Was aber die Klage über die mehr und mehr um sich greifende Glaubenslosigkeit anlangt, so habe ich dieselbe hingenommen wie jedermann, ungefragt, ob sie berechtigt oder übertrieben sei, dachte jedoch, daß es ein großes Unglück wäre, wenn durch sie den ehrlichen Leuten, die an echter Frömmigkeit festhalten, ihre gleichfalls ehrlichen Mitmenschen, die im Anstürme der Zweifel den Glauben einbüßten, entfremdet würden, – nach Heuchlern und Hetzern, Laurern und Lumpen frag' ich ja nicht, – und da hielt ich für dienlich zur Beruhigung der ehrlich Frommen manchmal auch darauf hinzuweisen, daß das, was den Menschen zum Menschen macht, in den Tiefen seiner Seele sitzt, daß es wohl durch den Glauben verklärt, aber nicht mit selbem abgelegt werden kann, daß das Sittengesetz ein ewiges sei und ein Verstoß dagegen gleich drückend und quälend sich heimzahlt, ob er nun von dem Gläubigen als Sünde, oder von dem Glaubenslosen als Schuld empfunden wird.
Nun, lieber Leser, das gehört so mit zu dem »Belehrsamen«, davon wirst du auch in den folgenden Erzählungen zur Genüge finden und in dieser Hinsicht sind sie richtige »Kalendergeschichten«, daß du sie auch im andern Sinne als solche gelten lassen müßtest, – als Geschichten, die man gerne des öftern liest, wo über das letzte Wort hinaus Gedanken sich fortspinnen und Gefühle nachklingen, – das ist mein vielleicht nicht bescheidener, aber desto aufrichtigerer Wunsch.
Wien, im Frühjahr 1882.
Ludwig Anzengruber.
Die drei Prinzen
Ein Märchen
Es war einmal ein guter, alter König; böswillige Leute behaupteten zwar, er wäre so gut wie gar keiner gewesen, das heißt, man vermerkte es in seinem Reiche nicht, daß es da überhaupt einen Herrn König gäbe; aber er selbst war ganz davon überzeugt, denn als sein hochseliger Vater verstorben war, da kamen die Großen des Landes zu ihm und sagten: Geruhen Sie jetzt allergnädigst uns zu regieren! Er hatte damals gleich eine huldvolle Antwort zur Hand, denn er hatte es ja vorausgesehen, daß es so kommen würde und war nicht unvorbereitet und so übernahm er denn die Regierung und setzte die Jahre durch unter alle Schriftstücke, die es nötig hatten, seinen leserlichen Namenszug; gab es etwas Gutes für das allgemeine Beste, oder Belohnungen und Gnadenakte, da that er einen Mundsprung und es flog ihm das »Monosogoporibius I.«, so hieß er nämlich, nur von der Hand, als ob es eine einzige Silbe wäre; betraf es aber Steuerausschreibungen, Rügen oder etwa gar Strafen, da hatte er erst lange an der Feder herumzuschnitzeln, mußte sich noch länger auf seinen Namen besinnen und der Herr Hofsekretär, der ihm die Papiere zur Unterschrift unterbreitete, hatte stets auf der Hut zu sein, daß Seine Majestät sich nicht in der Zerstreuung statt der Streusandbüchse des Tintenfasses bediente; darum liebte ihn das Volk und er liebte es wieder.
Monosogoporibius I. war kinderlos, hatte aber drei Neffen, unter welchen ihm frei stand, seinen Thronfolger zu erwählen, das machte ihm denn schwere Sorge; obwohl er sich gestehen mußte, daß er sein ganzes Leben lang immer nur unterschrieben habe, und daß ein anderer – natürlich aber wieder nur ein Prinz – dasselbe zu leisten leicht im stande sein dürfte, so konnte er sich doch nicht verhehlen, daß Falle eintreten könnten, wo man seiner, Monosogoporibius I., bedauernd und klagend sich erinnern möchte, da er nur den einen Ehrgeiz hatte, seinem Volke nie eine Thräne gekostet zu haben, so hatte er sich recht gut mit dem Gedanken abgefunden, daß nach seinem Tode niemand im Reiche seinen Abgang fühlen dürfte und die Liebe zu seinem Volke ließ ihn wünschen, daß Zeiten ferne bleiben mögen, wo man den Tag seines Hintrittes als Verlust empfinden könnte.
