrheit, ihre Gesichte trafen ein!»
«Du weißt, wir erkennen einer Seele den Preis zu, die der Erde vergißt über dem Himmel. Aber Gott will erzwungene Opfer nicht. Und so sag’ ich dir, du quälst dich mit eitlem Vorwurf. Der Papst hat dich gelöst, so bist du frei.»
«Die Seele löst kein Papst. Der Papst nimm Gold, das Schicksal nicht. Du wirst erfüllt sehen, was ich dir ahnend vorhersage – nie werd’ ich glücklich, nie werd’ ich Totilas, und diese Stätte wird… –»
«Und wenn’s so wäre? Hängst du denn noch gar so fest an Glück und Hoffnung? Freilich, du bist noch jung. Aber Kind, ich sage dir: je früher du dich losmachst, desto größerem Weh entrinnst du. Ich habe die Welt und ihre falschen Freuden und Ehren alle gekostet und sie alle eitel und treulos gefunden. Nichts auf Erden füllt die Seele aus, die nicht von dieser Erde ist. Wer das erkennt, der sehnt sich hinweg aus dieser Welt der Unrast und der Sünde. Erst in der Welt jenseits des Grabes ist deine Heimat. Dahin verlangt die ganze Seele… –»
«Nein, nein, Cassiodor», rief die Römerin, «meine ganze Seele verlangt nach Glück auf dieser schönen Erde! Ihr gehör’ ich an! Auf ihr fühl’ ich mich heimisch. Blauer Himmel, weißer Marmor, rote Rosen, linde, duftgefüllte Abendluft: – wie seid ihr schön!
Das will ich einatmen mit entzückten Sinnen! Wer das genießt, ist glücklich! Weh dem, der es verloren! Von deinem Jenseits hab’ ich kein Bild in meiner bangen Seele! Nebel, Schatten – graues Ungewiß allein liegt jenseits des Grabes. Wie spricht Achilleus?
‹Tröste mich doch nicht über den Tod! Du kannst nicht, Odysseus.
Lieber ja möcht’ ich das Feld als Lohnarbeiter bestellen
Für den bedürftigen Mann, dem nicht viel Habe geworden,
Als hier allzumal die Schatten der Toten beherrschen.›
So empfind’ auch ich. Weh dem, den nicht die goldne Sonne mehr bescheint. O wie gern, wie gern wär’ ich glücklich in dieser schönen Welt, in meinem schönen Heimatland: wie fürcht’ ich das Unheil, das doch unaufhaltsam näher dringt, wie hier auf dieser Wand mit der sinkenden Sonne die Schatten unhörbar, doch unhemmbar wachsen. Oh, wer ihn aufhielte, den furchtbar nahenden Schatten meines Lebens!»
Da drang vom Eingang her ein heller, kräftiglust’ger Schall, ein fremder Ton in diesen stillen Mauern, die nur vom leisen Choral der Jungfraun widertönten. Die Trompete blies den muntern, kriegerischen Feldruf der gotischen Reiter: belebend drang der Ton in die Seele Valerias.
Aus dem Wohngebäude aber eilte der alte Pförtner herbei. «Herr», rief er, «keckes Reitervolk lagert vor den Mauern. Sie lärmen und verlangen Fleisch und Wein. Sie lassen sich nicht abweisen und der Führer: – da ist er schon –»
«Totila!» jauchzte Valeria und flog dem Geliebten entgegen, der in schimmernder Rüstung, vom weißen Mantel umwallt, waffenklirrend, heranschritt.
«O du bringst Luft und Leben!» – «Und neues Hoffen und die alte Liebe», rief Totila. Und sie hielten sich umschlungen.
«Wo kommst du her? Wie lang bist du mir fern geblieben!» – «Ich komme geradewegs von Paris und Aurelianum, von den Höfen der Frankenkönige. O Cassiodor, wie gut sind jene daran jenseits der Berge! Wie leicht haben sie’s! Da kämpft nicht Himmel und Boden und Erinnerung gegen ihre Germanenart. Nahe ist der Rhenus und Danubius, und ungezählte Germanenstämme wohnen dort in alter, ungebrochner Kraft: – wir dagegen sind wie ein vorgeschobner, verlorner Posten, ein einzelner Felsblock, den rings feindliches Element benagt.
Doch desto größer», sprach er sich aufrichtend, «ist der Ruhm, hier, mitten im Römerland, Germanen ein Reich zu bauen und zu erhalten.
Und welcher Zauber liegt auf deinem Vaterland, Valeria. Es ist das unsre auch geworden! Wie frohlockte mein Herz, als mich wieder Oliver und Lorbeer begrüßten und des Himmels tiefes, tiefes Blau. Und ich fühlte klar: wenn mein edles Volk sich siegreich erhält in diesem edlen Land, dann wird die Menschheit ihr edelstes Gebilde hier erstehen sehn.»
Valeria drückte dem Begeisterten die Hand.
«Und was hast du ausgerichtet?» fragte Cassiodor.
«Viel! – Alles! Ich traf am Hofe des Merowingen Childibert Gesandte von Byzanz, die ihn schon halb gewonnen, als sein Bundesgenosse in Italien einzufallen. Die Götter – vergib mir, frommer Vater –, der Himmel war mit mir und meinen Worten. Es gelang, ihn umzustimmen. Schlimmstenfalls ruhen seine Waffen ganz. Hoffentlich sendet er uns ein Heer zu Hilfe.»
«Wo ließest du Julius?»
«Ich geleitete ihn bis in seine schöne Heimatstadt Avenio. Dort ließ ich ihn unter blühenden Mandelbäumen und Oleandern. Dort wandelt er, fast nie mehr den Platon, meist den Augustinus in der Hand und träumt und träumt vom ewigen Völkerfrieden, vom höchsten Gut und von dem Staate Gottes! Wohl ist es schön in jenen grünen Tälern: – doch neid’ ich ihm die Muße nicht. Das Höchste ist das Volk, das Vaterland! Und mich verlangt’s, für dieses Volk der Goten zu kämpfen und zu ringen. Überall, wo ich des Rückwegs kam, trieb ich die Männer zu den Waffen an. Schon drei starke Scharen traf ich auf dem Wege nach Ravenna. Ich selber führe eine vierte dem wackern König zu. Dann geht es endlich vorwärts gegen diese Griechen, und dann: Rache für Neapolis!» Und mit blitzenden Augen hob er den Speer – er war sehr schön zu schauen.
Entzückt warf sich Valeria an seine Brust. »O sieh, Cassiodor, das ist meine Welt! meine Freude! mein Himmel! Mannesmut und Waffenglanz und Volkesliebe und diese Seele in Lieb’ und Haß bewegt – füllt das die Menschenbrust nicht aus?»
«Jawohl: im Glück und in der Jugend! Es ist der Schmerz, der uns zum Himmel führt.»
«Mein frommer Vater», sagte Totila, mit der Linken Valeria an sich drückend, mit der Rechten an seine Schulter rührend, «schlecht steht mir an, mit dir, dem