Und auf Erden kann der Henker
Nimmer Gottes Anwalt sein!«
Da blökte das Lamm gar kläglich und verschwand, und wieder ward es stille wie zuvor.
Nach einer Weile begannen zwei Stimmen neben ihm zu sprechen, eine scharfe, schneidige führte das Wort und die andere zischte manchmal eine Bemerkung dazwischen.
»Klug gehandelt!« sagte die erste Stimme. »Es ist viel ehrender, dem eigenen Kopfe alles zu verdanken, als fremden Fäusten! Fehlten diese, was würde wohl aus manchen Größen? Ich frage!« –
»Staub sollten sie fressen und doch nicht klug werden bei dieser Kost,« zischte lachend die andere Stimme.
»Genug Bausteine für unvergängliche Größe,« fuhr die erste Stimme fort, »findet der kluge Kopf an den schwachen Köpfen seiner Mitlebenden. Reizt dich ein Besitz, locke oder schrecke den Eigner heraus. Steht dir jemand im Wege, lehre ihn selber die Schlinge drehen, in der er sich fangen muß. Wer dir droht, den schmeichle ins Verderben. Wer dir schmeichelt, dem mißtraue. Krumme Wege, aber sicher.«
»Krumme Wege, kluge Wege,« zischte die andere Stimme.
»So wird dein Besitz sich mehren, deine Feinde sich mindern, dein Wort mehr als ein Schwertstreich wiegen, du wirst gefürchtet und bewundert sein. Allüberall in der Natur erweiset sich das Klügere dem Stärkeren überlegen und mit urew'gem Rechte gebrauchest du des Geistes Uebermacht! Von dir abhängig fühlen sich die Beschränkten und als dem Klügeren handlangern die Klugen dir, denn ohne dich steht doch nichts zu erreichen, und du wirst aller Zweck und Mittel, indem du als aller Mittel Zweck dich selber setzest!«
Da sprach der Prinz leise den ersten Spruch und sah im Aufleuchten des fahlen Scheines Fuchs und Schlange neben sich. Er sprach sofort:
»Wohl hat List auf krummen Wegen
Manchen nach dem Ziel gewiesen.
Aber seines Namens Segen
Wird von Sklaven nur gepriesen!«
Da verschwanden auch Fuchs und Schlange und kurz darauf, als hätte sie es nicht abwarten können, daß sie zu Worte komme, begann eine geschraubte, näselnde Stimme:
»Eh, langweiliges Volk da, miteinander! Was? He? – Floskeln, Phrasen, Worte, Flausen – weiter nichts! Was? He? – Bin froh, nur einmal einzig vernünftiges Wort aussprechen zu können, heißt: Genuß! Genuß, was? He? Nicht? – Wozu sonst auf der Welt, als wegen Genießen? Was sonst Zweck und Verstand im ganzen Universum, als Genießen? Was sonst göttliches, natürliches, politisches, eh, soziales Recht, als Genießen?! Alles andere Unsinn! Was? He? Leben sonst gar nicht der Mühe wert. Staat schafft Industrie, Natur schafft Kunst, beide: Komfort! Wozu sonst feuriger Wein gewachsen, wenn nicht sollte getrunken werden? Wozu sonst hübsche Frauen und Mädchen ...«
Lachend unterbrach der Prinz den Redner mit dem ersten Sprüchlein, und neben ihm stand ein Affe.
Der Prinz griff in die Tasche und gab ihm einen Apfel. »Da genieße!«
Der Affe dankte sehr artig und verschwand.
Wieder ward es stille, aber ganz stille, selbst das Geriesel der Tropfen hatte aufgehört, da schritt es durch das Dunkel auf den Prinzen zu, er fühlte seine Rechte von einer warmen Menschenhand ergriffen und er vernahm folgende Worte:
»An allem erfreu
Die offenen Sinnen,
Und bleib dir getreu
Bei jedem Beginnen!«
Der Prinz hielt die Hand des Sprechers, die sich sanft aus der seinen lösen wollte, fest, denn die Stimme klang ihm gar bekannt, und er wollte eben eine Frage stellen, als sich von der eisernen Pforte her ein ungeheurer Lärm erhob und dieselbe, von wuchtigen Axtschlägen zertrümmert, einbrach, durch die entstandene Lücke drangen gleich hinter dem zuströmenden Tageslichte die Herren vom Gefolge herein. Diesmal hatte es doch gar zu lange gedauert, sie hatten sich müde geängstigt und gehorcht, denn diesmal konnten sie lauschen, der Einsiedler hatte kurze Zeit nach des Prinzen Eintritt seinen sonstigen Posten verlassen; sie waren daher sehr erstaunt, den Alten hier mit dem Prinzen Hand in Hand zu treffen, vielleicht nicht weniger erstaunt als der Prinz selbst, der sich nun von ihm aus der Höhle leiten ließ.
