Sie sagte es ihm, sie wechselten noch ein paar Worte miteinander, dann verabschiedeten sie sich.
Roberto ging ins Krankenhaus hinein, und sie lief zu ihrem Auto.
Warum freute sie sich nicht?
Sie sah Susanne kaum noch. Es war eine Gelegenheit, mal wieder so richtig miteinander zu plaudern, ungestört von anderen Gästen, nur im kleinsten Kreise.
Bei Roberta gingen alle Alarmglocken an. Wenn sie mit ihr allein sein wollten, so hatte das einen Grund. Sie wollten mit ihr reden.
Robertas Herz begann stürmisch zu klopfen.
War es jetzt so weit?
Wollten sie ihr verkünden, dass sie nach Italien gehen würden?
Roberto hatte es irgendwann einmal erwähnt, und sie hatte es verdrängt, weil der Gedanke für sie unvorstellbar war, dass im ›Seeblick‹ nicht mehr Roberto und Susanne die Wirtsleute sein könnten, und das nicht nur wegen des sterneverdächtigen Essens, das man dort bekam.
Ihre Gedanken wirbelten durcheinander, und sie ärgerte sich sehr, weil sie ihn nicht gefragt hatte. Sie war doch sonst nicht so feige.
Nein!
Sie wollte jetzt diese Gedanken nicht vertiefen. Es war schon verrückt, wie auf einmal an diesem beschaulichen Ort alles in Bewegung war. Es war ja beinahe so, als hätten sich alle zum Aufbruch abgesprochen.
Sie fuhr jetzt nicht nach Hause, sondern sie bog in den Weg ein, der zum kleinen Haus von Lars führte.
Normalerweise lief sie ihn, doch er war für Anlieger frei, man durfte also mit dem Auto hinfahren.
Sie parkte direkt vor dem Haus, das einen verlassenen Eindruck machte. Das war etwas, was ihre Stimmung nicht gerade besserte.
Sie schloss auf, ging ins Haus hinein. Auch wenn sie hin und wieder herkam, war es nicht zu vermeiden, dass die Luft ein wenig abgestanden war, sie öffnete die Fenster, lüftete, warf Werbung, die sogar hin und wieder bis hierher kam, in den Papierkorb, dann lief sie durchs Haus, das ohne Lars so unglaublich leer und verlassen wirkte.
Ihre Stimmung war nicht gut, sie schloss die Fenster, dann nahm sie einen dunkelblauen Pullover von einem Sessel, den Lars bei seiner Abreise vergessen hatte, setzte sich auf die Couch und kuschelte sich in den Pullover, roch an ihm in der Hoffnung, noch etwas von seinem Duft wahrzunehmen. Doch der war längst verflogen.
Ihre Sehnsucht nach ihm wurde übergroß. So hatte sie sich das nicht vorgestellt, den Mann ihrer Liebe so lange nicht zu sehen. Und vielleicht war es ungerecht, doch jetzt war sie nicht nur jammervoll, sondern auch ein wenig wütend auf ihn, dass er sich kaum meldete.
Auch wenn er sich an den entlegensten Stellen in der Arktis aufhielt, so gab es doch ein Camp, in dem sich die gesamte Wissenschaftscrew aufhielt, und die Wissenschaftler mussten mit der Außenwelt in Verbindung sein, sie konnten nicht trommeln, wenn es wichtig war, sondern mussten mit den modernsten Kommunikationsmitteln ausgerüstet sein.
Bisher hatte sie ein paar jämmerliche Nachrichten von ihm erhalten, sie hatten gerade zweimal telefoniert, und da hatten sie eine grässliche Verbindung gehabt.
Gut, sie durfte Lars keine Vorwürfe machen. Er hatte ihr von Anfang an gesagt, worauf sie sich mit ihm einließ. Da hatte sie es abgetan, er schrieb an einem Buch für National Geographic über Eisbären, damit war er erst einmal beschäftigt und an einen Ort gebunden. Sie hatte wirklich nicht damit rechnen können, dass er wegen weiterer Recherchen für das Buch noch einmal in die Arktis reisen musste. Gerade zu dem Zeitpunkt, als sie sich so unglaublich nahe gewesen waren.
Sie presste ihr Gesicht tiefer in die weiche Wolle des Pullovers.
Warum geriet sie immer an die falschen Männer?
Das mit ihrem Ex war wirklich keine Offenbarung gewesen, und am liebsten würde sie die Jahre mit Max aus ihrem Gedächtnis streichen. Sie wusste bis heute nicht, warum sie diesen Schwerenöter geheiratet hatte. Weil er sie zuerst gefragt hatte?
Nein, an Max wollte sie jetzt wirklich nicht denken. Das würde ihr noch mehr die Stimmung vermiesen.
