Damit hätte Roberta nun wirklich nicht gerechnet. Alma überraschte sie immer wieder. Jetzt war sie auch noch eine sehr begabte Malerin. Und es war ja so rührend, dass sie an sie gedacht hatte, und das mit dieser Stelle am See, das stimmte haargenau.
Roberta wusste nicht, was sie sagen sollte, sie war so ergriffen, dass ihr die Worte fehlten.
Roberta stand auf, nahm ihre treue Hilfe ganz fest in die Arme. Sie hatte Tränen in den Augen, und als Alma das entdeckte, begann auch sie zu weinen.
Es war ein sehr emotionaler Augenblick. Irgendwann hatte Roberta sich wieder im Griff, und dann bedankte sie sich überschwänglich bei Alma, lobte sie über alles.
»Alma, ich werde dieses wunderschöne Bild in Ehren halten, und wissen Sie, wo ich es aufhängen werde? In meiner Praxis. Es wäre eine Verschwendung, es hier im Haus aufzuhängen. Da hätte ja nur ich etwas davon. Dieses Bild sollen viele Menschen sehen. Es sich anzuschauen beruhigt und macht froh. Und die Leute, die zu mir kommen, die haben ein Problem, sie sind krank, machen sich Sorgen wegen ihrer Gesundheit. Beim Anblick des Bildes werden sie von ihren Sorgen abgelenkt. Alma, Sie sind eine Künstlerin, und Sie erstaunen mich immer wieder. Wo haben Sie das gelernt, es kann doch nicht sein, dass ein paar Kurse in einer Malschule ausreichen, um so etwas zu schaffen.«
Die beiden Frauen saßen wieder, Roberta hatte das Bild so drapiert, dass sie es immer vor Augen hatte.
»Ich hatte keine Ahnung, dass ich das kann«, erklärte Alma, »in der Schule bin ich im Kunstunterricht nicht aufgefallen, und es hat mich auch nicht wirklich interessiert. Und später, da musste ich in meinem Leben andere Prioritäten setzen. In einer Fernsehsendung haben sie mal darüber gesprochen, dass Malen auch so etwas wie Therapie sein kann, und als die Kurse in Hohenborn angeboten wurden, habe ich mich angemeldet. Es ist wirklich so etwas wie Therapie, das Anmischen der Farben, die Herausforderung der weißen Leinwand …«
»Ihr Lehrer muss doch erkannt haben, dass Sie ein Ausnahmetalent sind, Alma.«
Alma wurde verlegen.
Dann erfuhr Roberta, dass der Leiter der Malschule, ein Achim van Geelen, das Bild in eine Ausstellung einer Galerie geben wollte.
»Das habe ich abgelehnt, ich habe es für Sie gemalt, Frau Doktor, und ich habe auch keinerlei Ambitionen, mich als Künstlerin zu profilieren. Ich bin mit meinem Leben zufrieden, und daran möchte ich nichts ändern. Außerdem …«
Sie brach ihren Satz ab, trank ein wenig von ihrem Rotwein. Roberta wartete, dann erkundigte sie sich behutsam: »Außerdem, was wollten Sie mir sagen?«
Es war Alma ein wenig peinlich.
»Nun ja, Achim van Geelen ist auch persönlich an mir interessiert. Er versucht alles, mich auch privat zu treffen. Vielleicht will er mich mit der Ausstellung ködern.«
»Das glaube ich nicht, Alma, Sie haben Talent, und es ist nie zu spät, das zu erkennen. Die Grandma Moses war achtzig Jahre alt, als sie mit ihren naiven Bildern weltweit berühmt wurde.«
Alma winkte ab.
»Es macht mir Spaß, in die Malschule zu gehen, und ich hoffe, er wird irgendwann die Lust verlieren, mich privat treffen zu wollen. Es wäre schade, ich müsste deswegen die Besuche an der Schule aufgeben. Er bringt uns sehr viel bei.«
»Wenn dieser Herr van Geelen nett ist, was spricht gegen private Treffen, Alma? Sie sind eine attraktive Frau.«
Solche Komplimente machten Alma verlegen. Sie wurde rot.
»Frau Doktor, ich habe eine schreckliche gescheiterte Ehe hinter mir. Ich wurde nach Strich und Faden belogen, mein Exmann hat mich gnadenlos ausgenutzt, hat mich seine Schulden bezahlen lassen. Seinetwegen bin ich auf der Straße gelandet, und wenn Sie nicht gewesen wären …«
Sie brach ihren Satz wieder ab, und Roberta sagte rasch: »Alma, es sind nicht alle Männer gleich.«
Alma blickte ihre Chefin an, die sie über alles liebte und verehrte.
