Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane. Felix Dahn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felix Dahn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027222049
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hielt er’s nicht mehr aus. Er zog leise seinen Herrn am Mantel: «Herr, paßt auf, ich weiß euch guten Rat, hört ihr nicht?»

      «Was kannst du raten?»

      «Kommt mit, auf und davon! Werft euch auf mein Pferd und reitet frisch davon mit Frau Rauthgundis. Ich komme nach. Laßt ihnen doch, die euch so quälen, daß euch die hellen Tropfen im Auge stehen, laßt ihnen doch den ganzen Plunder von Kron’ und Reich. Euch hat’s kein Glück gebracht: sie meinen’s nicht gut mit euch: wer will Mann und Weib scheiden um eine tote Krone? Auf und davon, sag’ ich! Und ich weiß euch ein Felsennest, wo euch nur der Adler findet oder der Steinbock.»

      «Soll dein Herr von seinem Reich entlaufen, wie ein schlechter Sklave aus der Mühle? Leb’ wohl, Witichis, hier nimm die Kapsel mit dem blauen Band: des Kindes Stirnlocken sind darin und eine», flüsterte sie, ihn auf die Stirn küssend und das Medaillon umhängend, «und eine von Rauthgundis. Leb’ wohl, du mein Leben!»

      Er richtete sich auf, ihr ins Auge zu sehen.

      Da trieb sie das Pferd an: «Vorwärts, Wallada», und sprengte hinweg: Wachis folgte im Galopp, Witichis stand regungslos und sah ihr nach.

      Da hielt sie, ehe die Straße sich ins Gehölz krümmte – nochmals winkte sie mit der Hand und war gleich darauf verschwunden.

      Witichis lauschte wie im Traum auf die Hufschläge der eilenden Rosse. Erst als diese verhallt, wandte er sich.

      Aber es ließ ihn nicht von der Stelle.

      Er trat seitab der Straße, dort lag jenseits des Grabens ein großer moosiger Felsblock: darauf setzte sich der König der Goten und stützte die Arme auf die Knie, das Haupt in beide Hände. Fest drückte er die Finger vor die Augen, die Welt und alles draußen auszuschließen von seinem Schmerz.

      Tränen drangen durch die Hände, er achtete es nicht. Reiter sprengten vorüber, er hörte es kaum. So saß er stundenlang regungslos, so daß die Vögel des Waldes bis dicht an ihn heran spielten.

      Schon stand die Sonne im Mittag.

      Endlich – hörte er seinen Namen nennen. Er sah auf: Teja stand vor ihm.

      «Ich wußt’ es wohl», sagte dieser, «du bist nicht feig entflohn. Komm mit zurück und rette das Reich. Als man dich heut’ nicht in deinem Zelte fand, kam’s gleich im ganzen Lager aus: du habest, an Krone und Glück verzweifelnd, dich davongemacht.

      Bald drang’s in die Stadt und zu Guntharis: die Ravennaten drohen einen Ausfall, sie wollen zu Belisar übergehn. Arahad buhlt bei unsrem Heer um die Krone. Zwei, drei Gegenkönige drohn. Alles fällt in Trümmer auseinander, wenn du nicht kommst und rettest.»

      «Ich komme», sagte er, «sie sollen sich hüten! Es brach das beste Herz um diese Krone; sie ist geheiligt, und sie soll’n sie nicht entweihn. Komm, Teja, zurück ins Lager.»

      Fünftes Buch:

       Witichis Zweite Abteilung

       Inhaltsverzeichnis

      Erstes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Im Lager angelangt, fand König Witichis alles in höchster Verwirrung; gewaltsam riß ihn die drängende Not des Augenblicks aus seinem Gram und gab ihm vollauf zu tun.

      Er traf das Heer in voller Auflösung und in zahlreiche Parteiungen zerspalten. Deutlich erkannte er, daß der Fall der ganzen gotischen Sache die Folge gewesen wäre, hätte er die Krone niedergelegt oder das Heer verlassen.

      Manche Gruppen fand er zum Aufbruch bereit.

      Die einen wollten sich dem alten Grafen Grippa in Ravenna anschließen. Andere zu den Empörern sich wenden, andere Italien verlassend über die Alpen flüchten. Endlich fehlte es nicht an Stimmen, die für eine neue Königswahl sprachen: und auch hierin standen sich die Parteien waffendrohend gegenüber.

