Die Großen des Reiches gaben die Krone wieder in seine Hand zurück und ihr Sprecher hielt dabei eine minder schöne Ansprache, wie das erste Mal, wo er Zeit hatte, sich gehörig darauf vorzubereiten. Dem alten König war recht bange wegen seines dritten Neffen, selbst die Prinzenmutter, seine erlauchte Schwägerin, warf sich ihm zu Füßen und bat, ihrem ältesten Sohne die Probe zu erlassen, und sollte er damit auch alle Ansprüche auf den Thron verwirken. War es gekränkte Mutterliebe, die es nicht mit ansehen wollte, daß gerade das am wenigsten geliebte Kind etwa erreichen könnte, was den beiden anderen Heißgeliebten versagt war? Oder war es wirklich besorgte Mutterliebe, die den letzten der Söhne nicht auf ein so gefährliches Spiel setzen wollte? Wer weiß es zu sagen? Vielleicht war es beides zugleich.
Aber Monosogoporibius I. sagte sich, daß nach seinem Ableben doch dieser dritte Neffe sein nächster Erbe sein würde und eben darum sollte auch er seine Probe ablegen, entweder er beruhigte ihn dadurch über die Zukunft seiner ohnehin schwer geprüften Unterthanen oder er verfehlte gleichfalls seine erhabene Aufgabe, dann sollte es die letzte Sorge des greisen Königs sein, einen würdigen Herrscher für das Reich aufzufinden.
Und so sah denn das Land mit banger Erwartung und mit wenig Hoffnung den letzten Prinzen aus seinem Fürstenhause den gleichen Weg dahinziehen, den vor ihm seine Brüder zurückgelegt hatten.
Als nun die traurige Oede wieder erreicht war und der Prinz der Hütte des weisen Einsiedlers ansichtig wurde, da erfüllte Wehmut sein Herz, denn er gedachte seiner Brüder, und ganz leise pochte er an.
Der Einsiedler erschien wie jedesmal allsogleich unter der Thüre und lud den Prinzen ein, Rast zu halten.
Dieser folgte der Einladung, ließ für sein Gefolge Zelte aufschlagen und befahl demselben, sich unterdes zu lagern.
Als nun der Prinz mit dem Einsiedler in dessen Hütte allein war, sagte er demselben, daß auch er gekommen wäre, die bewußte Höhle zu betreten, und als der Alte darauf, wie gewöhnlich, fragte: »Ohne alle Vorbereitung? Soll ich dir nicht ein oder das andere Sprüchlein mit auf den Weg geben?« Da sagte der Prinz: »Sei Gott vor, daß ich deine hilfreiche Hand von mir weise! Ich weiß nicht, worin es meine Brüder verfehlt haben, aber ich bin es dem Lande schuldig, das durch sie so schwer gelitten hat, nichts zu verabsäumen, was mich etwa in den Stand setzen könnte, demselben zu nützen.«
Darauf meinte der Einsiedler: »Ich weiß dir aber nicht zu sagen, wie lange Zeit du damit wirst verbringen müssen, um dann ohne Fahrnis die Höhle betreten zu können.«
»Weiser Vater,« entgegnete der Prinz, »wie kann mich das abschrecken, da ich doch bereit bin, die eine Hälfte der Tage, die ich noch zu leben habe, dahinzugehen, wüßte ich dafür die andere Zeit über mein Volk glücklich und zufrieden zu machen!«
Da lächelte der Einsiedler gutmütig: »Mein Sohn, ich sehe, es ist schon an der Zeit, dich in die ›Höhle der Phrasen‹ einzulassen!« Dann aber begann er ernstlich sich mit ihm zu besprechen und ihn in allem, was erforderlich war, zu unterweisen.
Zum nicht geringen Verdrusse der Herren des Gefolges, welche in dieser Wildnis alle gewohnten Annehmlichkeiten entbehren mußten, verbrachte der Prinz drei lange Tage mit seinem Lehrmeister; am Morgen des vierten Tages öffnete ihm dieser die eiserne Pforte und der Prinz trat in die Höhle.
Hinter sich hörte er wieder sorgsam schließen.
Es ist ein alter Erfahrungssatz, von dessen Richtigkeit nunmehr auch der Prinz Gelegenheit hatte, sich zu überzeugen, – daß man im Dunkeln nichts sieht.
Da stand er nun.
Muß das Auge wegen Mangel an Licht feiern, dann eilen alle anderen Sinne dem geängstigten Körper zu Hilfe und schärfen sich zu dessen Dienst, besonders Gehör und Gefühl. Der Prinz vernahm deutlich, wie rings von den Wänden der Höhle mit gleichmäßigem Geräusche schwere Tropfen niederschlugen, das war so eintönig und wirkte so verstimmend, daß er mit Ungeduld die weitere Entwicklung seines Abenteuers herbeisehnte.
