»Sophia«, erkundigte sie sich schließlich, »warum willst du das tun? Es ist ein altes Familienerbstück, seit Generationen in der Familie. Es hat die Flucht überstanden. Nach dir wird Angela den Ring erben, danach deren Tochter. Sie ist noch so jung, sie wird einen anderen Mann finden, mit dem sie noch Kinder haben kann. Und sicher, der Ring ist viel wert, aber mal ganz ehrlich, Sophia, kein Geld der Welt kann den ideellen Wert aufwiegen, den der Ring für eure Familie bedeutet.«
Sie hatte auf einmal einen furchtbaren Verdacht.
»Sophia, brauchst du Geld? Dann wollen wir dir helfen, das tun Magnus und ich von Herzen gern.«
Sophia war ganz gerührt.
»Das ist lieb, danke. Wir kommen schon zurecht. Zum Glück hat der Verkauf meines alten Hauses mehr gebracht, als wir für das Haus hier ausgeben mussten. Es ist noch etwas Geld davon vorhanden, und ich bekomme auch meine Pension, und die Unfallversicherung hat auch gezahlt. Nein, ich bin nur der Meinung, dass Angela mehr vom Leben haben sollte, sie soll sich mal etwas Schönes kaufen. Da sie und dieser Mensch einen Ehevertrag hatten, hat sie nach der Scheidung nichts von ihm zu beanspruchen gehabt, sie hätte auch sonst nichts genommen, dazu ist sie viel zu stolz. Aber ich habe mitbekommen, dass sie den Schmuck, den er ihr gelassen hat, verkauft hat. Ich weiß ja nicht, was sie dafür bekommen hat, aber das ist irgendwann aufgebraucht, und mich will sie nicht in Anspruch nehmen. Es ist ihr ja bereits peinlich, auf meine Kosten hier zu wohnen. Wie dumm ist das denn. Sie tut alles für mich. Eine Pflegerin wäre teurer. Ich möchte so gern etwas für sie tun, Teresa. Etwas, worüber sie sich freut.«
»Über Fummel bestimmt nicht, die irgendwann im Kleidersack landen. Dass sie den Schmuck verkauft hat, das begrüße ich, sie soll durch nichts an diesen grässlichen Menschen erinnert werden. Wenn du etwas für sie tun willst, Sophia, dann verkaufe dieses Familienerbstück nicht, sondern schenke es ihr. Darüber würde sie sich bestimmt sehr freuen.«
Sophia zögerte.
»Meine Urgroßmutter bekam den Ring nach dem Tod deren Mutter, dann ging es weiter mit meiner Großmutter, meiner Mutter. Ich bekam den Ring auch erst nach deren Tod.«
Teresa winkte ab.
»Verkauft hättest du den Ring, aber so hältst du dich an alte Überlieferungen. Verflixt noch mal, Sophia, so etwas ist nicht fest in Stein gemeißelt, sondern lässt sich jederzeit durchbrechen. Ich bin sowieso der Meinung, dass man besser mit warmer Hand schenkt. Wenn du Angela den Ring jetzt schenkst, dann ist das eine Wertschätzung ihrer Person. Und du kannst dich an der Freude deiner Tochter freuen.«
Sophia zögerte.
»Sophia, ich will dich nicht bedrängen, es ist deine Entscheidung, ich habe dir nur gesagt, was ich tun würde an deiner Stelle.«
Sophia von Bergen überlegte, blickte den Ring an, drehte an ihm herum, dann zog sie den Ring entschlossen von ihrem Finger.
»Du hast recht, wenn jemand den Ring verdient hat, dann meine Angela, und ich weiß schon jetzt, dass sie darüber glücklich sein wird. Sie hat ihn schon immer bewundert. Es war eine törichte Idee, ihn verkaufen zu wollen. Ich dachte nur, verkaufen geht, das wäre etwas vor meinem Tod gewesen, was Angela zugute käme.«
Teresa lachte.
»Ich bin ja auch ein sehr traditionsbewusster Mensch, aber deine Logik, die kann ich jetzt nicht verstehen. Ich finde es auf jeden Fall super, dass du Angela den Ring schenken willst, jetzt, mit warmer Hand. Sie hat so vieles mitgemacht, sie hat es wirklich verdient.«
Teresa stand auf. »Auf dem Teller ist noch Kuchen, ich werde ihn irgendwann einmal mitnehmen. Vergiss nicht, dass morgen früh Magnus kommt, um dich um den See zu fahren. Das Wetter soll sehr schön werden, und man muss um diese Jahreszeit jeden Tag nutzen.«
»Ihr tut so viel für mich. Hoffentlich kann ich mich mal revanchieren«, rief Sophia.