»Nein, das stimmt. Doch den richtigen Mann zu finden, das ist so etwas, wie eine Nadel im Heuhaufen zu finden. Als ich Franz Glattberg kennenlernte, glaubte ich, die Nadel gefunden zu haben. Er war nett, liebenswert. Sein Verhalten änderte sich in dem Augenblick, als ich zu ihm in sein Haus gezogen war. Da wurde er ein nörgelnder, egoistischer Macho. Nein, Frau Doktor, mir reicht es. Wären auch Sie diesmal nicht gewesen, hätte ich nicht wieder in die Einliegerwohnung einziehen dürfen, dann wäre ich Franz ausgeliefert gewesen. Zwei Fehlgriffe reichen, es findet sich nicht für jeden Topf ein Deckel. Ich bin zufrieden mit meinem Leben, und solange Sie mich hier haben wollen …«
Dazu konnte Roberta sofort etwas sagen.
»Alma, ich habe das Haus gekauft, weil ich hier im Sonnenwinkel angekommen bin. Das Haus, die Praxis, Sie und ich …, wir gehören zusammen. Dennoch müssen Sie wissen, dass ich Ihnen niemals im Wege stehen würde, sollten Sie doch noch den Mann finden, den Sie verdient haben.«
Alma hätte jetzt widersprechen können, weil sie sich wirklich nicht vorstellen konnte, ein solches Abenteuer noch einmal einzugehen. Das Leben würde es bringen, manchmal passierten Dinge, die nicht vorstellbar waren. Die Frau Doktor hatte diesen so sympathischen Herrn Magnusson kennengelernt, als sie mit ihrem Auto in seines hineingefahren war. Es hatte so sein sollen, das war das, was man Schicksal nannte.
Achim van Geelen war nicht ihr Schicksal, das wusste Alma, aber als Lehrer war er gut, sehr gut sogar.
Mitten in ihre Gedanken hinein erklang die Stimme von Frau Doktor.
»Alma, was halten Sie davon, wenn wir das Bild jetzt in der Praxis aufhängen?«
Damit war Alma einverstanden. Sie stand auf, holte Nägel und einen kleinen Hammer, denn das brauchte man schließlich dazu. Roberta lachte.
»Alma, was würde ich bloß ohne Sie machen? Daran hätte ich jetzt nicht gedacht. Ich hätte, ehrlich gesagt, nicht einmal gewusst, wo ich Nägel und Hammer suchen sollte.«
»Frau Doktor, damit müssen Sie sich auch nicht beschäftigen, Dafür haben Sie mich, und Sie … Sie …, es reicht, wenn Sie sich um Ihre Patienten kümmern. Sie sind die wundervollste Ärztin auf der ganzen Welt.«
Nun war es Roberta, die verlegen wurde.
Sie nahm das Bild, presste es an sich, dann gingen sie gemeinsam hinüber in die Praxisräume. Es war schon ein Segen, wenn Wohnung und Arbeitsplatz so dicht beieinander lagen. Ihre Aktion wäre sonst nämlich überhaupt nicht möglich gewesen, denn draußen heulte der Wind ums Haus, und der Regen klatschte gegen die Fensterscheiben.
Eine tiefe Zufriedenheit breitete sich in Roberta aus. Sie hatte alles richtig gemacht, und ihre allerbeste Entscheidung war gewesen, Enno Riedel das Haus abzukaufen.
Mit ihrer rechten Hand hielt sie das wunderschöne Bild, ihre Linke legte sie Alma auf die Schulter.
»Alma, fühlt es sich nicht gut an, hier zu leben?«, erkundigte sie sich.
Natürlich!
Eine solche Frage erübrigte sich, sie lebten wie im Paradies, dennoch antwortete Alma im Brustton der Überzeugung: »Und wie, Frau Doktor, und wie.«
*
Inge Auerbach war in die Buchhandlung nach Hohenborn gefahren, um sich mit neuem Lesematerial zu versorgen und für ihre Mutter die bestellten Bücher abzuholen.
Bücher waren Inges Welt, solange sie zurückdenken konnte, und das hatte sie eindeutig von ihren Eltern, die gern auf so manches verzichtet hatten,