»Pass auf, Lu, der Plan hat sich etwas geändert«, sagt Terrie nun. »Kyle und ich fahren mit dem Bronco, bis wir euch treffen. Wir sind jetzt im Auto auf dem Weg zu Bonner`s Ferry und fahren dann gleich durch Champion.«
»Ihr fahrt?«, fragt Lu irritiert, während sie dem Kassierer zunickt und nach draußen in die kalte Winterluft tritt. »Ist denn einer der Busse kaputt? Oder sind die zu schnell voll gewesen?«
»Nein, an den Bussen liegt es nicht«, erklärt Terrie. »Da läuft alles pünktlich und glatt nach Plan.«
»Okay, woran liegt's dann, Mom?«, fragt Lu aufgeregt. »Du machst mir langsam Angst.«
Lu hebt eine Hand und wirbelt mit den Fingern durch die Luft. Hal sieht es, dreht sich um und pfeift laut. Alle Gefängniswärter, die die Busse zur Verstärkung begleiten, laufen jetzt mit den US-Marshals zu ihren Fahrzeugen.
»Ich will dir auf keinen Fall Angst einjagen, okay«, sagt Terrie. »Versprich mir, dass du keine Angst bekommst!«
Lu kann Kyles Stimme im Hintergrund hören, aber Terrie sagt ihm, dass er still sein und fahren soll.
»Verdammt noch mal, Mom! Jetzt spuck's endlich aus!«, ruft Lu entnervt.
Talley sieht sie an und runzelt die Stirn, aber Lu schüttelt nur den Kopf und zeigt auf seinen Bus. Er springt mit zwei Gefängniswärtern hinein, und die Bustüren schließen und verriegeln sich daraufhin hinter ihnen. Lu wartet darauf, dass ihre zwei Wärter ebenfalls in den Bus steigen, und folgt ihnen sofort hinein. Drinnen sitzt der Fahrer sicher in seinem Stahlkäfig, hinten noch zwei Wärter ebenfalls in einem Stahlkäfig am Ende des Busses, und zehn Insassen sind in der Mitte des Fahrzeugs mit Handschellen an ihre Sitze gefesselt. Lu setzt sich neben die zwei Wärter, die mit ihr den Bus bestiegen haben, und starrt durch den Stahldraht hindurch, der keine dreißig Zentimeter vor ihrem Gesicht hängt.
Alle Augen sind nun auf sie gerichtet und sie muss sich anstrengen, nicht unwillkürlich zu erschaudern.
»Er hat Champion gefunden«, sagt Terrie mit ruhiger und kühler Stimme. »Uns hat er zwar nicht aufgespürt, aber er ist definitiv hier.«
Lu verliert ihren Kampf gegen das Erschaudern und beginnt zu zittern. Einer der Insassen fängt ihren Blick auf und lächelt. Sie schiebt ihre Sonnenbrille hinunter, starrt ihn wütend an und zeigt ihm den Mittelfinger. Sein Lächeln wird daraufhin nur noch breiter.
Es hupt laut und der Fahrer sieht über seine Schulter zu Lu.
»Sind wir abfahrbereit, Marshal?«, fragt der Fahrer daraufhin.
»Ja«, antwortet Lu. »Wir sind bereit. Fahren Sie los.« Sie wendet ihre Aufmerksamkeit wieder dem Telefonanruf zu. »Pass auf, Mom, ich werde dich zurückrufen müssen. In spätestens fünfzehn Minuten sollte es klappen. Ich muss nur sichergehen, dass wir zurück auf die I-15 kommen und zu euch unterwegs sind.«
»Ich verstehe, Sweetheart«, antwortet Terrie. »Ich kenne das ja. Mach du nur deinen Job und sei dir sicher, dass ich meinen mache. Ich werde den Mann niemals an unseren Jungen heranlassen, hörst du?«
»Ich höre«, erwidert Lu. »Danke, Mom.«
»Mir brauchst du nicht zu danken, dass ich diese Familie beschütze«, antwortet Terrie. »Das ist die Pflicht jeder Mutter, und genau dafür hat Gott mich auf diese Erde gesetzt.«
»Ich ruf dich in fünfzehn Minuten zurück«, sagt Lu und drückt das Gespräch weg.
Es kostet sie ihre ganze Kraft, die Tränen und einen Schrei zu unterdrücken. Sie kann es sich einfach nicht leisten, vor den Gefangenen Schwäche zu zeigen. Männer wie diese können Schwäche förmlich riechen, und selbst mit Handschellen würden sie noch einen Weg finden, diese Schwäche zu ihrem Vorteil auszunutzen.