      Hildebrand und Hildebad hielten noch diejenigen zusammen, die an des Königs Flucht nicht glauben wollten. Der Alte hatte erklärt, wenn Witichis wirklich entflohen, wolle er nicht ruhen, bis der eidbrüchige König wie Theodahad geendet. Hildebad schalt jeden einen Neiding, der also von Witichis denke. Sie hatten die Wege zur Stadt und nach dem Wölsungenlager besetzt und drohten, jeden Abzug nach diesen Seiten mit Gewalt zurückzuweisen, während auch bereits Herzog Guntharis von der Verwirrung Kunde erhalten hatte und langsam gegen das Lager der Königlichen anrückte.

      Überall traf Witichis auf unruhige Haufen, abziehende Scharen, Drohungen, Scheltworte, erhobene Waffen – jeden Augenblick konnte auf allen Punkten des Lagers ein Blutbad ausbrechen. Rasch entschlossen eilte er in sein Zelt, schmückte sich mit dem Kronhelm und dem goldenen Stab, stieg auf Boreas, das mächtige Schlachtroß, und sprengte, gefolgt von Teja, der die blaue Königsfahne Theoderichs über ihn hielt, durch die Gassen.

      In der Mitte des Lagers stieß er auf einen Trupp von Männern, Weibern und Kindern – denn ein gotisches Volksheer führte auch diese mit sich –, der sich drohend gegen das Westtor wälzte.

      Hildebad ließ die Seinen mit gefällten Speeren in die Tore treten.

      «Laßt uns hinaus», schrie die Menge, «der König ist geflohen, der Krieg ist aus, alles ist verloren, wir wollen das Leben retten.» – «Der König ist kein Tropf wie du», sagte Hildebad, den Vordersten zurückstoßend. – «Ja, er ist ein Verräter», schrie dieser, «er hat uns alle verlassen und verraten um ein paar Weibertränen.»

      «Ja», schrie ein anderer, «er hat dreitausend von unseren Brüdern hingeschlachtet und ist dann entflohn.»

      «Du lügst», sprach eine ruhige Stimme, und Witichis bog um die Lagerecke.

      «Heil dir, König Witichis!» schrie der riesige Hildebad, «seht ihr ihn da! Hab’ ich’s nicht immer gesagt, ihr Gesindel? Aber Zeit war’s, daß du kamst – sonst ward es schlimm.»

      Da sprengte von rechts Hildebrand mit einigen Reitern heran: «Heil dir, König, und der Krone auf deinem Helm. – Reitet durch das Lager, Herolde, und kündet, was ihr saht: und alles Volk soll rufen: ‹Heil König Witichis, dem Vielgetreuen.›»

      Aber Witichis wandte sich schmerzlich von ihm ab. –

      Die Boten schossen wie Blitze hinweg; bald scholl aus allen Gassen der donnernde Ruf: «Heil König Witichis», und von allen Seiten stimmten die jüngst noch Hadernden einig in diesem Ruf zusammen.

      Sein Blick flog mit dem Stolz tiefsten Schmerzes über die Tausende. Und Teja sprach hinter ihm leise: «Du siehst, du hast das Reich gerettet.»

      «Auf, führ’ uns zum Sieg!» rief Hildebad, «denn Guntharis und Arahad rücken an. Sie wähnen, uns ohne Haupt in offenem Zwist zu überraschen! Heraus auf sie! Sie sollen sich schrecklich irren; heraus auf sie und nieder die Empörer.» – «Nieder die Empörer!» donnerten die Heermänner nach, froh, einen Ausweg ihrer tieferregten Leidenschaft zu finden.

      Aber der König winkte mit edler Ruhe: «Stille! Nicht noch einmal soll gotisch Blut fließen von gotischen Waffen. Ihr harret hier in Geduld: du, Hildebad, tu mir auf das Tor. Niemand folgt mir: ich allein gehe zu den Gegnern. Du, Graf Teja, hältst das Lager in Zucht, bis ich wiederkehre. Du aber, Hildebrand» – er riefs mit erhobener Stimme –, «reit an die Tore von Ravenna und künde laut: sie sollen sie öffnen. Erfüllt ist ihr Begehr, und noch vor Abend ziehen wir ein: der König Witichis und die Königin Mataswintha.»

      So gewaltig und ernst sprach er diese Worte, daß das Heer sie mit lautloser Ehrfurcht vernahm.

      Hildebad öffnete die Lagerpforte: man sah die Reihen der Empörer im Sturmschritt heraneilen: laut scholl ihr Kriegsruf, als sich das Tor öffnete.

      König Witichis gab an Teja sein Schwert und