Inge sah für ihr Alter noch sehr gut aus. Klar war sie nicht mehr taufrisch, aber zum alten Eisen gehörte sie lange noch nicht.
Sie wollte ja überhaupt nicht viel. Sie wollte endlich einmal erleben, wie es sich anfühlte, wenn man unbeschwerte Zeiten mit seinem eigenen Ehemann verbrachte. Ja, das wollte sie, und wenn sie jetzt darum kämpfen musste, dann sollte es so sein. Sie war auf dem richtigen Weg, anders würde sie Werner niemals beikommen, er war ein Charmeur, der die Dinge so drehte, wie er es haben wollte. Und da konnte man ihm nicht einmal einen Vorwurf draus machen. Zu allem gehörten immer zwei, und sie hatte sein Spiel, ohne zu mucken, mitgespielt.
»Inge Auerbach, hör endlich auf, dich mit Vorwürfen zu quälen. Alles ist gut. Du willst doch nicht mehr haben als nur etwas mehr Zeit mit deinem Ehemann«, murmelte sie vor sich hin, »und das kann doch nicht falsch sein.«
Nach einem allerletzten Blick in den Spiegel verließ sie das Badezimmer, lief ins Gästezimmer zurück. Wenig später lag sie im Bett und kuschelte sich in die Decke ein. Das Bett war bequem, die Decke war weich. Es hätte sie wahrhaftig schlimmer treffen können.
Inge schloss die Augen und dachte an Werner.
*
Teresa von Roth verließ das Haus und balancierte vorsichtig einen sorgsam abgedeckten Kuchenteller vor sich her. Sie war auf dem Weg zu Sophia von Bergen, und die wollte sie mit dem Kuchen überraschen.
Es war eine gute Fügung, dass Sophia mit ihrer Tochter Angela in den Sonnenwinkel gezogen war. Manchmal ging das Schicksal wirklich sehr seltsame Wege.
Magnus und sie kannten Sophia von verschiedenen Treffen, doch sehr viel wussten sie nicht voneinander. Sie waren sich halt sehr sympathisch, und sie hatten sich viel zu sagen und konnten gemeinsam in Erinnerungen schwelgen, weil es in ihrem Leben so viele erstaunliche Parallelen gab.
Nach einem schrecklichen Unfall hatte Sophia ihr Haus verkauft, war zusammen mit ihrer Tochter in den Sonnenwinkel gezogen, und da waren sie sich wieder begegnet. Welche Freude war das doch gewesen. Aus der guten Bekanntschaft war längst eine wunderbare Freundschaft geworden. Sie waren natürlich sofort für Sophia da gewesen. Der ging es zum Glück besser, und in absehbarer Zeit würde sie auch wieder laufen können. Jetzt ging es bereits ein wenig an zwei Stöcken.
Teresa hatte Sophias Haus schnell erreicht, zum einen war es nicht weit, zum anderen war Teresa sehr gut zu Fuß. Da machte sie mancher Jungen etwas vor.
Sie klingelte, es dauerte eine Weile, ehe ihr geöffnet wurde. Es war Angela, die die Tür aufmachte, sie sah sehr blass und mitgenommen aus. Doch das war wirklich kein Wunder. Die Ärmste hatte unter einer besonders schlimmen Gürtelrose zu leiden. Und es war wirklich ein Glück, dass die Frau Dr. Steinfeld ihr so gut helfen konnte. Nicht nur Angela, mit Sophia wäre es längst nicht so weit, wäre sie nicht in Behandlung von der Frau Doktor. Mit der waren sie im Sonnenwinkel wirklich gesegnet. Nicht nur, weil sie eine Kapazität in ihrem Beruf war, nein, hinzu kam, dass sie ein ganz besonderer Mensch war – herzlich, warmherzig, immer für ihre Patienten da. Anfangs hatte keiner so recht glauben wollen, dass sie für länger im Sonnenwinkel bleiben würde. Sie hatten alle erleichtert aufgeatmet, als herausgekommen war, dass sie das Doktorhaus gekauft hatte. Sie würde also bleiben, und das war mehr als ein Hauptgewinn im Lotto.
Teresa begrüßte Angela und erkundigte sich mitleidig: »Und geht es dir etwas besser, Angela?«
Die nickte. »Dank Frau Doktor – ja. Aber die kann natürlich auch nicht zaubern. Und mich hat es, aus welchem Grund auch immer, besonders schlimm getroffen.«
Teresa wusste, warum es so war, und sie sprach es auch aus.