Als Monosogoporibius seine Kräfte merklich abnehmen fühlte, dachte er ernstlich daran, sich für einen seiner drei Neffen zu entscheiden; er dachte zuerst an den mit der hübschesten Handschrift, da er aber immer gewohnt war, den Rat der Großen seines Reiches einzuholen, so berief er sie auch diesmal vor die Stufen seines Thrones. Der alte Herr im Königsmantel, mit Krone, Scepter und Reichsapfel sah prächtig aus, wie auch die hohen Herren in ihren Galaröcken, an denen Sterne und Kreuze funkelten, einen überwältigenden Eindruck machten.
Der König stellte seine drei Neffen der Versammlung vor, obwohl sie jeder, der zugegen war, schon von früher sehr gut kannte, aber das heißt man Zeremoniell, und das muß sein; dann hielt er eine lange Rede über Regententugenden, das wegen der Handschrift behielt er aber für sich, darauf sollten sie selbst kommen, das heißt man Staatsklugheit, die muß gerade nicht sein, aber es ist gut, wenn man davon hat. Als der König mit der großen Rede fertig war, fragte er die Versammelten, was sie dazu meinten.
Die Versammlung gestand zu, daß Tugenden für einen Regenten erforderlich wären, je mehr, je besser, so viel eben zu haben wären, doch müsse man sich auch zu begnügen wissen. Einige sagten, Monosogoporibius solle ihnen nur einen Regenten geben, die Tugenden wollten sie dem Auserwählten dann schon selber glauben machen.
Aber der alte König schüttelte den Kopf.
Endlich trat ein Greis vor.
»Edler Monosogoporibius,« sagte er, »du denkst billig und gerecht, wenn du nur jenen von den drei Prinzen auf den Thron zu setzen gewillt bist, welcher der würdigste ist; aber indem du uns die Wahl zuschiebest, setzest du uns in arge Verlegenheit: schnell könnte sich für jeden Prinzen eine Partei bilden, denn gleich würdig erscheint ja ein jeder; krönt man endlich einen von ihnen, so wird er Feind aller derer sein, die früher zu seinen Brüdern gestanden, abgesehen davon, daß man solchergestalt leicht alle brüderliche Liebe in ihren Herzen austilgen und der Bruderzwist bis zum Bürgerkriege ausarten könnte.«
Da trocknete sich der gute, alte König den Schweiß von der Stirne. »Du bist ein entsetzlicher Mensch,« sagte er zu dem Sprecher, »du bringst mich um die Ruhe meiner Nächte!«
»Geruhe mich allergnädigst weiter anzuhören,« fuhr der Greis fort; »ich habe von den Gefahren einer Wahl gesprochen, weil sie nicht alle Stimmen für einen Prinzen ergeben wird, und wenn Stimmenmehrheit entscheiden soll, die beiden andern sich empfindlich zurückgesetzt fühlen dürften. Es ist somit in diesem Fall für alle Teile gut, wenn uns keine Wahl gelassen wird, und wenn derjenige Prinz dir auf dem Throne folgt, dessen Eigenschaften die Probe halten.«
»Wie meinst du das?« fragte Monosogoporibius.
»Ich vermeine, erhabenster Gebieter, du solltest, solange noch dein Auge wacht, jeden der Prinzen, einen nach dem andern, zur Probe das Reich regieren lassen. Ihre Reihenfolge mögen sie unter sich durch Abmachung oder durch das Los bestimmen. Jeder regiert so lange, bis etwa das Land sich durch seine Mißgriffe genötigt sieht, dich wieder auf den Thron zu rufen, der aber soll dein Nachfolger sein, der selbst, nach wohlverbrachter Probezeit, zum Bedauern des Volkes das Scepter in deine Hand zurücklegt.«
Monosogoporibius gestand sich, der Vorschlag habe etwas Unerhörtes und die Höflinge meinten, den Alten habe der Teufel geritten.
Aber als man die Stimmen für und wider sammelte, da blieb es bei dem Unerhörten, denn es zeigte sich eine ziemlich starke Partei dafür, der sich denn auch einige Unentschlossene zugesellten und ihr so zur Majorität verhalfen. Diese Partei, munkelt man, wäre eigentlich die der erlauchten Schwägerin des Königs, der Mutter der drei Prinzen, und von ihr sei auch auf diesen Tag der ehrwürdige Sprecher, des Teufels Reitpferd, vorgeritten worden; das heißt man Intrigue,