Und dann, als sie verletzt gewesen war, traurig, enttäuscht, da hatte sie Kay Holl kennengelernt, der in genau diesem Haus als Bootsverleiher gelebt hatte, ein smarter Aussteiger, der nur noch das tat, worauf er Lust hatte. Es hatte mit ihnen nichts werden können, ihre Einstellung zum Leben war zu verschieden gewesen, nicht nur das, Kay war viel zu jung für sie gewesen. Sie hatte es beendet, und dann war Kay gegangen, als sie es sich anders überlegt hatte, als sie sich getraut hätte, sich auf diese Liebe einzulassen. Sie hatte um ihn getrauert, sie hatte gejammert. Doch letztlich war es die richtige Entscheidung gewesen, mit einem Mann musste man einen Alltag haben, man konnte nicht ewig auf Wolke Sieben leben.
Sie seufzte.
Kay würde sie immer in einer warmen, schönen Erinnerung behalten, und deswegen machte es ihr auch nichts aus, dass ausgerechnet Lars jetzt in diesem Haus wohnte. Ihre Beziehung hatte ein ganz anderes Fundament, sie begegneten sich auf Augenhöhe. Sie hatten sich so viel zu sagen, sie tickten in vielerlei Hinsicht ähnlich.
Einen Mann wie Lars hatte sie noch nie zuvor kennengelernt, und deswegen war sie auch bereitwillig auf ihn eingegangen. Er brauchte seinen Freiraum, für ihn war eine Liebe ohne Trauschein okay.
Je länger sie ihn kannte, umso mehr sehnte sie sich danach, seine Ehefrau zu, werden, mit ihm Kinder zu haben. Lars hatte nichts ausgeschlossen, doch er hatte ihr auch keinerlei Hoffnungen gemacht.
Warum dachte sie jetzt daran?
Von einem zum anderen Tag konnte sich alles ändern, ihre Liebe war so tief, so schön. Nähe, Beisammensein, musste doch auch für ihn mehr sein, als Eisbären hinterherzujagen oder monatelang irgendwo auf der Welt entbehrungsreich zu leben.
Er fehlte ihr!
Sie vermisste ihn, und wie sie ihn vermisste!
Es war kaum noch auszuhalten. Sie musste hier raus. Sie legte den Pullover zurück auf den Sessel, nahm ihn erneut in die Hand, und dann steckte sie ihn entschlossen in ihre Tasche. Sie würde den Pulli mit nach Hause nehmen, da hatte sie wenigstens etwas von ihm. Und hierher, sie wusste nicht, ob sie noch einmal hierher kommen würde. Das deprimierte sie zu sehr, es konnte jedoch auch sein, dass sie heute besonders jammervoll war. Sie würde Alma bitten, immer wieder nach dem Rechten zu sehen.
Sie könnten es so schön miteinander haben. Sie verstanden sich auch ohne Worte.
Roberta merkte, wie ihre Stimmung auf den Nullpunkt sank. Sie war ja dabei, depressiv zu werden. Das ging überhaupt nicht.
Mitten in ihr Tief hinein klingelte ihr Handy. Sie hatte frei, keinen Bereitschaftsdienst. Sollte sie überhaupt ans Telefon gehen? Sie hatte keine Lust, mit jemandem zu reden. Doch wenn es nun ihre Freundin Nicki war? Die konnte sie aufmuntern, Nicki verstand es immer wieder, ihre Stimmung umzudrehen. Roberta meldete sich. Die Anruferin war nicht Nicki, sondern die Ehefrau eines ihrer Patienten, die ganz angstvoll rief: »Bitte entschuldigen Sie, Frau Doktor, dass ich Sie anrufe, aber Sie haben mir für Notfälle doch Ihre private Telefonnummer gegeben. Es ist ein Notfall. Mein Mann hat schreckliche Leibschmerzen, und er hat sich sogar schon übergeben müssen. Ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll.«
Roberta beruhigte die Frau, dann sagte sie: »Machen Sie sich bitte keine Sorgen, Frau Kuhl. Ich komme.«
Sie war nicht mehr jammervoll, sie dachte nicht mehr an Lars, daran, dass sie unglücklich war, dass sie sich nach ihm sehnte. Nein!
Sie war jetzt die Ärztin Frau Doktor Roberta Steinfeld, nur noch auf ihren Patienten fokussiert. Zum Glück hatte sie ihren Arztkoffer immer dabei. So musste sie nur noch in ihr Auto steigen und zu dem Patienten fahren, der im Nachbarort wohnte.
Wenn sie ehrlich war, dann war sie sogar froh um den Anruf. Der war gerade zum rechten Zeitpunkt gekommen, ehe ihre Stimmung noch mehr gekippt wäre. Sie durfte nicht