»Weil du dich aufopfernd und sorgenvoll um Sophia gekümmert hast und kümmerst, und dann die Scheidung von diesem schrecklichen Mann. So etwas bleibt einem nicht in den Kleidern stecken. Aber sei froh, dass du ihn los bist, er hat nicht zu dir gepasst. Ich habe ihn nur einmal gesehen, und das hat mir gereicht. Er war gewöhnlich, und wie übel er dir mitgespielt hat. Du hast zwar jetzt nichts davon, aber glaube mir, mein Kind, es wird ihn einholen. Das ist gewiss. Aber jetzt will ich nicht lange reden. Isst du mit Sophia und mir ein Stückchen Kuchen?«
Angela schüttelte den Kopf.
»Ich möchte mich lieber etwas hinlegen. Jetzt, da du da bist, kann ich es beruhigt tun. Ich weiß ja, wie liebevoll du mit Mama umgehst, und die blüht in deiner Gegenwart so richtig auf. Ein Stückchen Kuchen könnt ihr mir aber übrig lassen.«
Angela ging in ihr Zimmer zurück, sie war wirklich fix und fertig. Aber sie kam auch nicht zur Ruhe. Statt sich selbst zu schonen, war Angela immer nur um ihre Mutter besorgt.
Teresa ging ins Wohnzimmer, sie kannte sich mittlerweile im Haus nicht nur aus, sondern sie wusste auch um die Gewohnheiten der Bewohnerinnen.
Sophia saß in ihrem Sessel am großen Terrassenfenster, das war ihr Lieblingsplatz. Sie begann zu strahlen, als sie Teresa sah.
»Wie schön, dass du schon da bist. Ich habe mit dir so früh überhaupt noch nicht gerechnet, meine Liebe.«
Teresa umarmte die feine, zarte Frau, die doch so voller Energie war.
»Ich habe dir einen Kuchen mitgebracht. Und weißt du was? Einen Mohnkuchen.«
Sophia begann zu strahlen.
»Mohnkuchen, das erweckt in mir Heimaterinnerungen. Da freue ich mich wirklich. Hat deine Inge ihn gebacken?«
Teresa schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe gebacken. Inge wollte ich damit nicht behelligen, der steht der Kopf derzeit nach anderem. Sie und Werner sind in einer Krise.«
»Das glaube ich jetzt nicht«, rief Sophia überrascht. Inge Auerbach kannte sie sehr gut, die war auch eine ihrer guten Feen, und sie hatte auch den Professor kennengelernt, einen sehr sympathischen Menschen.
»Doch, es ist so, und ich bin froh, dass Inge endlich anfängt, auch mal an sich zu denken. Ich halte mich da raus, weil das die beiden selbst miteinander ausmachen müssen. Aber auch ich habe mich immer wieder darüber geärgert, dass Werner sich verwirklicht, und Inge geht leer aus. Das hat sie nicht verdient. Ohne meine Inge wäre Werner längst nicht da, wo er ist, er hätte niemals diese internationale Karriere gemacht. Inge hat ihm stets den Rücken freigehalten, wie sagt man so schön – hinter einem starken Mann steht eine starke Frau – das kann ich voll unterschreiben. Aber ich denke, darüber müssen wir uns den Kopf nicht zerbrechen, die beiden lieben sich, sie werden sich niemals trennen. Es sind nur die Grenzen neu abzustecken. So, und davon genug. Wir essen jetzt unseren Mohnkuchen.«
Teresa packte den Kuchen aus, zeigte ihn Sophia, und die begann zu strahlen.
»So sah der Mohnkuchen früher bei uns auch aus.«
Teresa deckte den Tisch, kochte frischen Kaffee, und es dauerte nicht lange, da saßen sich die beiden Frauen bei Kaffee und Kuchen gegenüber.
Sophia war des Lobes voll, und das freute Teresa. Sie konnte ganz gut backen und kochen, doch an ihre Tochter Inge kam sie bei Weitem nicht heran.
Sophia von Bergen schmeckte es wirklich, denn sie aß zwei große Stückchen des Mohnkuchens, und der war ganz schön mächtig und sättigte sehr.
Danach räumte Teresa alles ab, dann saßen die beiden Frauen sich gegenüber, doch ein richtiges Gespräch wollte, im Gegensatz zu sonst, nicht aufkommen. Keine Frage, Sophia hatte etwas auf dem Herzen und wollte nicht heraus mit der Sprache.
»Was ist los, Sophia?«, wollte sie schließlich wissen. »Bedrückt dich etwas?«
Sophia wurde verlegen, aber letztlich war sie froh, dass Teresa gefragt hatte. »Weißt du, wo man am besten Schmuck verkaufen kann?«, erkundigte sie sich.
Verblüfft schaute Teresa ihr Gegenüber an.
Sophia nickte, dann streckte sie ihre schmale, rechte Hand aus, die von feinen Adern durchzogen war.
»Ich möchte den Ring gern verkaufen«, sagte sie, »ich denke, er ist einiges wert. Der Brillant ist lupenrein und sehr