Die Spur der toten Engel - Norwegen-Krimi. Kjersti Scheen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kjersti Scheen
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Fall für Margaret Moss
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726444971
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ein Massageinstitut von der ekligeren Sorte war! Warum zum Teufel hatte das Klappergestell hinter dem Tresen nicht gleich am Telefon abgesagt, als sie angerufen hatte, um einen Termin zu vereinbaren!

       Moss, woher sollte sie wissen, daß du kein Bulle bist!

      Korrekt.

      Aber wie peinlich! Wie verdammt ... widerlich!

      Sie spürte, wie Hitzewellen sie durchspülten, und mochte den Mantel nicht zuknöpfen. Voller Rachegedanken ging sie mit langen Schritten am Stadion vorbei und war schon längst in Pilestret, als sie sich endlich beruhigte.

      Sie bog Richtung Westen ab, entdeckte im Parkvei eine Eckkneipe und bestellte sich ein großes Bier.

      Sie trank es aus und bestellte sich noch eins.

      Verdammt noch mal!

      Splitterfasernackt hatte sie dagestanden, während jeder xbeliebige ... verdammt! Und dann der Blick, den ihr der Dicke mit den Stielaugen zugeworfen hatte! Dieser selbstverständlich taxierende Blick, der über ihren Körper geglitten war, er hatte wohl geglaubt, daß sie sich da gerade einen Job abwusch! Ihr Herz pochte so sehr, daß sie glaubte, bald einen Herzschlag bekommen zu müssen, sie streckte die Hand in die Luft, und die junge Kellnerin kam. »Haben Sie nichts Stärkeres?«

      »Doch, natürlich«, sagte das Mädchen.

      »Dann einen Gammeldansk. Und noch ein großes Bier.«

      Eine halbe Stunde später hatte sie einen weiteren Gammeldansk getrunken, an ihrem letzten Pils nippte sie allerdings nur. Sie fühlte sich benebelt und abwesend, und ihre Oberlippe kribbelte.

      Sie wurde allmählich betrunken.

      Aufs Klo mußte sie auch, sie erhob sich und ging langsam und würdevoll auf die Damentoilette. Dort saß sie eine ganze Weile mit heruntergelassener Jeans und starrte auf die Toilettentür, in deren Lackierung jemand »Trude ist eine Hure« geritzt hatte. »Ja, ja«, sagte sie laut. »Wir werden immer mehr!«

      Wieder im Lokal, ging sie zum Münzfernsprecher. Nachdem sie eine Weile gezögert hatte, fummelte sie ein Zehnkronenstück aus der Tasche und steckte es in den Apparat.

      Sie wählte die Nummer, zuerst die falsche, doch dann traf sie die richtigen Tasten.

      »Rud«, meldete sich eine Stimme am anderen Ende kurz angebunden, als die Münze durchgefallen war. Sie schluckte. »Hallo, also ... du könntest nicht mal eben in die Stadt kommen?«

      Es wurde ganz still.

      »Margaret?«

      »Ja, ich bin im Lorry.«

      Erneute Pause.

      »Wir essen hier bald zu Abend«, sagte der Ritter der Landstraße schließlich. Pause. Dann: »Ist was passiert?«

      »Natürlich, verdammt noch mal, warum sollte ich sonst anrufen!«

      »Wirst du von jemandem verfolgt?«

      Jetzt war Margaret an der Reihe zu schweigen, die Nase kribbelte auf eine Weise, die nur eins bedeuten konnte.

      »Verfolgt dich jemand?«

      Die Stimme am anderen Ende war jetzt leise, aber eindringlich. »Nein, schon gut«, sagte sie und merkte, daß ihre Stimme sich auf eine peinliche und entlarvende Weise überschlug. »Ich bin nur massiert worden!«

      Na gut, dann kam er eben nicht.

      Familienväter verließen nicht Frau und Kinder mitten beim Abendessen.

      Sie müßte eigentlich auch etwas essen.

      Gestern besoffen und heute besoffen – das war nicht gerade überzeugend, wenn man sich vorgenommen hatte, mit dem Trinken aufzuhören. Das Alter ego meldete sich plötzlich zu Wort: Privatdetektivin Moss sah mit schmalem Blick vor sich. »Die anderen oder ich«, murmelte sie durch die Zähne.

