Teufelsmord - Ein Fall für Julia Wagner: Band 1. Tanja Noy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tanja Noy
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Fall für Julia Wagner
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726643060
Скачать книгу
fragen, dann würde ich sagen, dass er seinen nächsten Schachzug bereits gründlich vorbereitet. Wenn Sie ihn nicht vorher erwischen, meine Herren, dann wird er einen wirklich großen Abdruck in der Geschichte der Verbrechen hinterlassen. Einen Abdruck, der für immer sichtbar sein wird.“

      Drei Tage später

      10:06 Uhr

      Mit ausgesprochen schlechter Laune griff Polizeichef Kämmerer nach einer der Zeitungen auf dem Tisch und hielt sie in die Höhe.

      „Herrschaften! Wir wissen ja, was wir von den Schmierfinken zu halten haben, die diesen Mist hier verzapfen. Aber wir müssen, verdammt noch mal, etwas dagegen unternehmen. Nur wie üblich zu verkünden, dass die Ermittlungen auf Hochtouren laufen, wird hier nicht reichen. Ich hatte heute Morgen bereits ein Gespräch mit dem Ministerpräsidenten. PERSÖNLICH! Natürlich zweifelt niemand an Ihnen und Ihrer Arbeit, aber Sie sollten sich auch im Klaren darüber sein, wie sehr der Ruf der niedersächsischen Polizei auf dem Spiel steht. Von jetzt an gehen wir alle mit mindestens 150 Prozent Einsatz an die Sache heran, damit das klar ist.“ Mit blitzenden Augen sah Kämmerer in die Runde. „Davon abgesehen sollte man ja meinen, dass es nicht allzu schwierig sein dürfte, einen solchen Verrückten dingfest zu machen, wenn wir erst einmal einen Verdächtigen haben. Wenn wir einen Verdächtigen haben.“

      Lange meldete sich zu Wort: „Wir sind vollauf damit beschäftigt, sämtliche verfügbaren Unterlagen der letzten Jahre über Straftäter mit satanistischem Hintergrund zu sichten, die auf unseren Täter passen könnten.“

      „Und kam etwas dabei heraus?“, wandte Kämmerer sich an ihn.

      „Bruno Kalis.“ Lange schob eine Akte über den Tisch. „In Wittenrode aufgewachsen, im Waisenhaus. Machte nach seinem Abgang verschiedene Aushilfsjobs dort in der Gegend, ist aber nirgendwo lange geblieben. Hat zurzeit ein Zimmer auf einem Bauernhof, wo er auch arbeitet, etwa einen Kilometer von den Tatorten entfernt. Und: Er ist bekennender Satanist.“

      „Vorstrafen?“

      „Ja. Bitte sehen Sie sich die Akte an.“

      Unter anderen Umständen wäre das Vorstrafenregister von Bruno Kalis mit ziemlicher Sicherheit belanglos erschienen. In diesem Fall jedoch war alles anders. Mit zwölf Jahren war er das erste Mal aufgefallen, als er einen seiner Mitschüler krankenhausreif geschlagen hatte. Keiner seiner Lehrer konnte sich den plötzlichen Gewaltausbruch erklären. Bis dahin war er nach mehrfach übereinstimmenden Aussagen ein stiller und zurückhaltender Junge gewesen. Lediglich seine schulischen Leistungen waren schon immer miserabel. Mit fünfzehn wurde Kalis bei einem Einbruch erwischt. Mit siebzehn der erste Raubüberfall, dann einige Zeit nichts mehr. In letzter Zeit allerdings war er wegen Störung der Totenruhe ein paar Mal aufgegriffen worden.

      Mit dem Segen und Einverständnis von Staatsanwalt Wagner erhielten Lange und Ta Quok einen Durchsuchungsbefehl noch für denselben Morgen.

      Fünf Stunden später

      15:05 Uhr

      Die angespannte Situation hatte sich nicht gerade positiv auf Bruno Kalis’ Erscheinungsbild ausgewirkt. Er war ohnehin schon kein schöner Mann, die Natur hatte ihm nicht viel geschenkt, nur ein mageres Gesicht mit hohlen Wangen und schmalen farblosen Lippen. Nun mischten sich zu all dem auch noch Schweiß und Angst. Reglos wie eine Statue verharrte er auf der Schwelle zum Vernehmungsraum.

      Sie hatten ihm zu Hause nur ein paar Minuten gegeben, um das Nötigste zusammenzupacken, dann hatten sie ihn zum Auto gebracht. In Hannover wurde er dann in eine Zelle gesteckt, in der er beinahe vier Stunden lang auf der Kante einer Pritsche gesessen und gewartet hatte. Mehrmals trat er zwischendurch an das vergitterte Fenster und schaute hinaus. Dann ging er in der Zelle auf und ab, ehe er sich wieder auf die Pritsche setzte und weiter wartete. So waren die vier Stunden zu einer einzigen Wanderung zwischen Fenster und Pritsche geworden. Niemand war gekommen, um nach ihm zu sehen oder um ihm zu sagen, worum es eigentlich ging.