Der Prinz hieß sogleich alles zur Rückreise rüsten, es war auch sehr bald alles zum Aufbruche bereit, denn die Herren des Gefolges, welche sehr froh waren, fortzukommen, hatten schon alle Vorbereitungen in dieser Hinsicht getroffen.
Bis das Pferd vorgeführt wurde, hatte der Prinz schweigend neben dem alten Weisen gestanden, jetzt, bevor er sich in den Sattel schwang, umarmte er den ihm lieb gewordenen Berater und dieser faßte ihn zum Abschiede noch einmal an der Hand und sagte:
»An allem erfreu
Die offenen Sinnen
Und bleib dir getreu
Bei jedem Beginnen!«
Lange blickte er den Dahinziehenden nach und lange noch wandte der Prinz sein Pferd.
Monosogoporibius I. empfing mit gewohnter Güte seinen dritten Neffen und nachdem er ihm gleich den andern probeweise das Regiment übertragen hatte, zog er sich wieder auf sein Jagdschloß zurück. –
Jahre vergingen, seine Ruhe wurde nicht gestört, er war uralt geworden und fühlte sein Ende nahe, da ließ er eines Tages alles zur Reise rüsten, bestieg eine Sänfte und ließ sich durch das Land nach der Hauptstadt tragen.
Sie waren eine Tagreise weit gekommen, da fragten die Leute am Wege bei den Herren des Gefolges an, wer denn da so vornehm reise.
»Nun,« sagte einer der Herren, »euer König!«
»Ei, Herr,« sagte ein alter Bauer, »Ihr wollt Euch wohl über arme Leute lustig machen! Aber unseren König kennen wir wohl, der ist noch in den besten Jahren, und so kann er doch nicht über Nacht zusammengeschnorrt sein, wie der da in der Sanfte!«
»Aber,« sagte der Herr vom Gefolge, »das ist doch euer rechter und wahrhafter König, Monosogoporibius I.«
Da zog der Bauer die Mütze und sagte: »Je der Tausend, ich hätte nicht gedacht, daß der noch lebt! Nun lebe er noch tausend Jahre, vorausgesetzt, daß das ihn selber nicht verdrießen möchte! Das war ein gar schönes Stück von ihm, wie er das Ketzerbraten im Lande eingestellt hat, da war ich selber noch als lediger Bursche dabei. Nun, Gott tröste ihn! Nichts für ungut, man kann es fast nicht glauben, daß er noch leben soll! Aber nicht wahr, den jetzigen nimmt er uns nicht weg? Das wäre hoch gefehlt. Ah, das wird er wohl nicht?«
»Nein, nein, das wird er nicht!« lächelte Monosogoporibius I. seelenvergnügt in der Sänfte.
Sein Neffe holte ihn, sobald er von seinem Nahen unterrichtet wurde, mit allen Ehren ein. Monosogoporibius I. aber merkte seine letzte Stunde gekommen, er versammelte im Königsschlosse alle Großen des Reiches um sein Sterbebette, und außen um den Palast drängte sich das Volk. Noch einmal, das letzte Mal, mußte sein alter Hofsekretär ihm ein Schriftstück unterbreiten, das Testament; das war nicht so schön geschrieben, man sah den Buchstaben an, daß manchmal die Hand des Schreibers leise gezittert hatte, der alte König warf ihm einen strengen Blick zu, aber als er ihm die Feder abnahm, drückte er ihm wieder leise die Hand. Der dritte Neffe wurde zum Erben des Reiches eingesetzt und hatte den Namen Monosogoporibius II. zu führen.
Er mußte auf den Wunsch seines erlauchten Oheims sogleich das Manifest über seinen Regierungsantritt dem alten Hofsekretär in die Feder diktieren.
Der Neffe gab erst dem Schmerze über den Verlust seines Oheims mit wenigen, aber liebevollen Worten beredten Ausdruck, dann sagte er, er erneuere nur das Versprechen, das er in seinem ersten Manifeste seinen Völkern gegeben habe, so zu regieren, daß sie es nur merken sollten an der Wohlfahrt des gemeinen Wesens.
Dann mußte er unterschreiben, der Sekretär reichte dem alten Könige, der freudig aufgehorcht hatte, das Blatt, und als Monosogoporibius I. in sicheren und schönen Zügen »Monosogoporibius II.« las, da war er ganz