      Wie murmelte man durch die Zähne? dachte Moss. Ach, diese alten Klischees, was war eigentlich mit ihnen passiert? Sie taugten zu gar nichts mehr.

      Die alten Klischees sind ins Altersheim gekommen, sagte das Alter ego, das offenbar ebenfalls getrunken hatte. Dort sitzen sie und erinnern sich nicht mehr daran, wer sie sind, und bekommen das Essen zerkleinert. Die alten Klischees leiden unter Inkontinenz und haben zittrige Hände, das ist es, was mit den alten Klischees passiert ist.

      »Ruhe da!« sagte Moss.

      Sie bekam eine Speisekarte. Voller Selbstmitleid sah sie vor sich, was wohl die Familie auf Prinsdal aß, Mutter, Vater und zwei Töchter.

      Fischstäbchen vermutlich, mit Tiefkühlgemüse, ach ja.

      Sie starrte lange auf die Speisekarte, ohne sich entscheiden zu können. Die Kellnerin betrachtete geduldig ihre Nägel. »Haben Sie Fischstäbchen?« fragte Moss schließlich mürrisch.

      »Nein«, sagte das Mädchen. »Aber wir haben Fish ’n’ Chips.«

      »Dann hätte ich das gerne«, sagte Moss.

      Als das Essen zusammen mit einem Salat aus Chinakohl und Thousand-Islands-Dressing kam, sah es aus wie Fischstäbchen.

      Es schmeckte ... wie hieß das noch?

      Sortentypisch – und intensiv im Abgang.

      5

      Nice work if you can get it

      and you can get it if you try.

      Gershwin/Gershwin

      Wie sie vermutet hatte, lag Vårsolsvingen in Manglerud. Margaret Moss manövrierte den alten Renault zwischen zwei Reihen geparkter Autos und fand sowohl die richtige Adresse als auch einen freien Parkplatz. Es war ein Tag nach dem Besuch in Bislett, und sie hatte Bente Bertelsen für eine Weile hinter sich gelassen.

      Neue Horizonte, das war es, was sie brauchte.

      Sie wußte nicht, auf wen sie am wütendsten war, auf Roland Rud oder sich selbst.

      There’s no trusting a man, sagte die theatralische Radiostimme in ihrem Kopf, mit einem unerwarteten englischen Akzent. They are all playthings of their passion.

      »Aha«, sagte Moss laut. »Und wer war das jetzt? Shakespeare?«

      Dickens war das, antwortete das Alter ego, bevor sie aus dem Renault stieg und die Tür zweimal hinter sich zuknallen mußte, ehe sie ins Schloß fiel.

      Es war ein Mietsblock aus den frühen sechziger Jahren, drei Stockwerke, gut instand gehalten. Schneeglöckchen schauten an der Hauswand aus der Erde, und die Haustür war offenbar frisch gestrichen. Sie suchte sich durch die Reihe der Hausklingeln, doch bevor sie bei Kolbjørnsen angelangt war, wurde die Tür von innen geöffnet, und eine spitznäsige Alte tauchte auf. Sie ähnelte so sehr dem Bild der Hexe im Märchen, daß Margaret zusammenzuckte. Der Kopf war zwischen den Schultern versunken, das dünne, gelblichweiße Haar war hinten zu einem strengen Knoten zusammengefaßt, und der Mund war wegen der fehlenden Zähne zusammengeschrumpft.

      »Wo wollen Sie hin?« kreischte sie.

      Margaret räusperte sich. »Zu Kolbjørnsen«, sagte sie.

      »Aha, und was wollen Sie da?«

      »Das geht Sie doch wohl eigentlich nichts an«, sagte Margaret und spürte, wie ihre Wangen zu glühen begannen.

      »Mich geht alles hier im Haus was an«, sagte die Frau, und ein beinahe lautloses Lachen drang aus ihrer Mundöffnung.

      Warum benutzte sie kein Gebiß?

      Margaret Moss steckte die Hände in die Manteltaschen und schob sich nicht allzu behutsam vorbei. »Dritter Stock!« gellte es hinter ihr. »Und es gibt keinen Fahrstuhl!«

      Moss seufzte und begann die Treppen hinaufzusteigen.

      Er öffnete, sobald sie geklingelt hatte. Ohne Windjacke wirkten seine Schultern noch schiefer,