      Jetzt schob ihn der Polizist weiter in den weißen, kahlen Raum, der keine Fenster hatte, hin zu einem Tisch und einem von zwei Stühlen. Widerwillig ließ Kalis sich darauf nieder.

      Ta Quok betrat kurz nach ihm den Raum und stellte einen Pappbecher auf den Tisch. „Hier. Bitte.“

      Kalis blickte gequält. „Danke. Darf ich … Kann ich eine Zigarette haben?“

      „Nein.“

      „Hören Sie, Sie schulden mir wenigstens eine Erklärung. Sie können doch nicht einfach bei Leuten einfallen und sie verhaften.“

      Ta Quok ließ sich auf der anderen Seite des Tisches nieder. „Sie wissen nicht, warum Sie festgenommen worden sind?“

      „Nein.“

      Ein Moment Stille.

      Dann redete Ta Quok mit freundlicher, neutraler Stimme weiter: „Machen Sie sich keine Sorgen, Herr Kalis. Ich habe ein sehr gutes Gefühl und auf mein Gefühl konnte ich mich noch immer verlassen.“

      „Ich verstehe nicht …“

      „Wir sammeln jetzt alle Fakten, fügen ein Bild zusammen, und die Schlinge um Ihren Hals zieht sich enger und enger. Aber, wie gesagt, machen Sie sich keine Sorgen, denn alles wird sehr schnell gehen. Rein in den Gerichtssaal, eins, zwei, drei, und – hast du nicht gesehen – sind Sie wegen dreifachen Mordes verurteilt und dürfen sich für den Rest Ihres Lebens auf Staatskosten den Wanst vollschlagen.“

      „Was?“ Wie von der Tarantel gestochen fuhr Kalis in die Höhe. „Nein!“

      „Setzen Sie sich wieder hin.“

      Widerwillig tat Kalis wie geheißen.

      „Also, womit fangen wir an?“ Ta Quok öffnete die Akte, die vor ihm auf dem Tisch lag. „Wie wäre es mit Grazia Habisch?“

      „Wer ist das?“

      „Das dritte Opfer.“

      „Kenn ich nicht.“

      Ta Quok seufzte und schüttelte nun doch eine Zigarette aus der Packung. Dazu fischte er ein Feuerzeug aus der Hosentasche. Beides reichte er an Kalis weiter. „Ich habe heute meinen netten Tag. Genießen Sie es, solange Sie es noch können.“

      Kalis zündete sich die Zigarette an und zog heftig daran. „Was faseln Sie da von Mord? Ich hab niemanden ermordet.“

      „Wir haben aber die sicheren Beweise dafür, dass es doch so ist. Also, sagen Sie mir, nach welchen Kriterien Sie Ihre Opfer ausgesucht haben.“

      „Ich hab gar niemanden ausgesucht. Das ist eine Verwechslung. Sie müssen mich verwechseln.“

      Ta Quok strich sich übers Kinn. „Sie sollten die Gelegenheit jetzt unbedingt nutzen, Herr Kalis, und beweisen, dass Sie diese Chance auch wirklich verdienen. Die drei getöteten Menschen hatten keine. Also, kommen Sie, erleichtern Sie Ihr Gewissen und …“

      „Halten Sie den Mund! Ich hab ein reines Gewissen, da gibt’s nix zu erleichtern. Das ist beschissene Polizeiwillkür!“

      Ta Quok deutete auf die Tätowierung, die Kalis’ Hals von links nach rechts überzog: EVIL. „Nette Tätowierung.“

      Kalis schwieg.

      „Sie sind als Vollwaise im Heim aufgewachsen, richtig? Haben Ihre Eltern nie kennengelernt.“

      Kalis schwieg weiter.

      „Das war eine verdammt schwierige Zeit, oder?“

      Kalis widerstand dem Impuls, unbehaglich auf seinem Stuhl herumzurutschen. „Ja. Kann man so sagen.“

      „Gelernt haben Sie nichts. Ich meine, einen Beruf?“

      „Nein.“

      Ta Quok schwieg einen Moment, dann sagte er: „Es heißt, Sie würden gerne mal einen über den Durst trinken. Und nicht nur einfach so, aus Genuss. Nein, Sie trinken so lange, bis Sie einen Blackout haben.“

      „Woher wollen Sie wissen, dass ich Blackouts habe? Ich hab