»Meine liebe Freundin, du revanchierst dich schon jetzt, indem du uns mit deiner Gegenwart beglückst. Du bist eine kluge, geistreiche Frau, deren Gegenwart wir genießen. Und irgendwann wirst die wieder mehr als nur ein paar Schritte an zwei Stöcken machen können. Das ist schon mehr, als man erwartet hatte. Und du willst doch nicht den Ehrgeiz entwickeln, irgendwann allein um den ganzen See zu laufen, oder?«
Da musste Sophia lachen.
»Gewiss nicht, aber ohne Rollstuhl, ohne Stöcke und ohne Rollator wieder gemäßigt laufen zu können, das wäre ganz wunderbar.«
»Auf dem Weg bist du, liebste Freundin. Erinnerst du dich noch, was mit dir war, als du hier ankamst?«
Daran wollte Sophia von Bergen sich nicht erinnern. Das war einfach zu gruselig gewesen. Sie war nicht nur körperlich, sondern auch seelisch ein Wrack gewesen, ohne ihre Angela, ohne die von Roths, die Auerbachs, vor allem ohne die fabelhafte Frau Doktor, ohne ihren grandiosen Therapeuten hätte sie es nicht geschafft.
»Ich kann mich bei euch immer wieder nur bedanken«, sagte Sophia, doch davon wollte Teresa nichts wissen. »Deswegen habe ich das nicht gesagt. Ich wollte dich nur daran erinnern, welch starke Frau du bist, welche Willenskraft du besitzt. Ohne deine Mithilfe wäre überhaupt nichts gegangen. Doch ehe wir uns jetzt mit Lobeshymnen überschütten, gehe ich lieber. Es war schön wie immer.«
Sie umarmte Sophia, dann verließ sie das Wohnzimmer, nicht, ohne das Licht anzuknipsen. Es war spät geworden, zum Glück war ihr Magnus pflegeleicht, er würde ihr niemals irgendwelche Vorwürfe machen. Im Gegenteil.
Es war so schön, auf eine so lange, glückliche Ehe zurückblicken zu können. Sie musste unbedingt in der Kirche wieder mal ein Kerzchen anzünden aus lauter Dankbarkeit. Es war nicht selbstverständlich, ein solches Glück zu haben.
Sie und ihr Magnus waren wirklich ein Dreamteam, und was immer sie auch erlebt hatten, und das war nicht alles nur schön gewesen, hatte sie noch mehr zusammengeschweißt.
Ehe sie in ihr Haus ging, blickte sie zur Villa der Auerbachs.
Sie hatte keine Sorge, dass diese Ehe scheitern würde, aber ein wenig mehr Gemeinsamkeit wäre schon gut. Aber das ging sie wirklich nichts an. Jeder musste das tun, was er für richtig, hielt, und jeder hatte für alles seine Gründe.
Sie hatte die Haustür erreicht, wollte gerade ihren Schlüssel aus ihrer Tasche holen, um aufzuschließen, als von Innen geöffnet wurde.
Magnus …
Beim Anblick ihres Mannes wurde ihr Herz weit, ja, das wurde es, auch noch nach so vielen Jahren.
»Ich habe mir schon Sorgen gemacht, mein Herz«, rief er. »Du warst lange weg, ich wollte dir jetzt entgegenlaufen.«
»Sophia und ich haben uns ein wenig verplaudert. Aber jetzt bin ich wieder da.«
Er legte einen Arm um ihre Schulter.
»Und das ist ganz wunderbar. Ohne dich ist es hier leer und einsam.«
Ihr Magnus, sie schmolz dahin, er fand immer die richtigen Worte, die sie mit einem sanften, zärtlichen Kuss erwiderte.
*
Inge Auerbach atmete erleichtert auf, ihre Befürchtungen, Pamela könne in den falschen Hals bekommen, dass sie und Werner in getrennten Räumen schliefen, bewahrheitete sich nicht. Sie nahm es ihnen ab, dass Werner nachts häufig wach wurde, um sich etwas aufzuschreiben und deswegen Unruhe verbreitete.
Da Pamela schrecklich darunter litt, dass sie endgültig von Manuel Abschied nehmen musste, war es ihr sogar lieb, sich im Bett an ihre Mutter trostsuchend kuscheln zu können. Früher war sie immer ins Bett ihrer Eltern geschlüpft, wenn sie traurig war, einen schlechten Traum hatte. Doch damit war es schon vorbei gewesen, ehe sie nach Australien geflohen war. Sie war doch kein kleines Kind mehr. Doch von der Mami getröstet zu werden, das war etwas anderes. Und trösten konnte ihre Mami ganz wunderbar, alles an ihr war warm und weich, und sie fand immer die richtigen Worte.
Pamela war schon mehr als nur einmal nachts ins Gästezimmer