Jetzt fühlte er an einer leisen Luftwelle, daß es rings in der Höhle sich zu regen und zu bewegen begann, wie ein Geflüster wehte es durch den Raum; aber wieder wurde es ganz stille und war nichts zu hören als die fallenden Tropfen.
Sein Auge, nun an die Dunkelheit gewöhnt, versuchte ganz umsonst, auch nur von den nächstliegenden Gegenständen einen ungefähren Umriß zu erraten. Er erschrak fast, als eine volltönende Stimme unmittelbar an seiner Seite begann:
»Das Leben ist schal und leer, der Mensch muß es mit eigenen oder fremden Thaten schmücken, ein Mensch muß den andern dahinreißen in das Ungemeine! Was ist das Gewaltigste, das du als Mensch vermagst? Ein Held zu sein! Furcht und Verehrung zu erwecken unter denen, die mit dir über die Erde wallen, und deinen Namen den künftigen Geschlechtern zu überliefern! Es ist der einzige Wurf, der im Gelingen wie im Fehlschlagen dir den gleichen Lorbeer bringt! Nicht nur im Siege bist du groß, auch im Untergange, wenn du im erhabenen, heroischen Wahnsinne Reich und Volk neben dich auf die Walstatt bettest! Millionen gewaltiger Geister danken dir für den hochgehenden Wellenschlag ihres Lebens, die dumpfe Menge betet dich an, weil du sie, ein Gott, der Armseligkeit ihres Daseins entrissen hast! Du lehrtest sie, das Leben für das Leben freudig einsetzen, du bietest ihnen, an deines Namens Hoheit geknüpft, ein unsterblich Sein in den Sängen der Dichter, in den Liedern des Volkes! Sie schulden dir die ganze Summe ihres Daseins, darum darfst du sie auch von ihnen fordern! Das ist der Helden heilig Vorrecht!«
Da sprach der Prinz leise:
»Bleib dir getreu nur,
Laß dich nicht irren,
Was auch die Tiere
Brüllen und girren!«
Da leuchtete ein fahler Schein auf, und dem Prinzen wurde die Gestalt sichtbar, welche obige Worte an ihn gerichtet hatte, es war ein Tiger.
Da sprach der Prinz sofort:
»Haß ist stets ein traurig' Erbe,
Oft der Sieg ein ungerechter,
Krieg sei nimmer ein Gewerbe,
Und der Held, er sei kein Schlächter!«
Da brüllte der Tiger auf und verschwand, und nachdem das Echo in der Höhle verhallt war, begannen wieder die Wasser eintönig von den Wänden zu tropfen.
Nach einer Weile hörte sich der Prinz wieder, diesmal aber von einer sanften Stimme angesprochen:
»Gott ist unser aller Vater! Auf Erden gibt es nur eine große einzige Gottesfamilie, selbst für die entarteten Söhne stehen die Wohnungen im Hause des Vaters bereit, aber – wehe – sie streifen lieber in der Irre umher und versuchen auch die anderen Gotteskinder irrezuführen. Sie suchen sie durch Hohn und Spott, durch List und Vergewaltigung abwendig zu machen von ihrem frommen Glauben, von ihrer einfältigen Sitte! Zeugt es nicht für die Wahrheit ihres Glaubens, ihrer Hoffnung, ihrer Liebe, daß die Millionen frommer Gemüter friedfertig dem Spotte von etlichen Tausenden Irregeleiteten standhalten? Gibt es etwas Erhabeneres für einen Gewaltigen, als die Schwachen zu schützen? O, werde ein Streiter für deren heilige Sache! Steht nicht geschrieben, denen, durch welche Aergernis kommt, wäre besser, mit einem Mühlsteine um den Hals zum Grunde des Meeres versenkt zu werden? Willst du Erbarmen kennen, wo das Erbarmen allein bei Gott steht? O, lasse nicht Millionen in ihrem heiligen Glauben irre, in ihrer beseligenden Hoffnung wankend machen, laß ihnen nicht ihren einzigen Trost in dieser Welt des Jammers und der Trübsal rauben, damit die Schwachen, in denen Gott mächtig ist, dir deinen Thron stützen, deinen Namen für alle Zeit lobpreisen und du selbst dereinst eingehest in Gottes Reich und Herrlichkeit! Amen!«
Da sagte der Prinz wieder leise das erste Sprüchlein, und im fahl aufzuckenden Lichte stand ein Lamm