Der Buskonvoi fährt jetzt auf die Straße und stoppt nur kurz, sodass die National Guard Soldaten ihn passieren lassen können, und ist dann auf dem Weg zur I-15 Auffahrt, und weiter nach Norden zur I-90 und Coeur d'Alene unterwegs.
Er hat sie gefunden, denkt Lu. Wie in aller gottverdammten Scheißwelt konnte er …? Scheiße …
Sie sieht auf ihr Handy und wird sich plötzlich bewusst, dass das einzige Mal, das sie je die Sicherheitsvorkehrungen gebrochen hatten, der Grund dafür sein musste. Lu hofft nur, dass die in Wochen, Tagen oder auch nur Minuten bevorstehende Eruption des Supervulkans den Mann auf seiner Jagd behindern wird.
Sie hofft es, aber sie macht sich nichts vor, denn dafür kennt sie den Mann leider zu gut.
***
Linder steigt gerade aus dem letzten Bus, als der Bronco die Straße heruntergefahren kommt. Er dreht sich um, wirft einen Blick auf das Auto und schaut dann den Fahrer kurz an: Ein Teenager, dessen riesiger Hund auf dem Beifahrersitz thront. In Montana vermutlich keine Seltenheit. Er wünscht dem Jungen gerade insgeheim Glück, es aus dieser Aschewüste herauszuschaffen, als er Sheriff Stieglitz dabei ertappt, den Bronco ganz genau zu beobachten.
Anschließend dreht sie sich um und sieht ihm intensiv ins Gesicht.
Linder zwingt sich, zu seinem Auto zurückzugehen, und keinen Blick mehr über seine Schulter auf den Bronco zu werfen. Wäre dies ein Pokerspiel, dann hätte Sheriff Stieglitz schon verloren, da sie ihren Bluff ganz offensichtlich verraten hat.
»Danke für Ihre Hilfe, Sheriff«, sagt Linder nun, während er die Asche vom Seitenfenster auf der Fahrerseite wischt, die Tür öffnet und einsteigt.
»Keine Ursache, Agent Linder«, erwidert Stephie. »Hoffentlich schaffen Sie's noch ohne Probleme nach Sacramento zurück.«
Für den Bruchteil einer Sekunde hält Linder inne, dann nickt er, lässt den Motor an und fährt los. Er lenkt den Wagen in die Richtung, aus der er gekommen ist, was dieselbe Richtung ist, in die auch der Bronco unterwegs ist, winkt Sheriff Stieglitz zu und fährt davon.
Sein erster Gedanke ist es, woher Sheriff Stieglitz wohl wusste, dass er für das Sacramento Office arbeitet, obwohl er es ihr nicht gesagt hatte. Er zieht sein Handy aus der Tasche und sieht, dass er inzwischen über dreißig Nachrichten hat, von denen die meisten in der letzten halben Stunde hinterlassen worden sind.
»Das Miststück hat mir hinterhergeschnüffelt«, sagt Linder lachend zu sich selbst. »Was sie sich wohl einbildet, damit zu erreichen? Mir eine Abmahnung einzubrocken? Dass ich gefeuert werde? Für so was ist es schon viel zu spät.«
Er macht die Stereoanlage an und beginnt, Hank Williams' Cold, Cold Heart mitzusingen.
***
»Er verfolgt euch«, sagt Stephie in der Sekunde, in der Terrie das Gespräch annimmt.
Terrie, die sich gerade in ihrem Versteck auf dem Rücksitz des Broncos aufrecht hinsetzen will, hält inne.
»Woher weißt du das?«, fragt Terrie.
»Ist alles okay?«, fragt Kyle vom Fahrersitz aus.
»Konzentrier du dich lieber auf die Straße«, entgegnet Terrie. »Mach dir um andere Sachen keine Sorgen.«
»Der Mann ist genauso paranoid, wie du gesagt hast«, antwortet Stephie. »Ich hab nur ganz kurz zu euch hingesehen, und das ist ihm sofort aufgefallen. Vielleicht liege ich falsch, aber mein Gefühl sagt mir das Gegenteil.«
»Okay«, erwidert Terrie seufzend. »Wir werden also auf Schleichwegen nach Bonner's Ferry fahren müssen. Vielleicht verpassen wir euch dann aber. Fahrt einfach weiter, wenn wir nicht da sind. Wir holen euch in Coeur d'Alene schon wieder ein.«
»Was, wenn er versucht, euch aufzuhalten? Bist du darauf auch vorbereitet?«, fragt Stephie.
Terrie wirft einen Blick auf die .45 Kaliber Pistole in ihrer Hand und lacht. »Wenn ich nach zehn Jahren als Grenzbeamtin und weiteren zwanzig Jahren bei den Marshals nicht darauf vorbereitet bin, verdient es der Mann